Der Präsident des Festkomitee Kölner Karneval am 6. Januar 2023 auf der Prinzenproklamation im Kölner Gürzenich.

Köln | KOMMENTAR | Es war Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker, die mitten in ihrer Rede bei der Proklamation des Dreigestirns 2023 einen famosen Satz sagte: „Auf den Fastelovend ist Verlass“. Lassen Sie diesen einmal wirken und überlegen, welche Assoziationen dieser bei Ihnen auslöst. Eine Analyse und Kommentar von Andi Goral.

Der Abend im Gürzenich im Liveticker von report-K zum Nachlesen und mit Stimmen prominenter Gäste

Ein Satz zum 200-jährigen Jubiläum des geordneten Fastelovends, wie er treffender und interpretationsfähiger nicht sein kann. Ein starker Satz – mehrdeutig und mitten in der Zeit der Krisen misst er dem Karneval die Bedeutung zu, die er hat. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hatte dies schon zuvor aufgegriffen und gleiches bescheinigt, vor allem den sozialen Teil. Fächern wir einmal die Verlässlichkeit des Karnevals auf und spüren der Frage nach, gab es eine Message auf der Prinzenproklamation zu 200 Jahren und wie es weiter geht mit dem Karneval?

Verlässlichkeit, wen wir sie am Nötigsten haben

Das zeigte Reker auf als sie an die erste Kappenfahrt erinnerte und das in Schutt und Asche liegende Köln erinnerte. Verlässlichkeit Kraft zu spenden. Ein Motiv, für den Reker diesen einen Satz brauchte: „Auf den Fastelovend ist Verlass“. Ein Satz, der der Prinzenproklamation eine Kraft gab, die ihr sonst fehlte. Die Menschen brauchen heute Verlässlichkeit, nach Pandemie und mitten in einer Zeit, in der in Europa Krieg herrscht. Auch daran erinnerte Reker und zeigte auf, dass es neben Feiern die Menschen in der Ukraine gibt, die diesen Kriegswinter durchstehen müssen. Bas dankte dem Karneval für sein Engagement für Flüchtlinge aus der Ukraine. Sie dankte auch für das Engagement im Ahrtal. Auf den Karneval ist Verlass und das ist gut so, weil die Menschen, die ihn tragen neben aller Eitelkeiten, Feierfreudigkeit eben auch das Soziale mitdenken und anpacken. Und weil in allen Lebenslagen auf diese Menschen, die sich dem Karneval verschrieben haben, Verlass ist. Siehe Dreigestirn der Sessionen 2021 und 2022. Verlässlichkeit bietet der Karneval auch bei Spott, Witz, Ironie und er bringt uns zum Lachen und Fröhlichsein. Auch wenn es hier doch durchaus Nuancen in den Geschmäckern gibt.

Reker und Bas gaben mit diesem rein sprachlichen Fingerzeig dem Abend Größe, Bedeutung und Tiefe.

Verlässlichkeit auf gute Laune

Das Programm der Prinzenproklamation ist auf seine Art und Weise verlässlich, denn es werden immer Top-Redner und Bands sowie Tanzgruppen aufgeboten. Da kann der Programmgestalter sich nur in der Reihenfolge vertun. Aber es blieben am gestrigen Abend Solitäre, mal besser, mal nicht ganz so gut. Auch wenn die Zwischenmoderationen gelungen und verbindend waren. Aber auch hier machte sich der Karneval kleiner als er ist. Das ist ja nett mit der Geschichte des Kinderprinzen und heutigen Bauern Marco Schneefeld, aber mehr auch nicht. Es ist ein Insider für die Blase der Karnevalisten.

Eine Story zur Botschaft und Bedeutung des Kölner Karnevals sendeten die Solitäre nicht. Braucht der Kölner Karneval den Link zu wissenschaftlichen Studien und Banalitäten, wie sie in einer Drogeriemarktzeitung in der Rubrik Küchenphilosophie und -psychologie stehen? Vorgetragen in der Bütt. Der Erkenntnisgewinn gegen Null, aber gut für die Selbstbestätigung. Jetzt wissen wir also, dass uns Glücksgefühle glücklich machen. Wow, cool. Das passiert auch beim Bett im Kornfeld mit dem richtigen Partner im Sommer, wenn die Kornblumen blühen. Das Pieksen der Kornähren ignorieren, wegen der Ausschüttung von Glückshormonen. Bützen macht glücklich, das Bild gibt es tausendfach besser zu sehen am Rosenmontag, wer dort einem vom Bützen überglücklichen Roten Funken begegnet.

Stärken und Schwächen

Der Kölner Karneval hat immer dann seine Sternstunden, wenn er Stimmungen in der Gesellschaft erschnüffelt und mit seinen Traditionen und Mustern auf eine neue Ebene stellt. Das Gespann Ritterbach und Kuckelkorn beherrschten dies in Perfektion und auch Christoph Kuckelkorn und seinem Team gelang dies oft meisterlich. Aber nicht nur ihnen, sondern auch Präsidenten und Gesellschaften. Sie waren am Puls der Zeit, nahmen diesen auf und reicherten ihn mit dem Traditionshumus an und es trieben die buntesten und schönsten Blüten.

Gelang dies am gestrigen Abend im Gürzenich? Es mag Stimmen geben, die dies bejahen, andere sehen dies kritischer. Es war ein Abend, an dem der Karneval vor allem in seiner Blase blieb, in sich hineinhörte und die Antworten gab, die er selbst gerne hören will und wollte. Diese Chiffren entschlüsseln die, die mittendrin sind und die sie als eine Art Geheimbund der Karnevalisten verbindet. Aber ist die Prinzenproklamation, neben ihrer Funktion als Spiel am Hof des Helden Carneval, nicht auch und vor allem ein mediales Ereignis mit Außenwirkung?

200 Jahre Karneval – was ist die Message für heute und morgen?

Kreuz oder quer, ist das die Message für 200 Jahre Karneval?

200 Jahre Geschichte lassen sich nicht einfach chronologisch erzählen. Das haben die Macher:innen der Prinzenproklamation richtig erkannt. Bis auf wenige Reminiszenzen verzichteten sie daher auf die Erzählung der Geschichte im Ablauf, aber leider auch auf das Storytelling emotional relevanter Geschichten. Dieser Verzicht auf die Sichtbarmachung der Stärken in Geschichten von Menschen für Menschen ein Fehler.

Es gab keine in sich tragende Story, keine Message, keinen Aufbruch in das Morgen, die erzählt wurden. Es gab Floskeln, die all denen gefallen, die Floskeln lieben und diese verehren, weil sie ihr Bild zementieren und weil es bequem ist. Also nichts falsch gemacht. Auch das ist und kann Verlässlichkeit sein.

Wie multimedial und mehrdimensional hätte sich der Kölner Karneval präsentieren können, wenn er die Story erzählt hätte, deren Botschaft Reker in diesen Satz mit der Verlässlichkeit goss. Etwas ordnen heißt es verlässlich machen. Ordnung entstand aus Repression und die Reaktion war Persiflage. Wie genial. Da steckt Kraft drin. Wurde diese Geschichte wirklich bei der Prinzenproklamation erzählt oder wenigstens in einer Botschaft versendet?

Die Geschichte steckt in den Menschen, die den Karneval leben und lieben, ihn im Kleinen, im Großen, im Reichen und im Armen hochleben lassen. Einmal die Treppe im Festkomitee-Haus am Maarweg hinunter ins Museum gehen, hätte die Augen geöffnet. Die Postkarten aus dem I. Weltkrieg der Roten Funken, interne Solidarität, die hölzernen Orden der Kölnischen, die Briketts nach dem Krieg, um den Sitzungssaal zu heizen, Künstler wie Sebus, die mit der Klavierspielerin im VW Käfer von Saal zu Saal fuhren. Die schwarzen Pappnasen. Warum machen die das? Das ist die Geschichte. Dies ist die große Geschichte von Solidarität, Humanität und Sozialem, zusammengefasst in Rekers Satz „Auf den Karneval ist Verlass“. Auch wenn es der Obrigkeit einmal nicht schmecken mag.

Feiern und Solidarität in mageren und fetten Jahren, das ist die Story. Dazu zählt auch die Dekadenz der Neuzeit. Auch das ein Sujet, bei dem sich der Karneval selbst und seinen Goldfasanen den Spiegel hätte vorhalten können. Was für eine spannende Geschichte, dass sich Gesellschaften und Korps aufspalteten, koexistierten und heute freundschaftlich miteinander verbunden sind. Denken wir an die Roten und Blauen Funken oder die Grosse von 1823 und die Große Kölner.

Gerade in Zeiten, in denen gesellschaftliche Solidarität wegbröckelt wie die Sandburg im Wellengang, Hass und Hetze die Gesellschaft trennen, wäre Platz für die Botschaft des Karnevals gewesen, seine Botschaft von Verlässlichkeit und Solidarität zu senden. Eben auch Jeck lass Jeck elans und dem Auseinanderbrechen von Teilen, die am Ende doch den Erfolg des Ganzen über die eigene Egomanie stellen. Auch wenn das sicherlich nicht jedem Einzelnen gelingt.

Hat die Prinzenproklamation dies eingelöst? Nein, das hat sie nicht. Die organisierten Jecken kreisten um ihren eigenen Bauchnabel. Sie haben aber auch nichts falsch gemacht, denn jeder Solitär auf der Bühne stand für professionelles Entertainment. Und in normalen Jahren wäre dies astrein als gute Show durchgegangen, was sie auch war. Aber es ist Jubiläumsjahr und da liegt die Latte höher. Zu Recht.

Aber die Session hat ja erst begonnen und Oberbürgermeisterin Reker lieferte mit dem Satz „Auf den Fastelovend ist Verlass“ eine Steilvorlage für eine Message mit Tiefgang. Eigentlich fehlen dazu nur noch die Bilder und Beispiele, von denen es in den Archiven der Kölner Karnevalisten nur so wimmeln dürfte. Und dann könnten sie an einer Story mit gutem Storytelling basteln.