Interview mit dem Direktor des Kölner Museums Ludwig, Yilmaz Dziewior

Köln | Andy Warhol ist einer der populärsten Künstler überhaupt und einer der bekanntesten Vertreter der Pop Art. Seine ikonischen Motive wie Marilyn, Campell’s Suppendose oder Coca-Cola-Flaschen sind Teil des kollektiven Gedächtnisses. 30 Jahre nach der letzten Retrospektive in Köln bringt das Museum Ludwig in einer Sonderausstellung sein Werk in einen Bezug zur Jetztzeit und zur jungen Generation, die den 1987 verstorbenen US-Künstler neu für sich entdeckt. Die Schau startet beim Frühwerk und führt durch das bewegte Leben Warhols. Normalerweise wäre die große Ausstellung mit den mehr als 100 Werken am 12. Dezember eröffnet worden. Wegen der Pandemie sind die Museen aber aktuell noch geschlossen. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog, der im Museum 30, im Buchhandel 38 Euro kosten wird. Die Schau läuft bis zum 18. April.

Hinweis der Redaktion: Das Interview wurde vor den Überlegungen der Lockdown-Verlängerung geführt.

Wie erleben Sie gerade die Situation im zweiten Lockdown?

Dr. Yilmaz Dziewior: Die Situation ist sehr schwierig. Das gilt nicht nur für die Museen, sondern für die gesamte Gesellschaft. Für uns ist sehr enttäuschend, dass wir eine sehr schöne und interessante Sonderausstellung wie „Andy Warhol Now“ nicht zeigen können. Wir haben zusammen mit den Kolleg*innen der Tate in London drei Jahre Arbeit in dieses Projekt investiert. Allerdings sind wir froh, dass wir die Ausstellung überhaupt in Köln rechtzeitig realisieren konnten. Durch den Lockdown in Großbritannien war es nicht sicher, ob die mehr als 100 Werke überhaupt nach Deutschland gebracht werden können. Jetzt hoffen wir, dass wir unser Haus Mitte Januar wieder für das Publikum öffnen können. Dann hätten wir zwar einen Monat verloren, aber die Schau läuft noch bis zum 18. April. Würde das Ganze länger dauern sollte, müssten wir sehen, ob eine Verlängerung möglich ist. Sehr wahrscheinlich ist das aber nicht.

Wie ist es im Moment für Sie als Direktor durch ein leeres Museum zu gehen?

Dziewior: Ehrlich gesagt, habe ich dazu im Moment kaum Zeit, weil wir auch während der Schließung sehr viel Arbeit bewältigen müssen. Dazu gehört zum Beispiel der regelmäßige Erfahrungsaustausch mit den Kolleg*innen anderer großer Häuser wie dem Städel in Frankfurt oder der Staatsgalerie in Stuttgart. Dazu kommt der enorme logistische Aufwand, wenn wir Ausstellungen verlängern müssen. Das gilt auch für die Schließung und die Wiedereröffnung des Museums. Da passiert sehr viel hinter den Kulissen – Arbeit, die beim regulären Betrieb nicht anfallen würde.

Was ist jetzt im Vergleich zum Frühjahr anders?

Dziewior: Wir sind routinierter geworden. Das Team weiß, was es in dieser Situation tun muss, und, wie es sich verhalten muss, um sich selbst vor einer Infektion zu schützen. Anders ist auch, dass jetzt der Impfstoff da ist und die berechtigte Hoffnung besteht, dass wir bis zur zweiten Jahreshälfte das Problem in den Griff bekommen. Schwierig ist im Vergleich zum Frühjahr, dass der Lockdown deutlich länger dauert. Das ist schon sehr belastend.

Was macht den Reiz der Warhol-Ausstellung aus?

Dziewior: Wir zeigen einen Künstler, von dem jeder glaubt ihn gut zu kennen. Wir werfen aber einen neuen Blick auf Andy Warhol und zeigen Werke, die noch nie zuvor in Europa zu sehen waren. Das gilt zum Beispiel für die figürlich gemalten Bilder aus seinem Frühwerk. Diese sind teilweise noch in seiner Studentenzeit entstanden. Wir geben einen Überblick von den Anfängen bis zum Spätwerk. Dazu gibt es insgesamt drei neue Fragestellungen.

Welche sind das?

Dziewior: Zum einen geht es um den queeren Warhol. Er war jung und schwul, was sich in seinen frühen Arbeiten immer wieder zeigt. Dazu zählen die Zeichnungen von nackten Männern, auf die der Künstler seinen begehrenden Blick wirft. Wenn man das gesellschaftliche Umfeld der Zeit berücksichtigt, weiß man, welchen Wagemut es gebraucht hat, um solche Motive zu wählen. Damals war Homosexualität nicht nur strafbar, sondern galt auch als schwere Krankheit und war entsprechend geächtet. Die zweite Fragestellung ist Warhol als Sohn von Einwanderern. Da geht es um die Rolle der Religion. In den frühen Arbeiten gibt es den Zwiebelturm einer ost-katholischen Kirche in Pittsburgh. Die religiösen Motive ziehen sich bis zum Spätwerk durch. Der dritte Themenkomplex ist der Umgang mit Subkulturen wie afroamerikanischen bzw. latinx Transsexuellen und Transgender. Warhol verwendet die gleichen künstlerischen und formalen Techniken für diese Menschen wie er sie für Mick Jagger oder Dolly Parton Bilder nutzt. Das bedeutet eine Demokratisierung und eine Sichtbarmachung dieser Subkulturen.

Sie stellen auch den Zugang der jungen Generation zu Warhol her.

Dziewior: Das gilt zum Beispiel für die Celebrities-Kultur. Das spiegelt sich in den Prominenten in Warhols Interviewmagazin oder seinen TV-Shows wieder. Das ist eine Vorwegnahme von Instagram und Facebook. Das spricht junge Leute an, weil sie es kennen. Warhol war immer sehr an der modernen Technik interessiert. Beim Smartphone und bei den sozialen Medien wäre er sicher ganz vorne dabei gewesen.

Bis Sie die Ausstellung eröffnen können, gibt es zahlreiche digitale Angebote.

Dziewior: Da war unser Team sehr kreativ. Es gibt verschiedene Social-Media-Formate wie die von Cartoonist*innen, die aus verschiedenen sozialen und kulturellen Persepektiven ihre Sicht auf Warhol präsentieren. Dazu kommen die spannenden Tagebücher von Warhol, die in kurzen Videoclips von unseren Mitarbeiter*innen vorgelesen werden. Außerdem haben wir Kölner*innen wie Francois-Xavier Roth oder Bettina Böttinger gefragt, warum sie sich auf Warhol freuen. Diese Frage haben wir aber auch Jugendlichen gestellt.

Wenn die Ausstellung eröffnet wird, müssen Zeitfenster für den Besuch vorab gebucht werden.

Dziewior: Wir rechnen nach der Wiedereröffnung mit einem großen Andrang auf die Sonderausstellung. Gleichzeitig müssen wir die Regelungen für die maximale Besucherzahl im Museum beachten. Daher wird es die Zeitfenster geben, die man reservieren kann, sobald der Termin für die Wiedereröffnung feststeht. Da sollte man sich dann beeilen. Außerdem werden wir die Öffnungszeiten verlängern. Von Dienstag bis Donnerstag sowie am Sonntag haben wir von 10 bis 20 Uhr und am Freitag und Samstag von 10 bis 22 Uhr geöffnet.

Wird die Pandemie die Museumsarbeit nachhaltig verändern?

Dziewior: Das gilt für solche Zeitslots genauso wie für die Digitalisierung. Da sorgt die Pandemie für eine Zuspitzung und beschleunigt so bestimmte Entwicklungen. Wir haben das Budget, das wir normalerweise für den Druck von Einladungskarten für Vernissagen investieren, in die digitale Arbeit investiert. Verändern wird sich auch der Umgang mit der eigenen Sammlung, die wir verstärkt gewinnbringend und intelligent nutzen werden. So kann man große und teure Transporte von Kunst vermeiden.

Wie fällt die Bilanz der Öffnung nach dem ersten Lockdown aus?

Dziewior: In den ersten Wochen war die Zurückhaltung noch groß. Das hat sich ab etwa der dritten Woche geändert. Da hatten wir schon wieder die Hälfte der bisherigen Besucherzahlen erreicht. Was gefehlt hat, waren die Touristen und die Schulklassen, die einen großen Anteil an unseren Besucherzahlen haben.

Welche Bedeutung hat die Kultur in Krisenzeiten?

Dziewior: Sie hat eine sehr große Bedeutung gerade jetzt. Zunächst hat die Politik die Kultur aber vergessen. Da liefen wir bei den Verordnungen mit den Bordellen unter sonstigen Freizeitveranstaltungen. Dann gab es in der Kultur und der Gesellschaft einen Aufschrei, der das wieder verändert hat. Kultur ist mehr als reine Unterhaltung, sie hat einen Bildungsauftrag, sie ist sinnstiftend und sie ist für den sozialen Zusammenhalt sehr wichtig.

Autor: Von Stephan Eppinger
Foto: Foto: Albrecht Fuchs/Museum Ludwig