Nicolas Fink ist seit 2020 Chefdirigent des WDR-Rundfunkchores
Sie sind seit August der neue Chefdirigent des WDR-Rundfunkchors. Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage in der Corona-Pandemie?
Nicolas Fink: Wenn man auf die aktuelle Entwicklung blickt, macht man sich schon Sorgen. Aber wir haben uns in den vergangenen Monaten daran gewöhnt, mit der sich stetig wandelnden Situation umzugehen. Wir müssen Formate finden, die auch jetzt noch funktionieren und die unserem Wirken eine neue Dimension geben. Natürlich wünscht man sich die Rückkehr zur Normalität und hätte zum Beispiel gerne mal wieder eine normale Probe. Aber jetzt müssen wir Dinge tun, für die der Chor steht, und uns fragen, was wir mit unserem Wirken auslösen wollen.

Wie laufen die Proben im Moment ab?

Fink: Wir haben strenge Auflagen und proben deshalb in kleinen Gruppen, um die Abstände einhalten zu können. Dazu kommt regelmäßiges Lüften. Wir waren zeitweise auch in anderen Örtlichkeiten, wie den Fernsehstudios des WDR in Bocklemünd – die waren groß genug, um Abstände einhalten zu können. Die Arbeit in den kleinen Gruppen ist schon anders als Proben mit dem gesamten Chor. Das hat aber auch seine positiven Aspekte. So habe ich die Chance, als neuer Chefdirigent die Chormitglieder ganz anders kennenzulernen.

Was macht für Sie den Reiz aus, die Leitung des WDR-Rundfunkchors zu übernehmen?

Fink: Das ist ein Chor, der auf eine lange Tradition zurückblickt. Als neuer Chefdirigent hat man die Verantwortung diese Tradition weiterzuführen, kann aber auch neue Aspekte hinzufügen. Dazu kommt die aktuelle Situation, in der sich viele Fragen stellen, auf die man eine Antwort finden muss. Für mich ist das eine unglaublich schöne Aufgabe.

Wie fällt die Bilanz der ersten Monate aus?

Fink: Die fällt sehr gut aus. Ich kenne den Chor schon länger und habe als Gastdirigent mit dem Ensemble gearbeitet. Da gibt es eine gewisse Vertrautheit. Aber die Arbeit als Gast ist eine andere als die des Chefdirigenten. Da trägt man mehr Verantwortung und baut die Beziehung zu den einzelnen Sängern neu auf. Aber, dass man sich vorab schon gekannt hat, macht es in Zeiten der Unsicherheit leichter.

Welche Bedeutung haben Chöre gerade jetzt in Krisenzeiten?

Fink: Die Krise macht deutlich, wie stark das Bedürfnis ist, gemeinsam im Chor zu singen. Viele vermissen jetzt die gemeinsame Arbeit und die Treffen ihres Chores. Es ist bitter, das gemeinsame Musizieren nicht mehr in Anspruch nehmen zu können. Das Singen im Chor ist eine Plattform. Hier übt man, um eine gemeinsame Stimme zu finden und um aufeinander zu hören. Was einem ohne den Chor fehlt, wird den Menschen jetzt in der Pandemie schmerzlich bewusst. Aber ich bin mir sicher, wenn die Pandemie vorbei ist, wird es eine Explosion von Kreativität und Energie geben. Dann kommt der große Schub für die Chöre. Der Rundfunkchor will in dieser Community seinen Platz finden und will ein Teil von ihr sein. Wir wollen zeigen, was möglich ist und warum das Singen im Chor wichtig ist.

Wie sind Sie selbst dazu gekommen?

Fink: Relativ spät durch meinen fantastischen Musiklehrer mit zwölf oder 13 Jahren. Damals ging es um eine Messe von Mozart, das war ein Schlüsselerlebnis für mich. Da wusste ich, dass ich Profimusiker werden möchte. Ich habe dann zwar Operngesang studiert, bin dann aber mit einem professionellen Ensemble zum Chor zurückgekommen. Der Chor ist meins und ich kann mir auch nichts anderes vorstellen.

Ist Köln eine Chorstadt?

Fink: Mit den vielen geschichtsträchtigen Kirchen hat der Chorgesang hier eine besondere Tradition. Und NRW ist ein Brennpunkt in Sachen Chor. Da ist man sehr gut aufgestellt.

Hinweis der Redaktion: Das Interview wurde Ende Oktober 2020 geführt.

Autor: Von Stephan Eppinger