Eduard A. Shevardnadze (rechts), Hans-Dietrich Genscher (links) und Helmut Kohl (Mitte) bei ihrer Ankunft in Moskau am 10. Februar 1990. | Foto: gemeinfrei

Berlin | dts | Die Bundesregierung von Kanzler Helmut Kohl (CDU) und Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) soll Anfang der Neunzigerjahre versucht haben, die NATO-Osterweiterung zu verhindern. Diese sei „nicht in unserem Interesse“, befand Genscher, wie der „Spiegel“ unter Berufung auf freigegebene Akten des Auswärtigen Amts aus dem Jahr 1991 berichtet. Länder wie Polen oder Ungarn hätten zwar das Recht, der NATO anzugehören, es gehe „jetzt aber darum, dieses Recht nicht auszuüben“.

Genscher wollte danach die Beitrittswünsche der Ostmitteleuropäer „umleiten“ und suchte nach Alternativen, die für die Sowjetunion „akzeptabel“ waren. Kohl und Genscher fürchteten einen Sturz des Kreml-Reformers Michail Gorbatschow. So entstand etwa der unverbindliche Nordatlantische Kooperationsrat.

Das sagt Genscher

Genscher erklärte laut Protokoll: „Zunächst haben die früheren Warschauer-Pakt-Länder die Absicht verfolgt, Mitglieder in der NATO zu werden. Dies hat man ihnen in vertraulichen Gesprächen ausgeredet.“ Mehrfach sagte Genscher gegenüber ausländischen Gesprächspartnern direkt und indirekt, der Westen habe bei den Verhandlungen zur deutschen Einheit eine „Zusage“ gegeben, die NATO nicht nach Osten zu erweitern.

Die Existenz einer solchen Zusage behaupten russische Politiker seit Jahrzehnten. Wladimir Putin hat dieses Argument sogar missbraucht, um damit den Angriffskrieg auf die Ukraine zu begründen. Kohl hielt laut den Akten einen Untergang der Sowjetunion für eine „Katastrophe“, wie der „Spiegel“ weiter schreibt.

Deren Auseinanderbrechen könne nicht in deutschem Interesse sein. Zu dem Zeitpunkt standen Hunderttausende sowjetische Soldaten noch in den ostdeutschen Ländern. Der Kanzler machte daher im Westen Stimmung gegen eine Unabhängigkeit der Letten, Esten und Litauer.

Kohl und Jelzin zur Ukraine

Als diese ihre Unabhängigkeit erklärten und aus der Sowjetunion drängten, fand Kohl, sie seien auf dem „falschen Weg“, wie er dem französischen Präsidenten Francois Mitterrand anvertraute. Die Balten sollten sich gedulden – etwa zehn Jahre, so scheint es sich der Kanzler damals gedacht zu haben. Auch die Ukraine sollte in der Sowjetunion verbleiben, zumindest vorerst, um deren Bestand nicht zu gefährden.

Das gehe aus mehreren Äußerungen hervor, schreibt das Magazin. Als sich das Ende der Sowjetunion abzeichnete, fanden die Deutschen dann, Kiew solle bei einer Konföderation mit Russland und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken mitmachen. Im November 1991 bot Kohl dem russischen Präsidenten Boris Jelzin an, in diesem Sinne „auf die ukrainische Führung Einfluss zu nehmen“.