Köln | Beton, Autos, Sex und heiße Mode: So präsentierte sich Köln in den Jahren 1970 bis 1975. Zu sehen jetzt in der DVD-Dokumentation „Köln – Zeitreise in die 70er Jahre, Teil 1“. Die nun schon 20. Produktion von Hermann Rheindorf, dem Spezialisten für die Geschichte Kölns, wie sie sich in offiziellen und privaten Filmen widerspiegelt.

In den frühen 1970er Jahren kommt McDonalds auch nach Köln

Sport, Wirtschaft, Politik, Kultur, Freizeit und Verkehr bilden ein spannend arrangiertes, buntes, 100 Minuten dauerndes Mosaik. Rund 50 „Leihgeber“ haben Rheindorf wieder ihre Aufnahmen zur Verfügung gestellt, viele erst nach gründlicher Recherche und aufgrund langjähriger Verbindungen gefunden. Darunter „verblüffend wenige offizielle Archive“, wundert sich Rheindorf.

Nicht einmal die Polizei hat ein offizielles Filmarchiv

Nicht einmal bei der Polizei wurde er hier fündig. Die Filme, die etwa Blitzer-Aktionen und Fahrzeugkontrollen zeigen, wurden von Beamten privat gedreht. Beim TÜV dagegen fand er ein spektakuläres Dokument: An einem Wind-Modell wurde getestet, wie in Chorweiler die Häuser ausgerichtet werden müssen.

Aus Privatbesitz stammen die Aufnahmen von einer Matratzen-Party, die Jugendliche in einem Keller feiern. Oder von einer Weihnachts-Bescherung: Der Vater macht hier die Motorengeräusche für das ferngelenkte Auto nach. Privataufnahmen sind auch die von Martinszügen, von Kölns ältestem Straßenfest in der Deepejass (Thieboldgasse) oder von Pfarrfesten.

Willy Millowitsch dreht im Kölner Hauptbahnhof einen Musikclip für seinen Hit „Ne, wat ’ne Rummel mit dem Sex“.

Mit schrägen Videoclips holte Wally Bockmayer die schwule Szene ans Licht

Köstlich schräg die frühen Musikclips von Wally Bockmayer (er starb 2014) der mit seinen Auftritten dem Outing von Schwulen und Lesben den Weg bereitete. Rheindorf fand sie in Heidelberg eher durch Zufall im Nachlass des „Scala“–Chefs und davor des Kneipentheaters „Filmdose“. Leicht verwackelte Aufnahmen dokumentieren den Karrierestart der „Bläck Fööss“ und der „Höhner“, erinnert wird auch an das legendäre Freikonzert der Kölner Avantgarde-Rockgruppe „Can“.

Es war eine Zeit, in der wichtige Weichen gestellt wurden. Der „Beton-Brutalismus“ war auf dem Höhepunkt: Die Domplatte mit ihren inzwischen abgerissenen „Pilzen“ wurde gebaut. Der als vorbildlich geltende Flugplatz in Porz. Auch das Historische Rathaus, dessen betonbetonte Rückseite zum Alter Markt heute nicht mehr so gefällt. Und rings um Köln herum wurden Hochhäuser gebaut, über die man heute ebenfalls nicht mehr sehr glücklich ist. Immerhin: Das Colonia-Haus am Rhein gegenüber der Bastei war seinerzeit das höchste Wohnhochhaus Europas.

Das letzte Aufbäumen der Verfechter einer autogerechten Stadt

In seiner Filmdramaturgie kommt Rheindorf immer wieder auf den wachsenden Autoverkehr und dessen Auswirkungen auf die Stadt zurück. Trotzdem: Langsam wurde der Traum von einer autogerechten Stadt verabschiedet. Zwar wurde die letzte Lücke in der Stadtschneise Nord-Süd-Fahrt geschlossen. Aber die Umwandlung der Inneren Kanalstraße in eine Autobahn auf Stelzen fand dann doch nicht mehr statt.

Mit Schlaghosen, Plateausohlen und Afrolook präsentierten Mann und Frau sich stolz in der Innenstadt, ließ die Bettler und Obdachlosen links liegen, blieb stehen vor Straßenmusikern und Pflastermalern. Noch konnten sich einheimische Geschäfte halten – wenig später wurden sie von nationalen und internationalen Ketten abgelöst. McDonalds war schon etwas früher da. Und neben Hamburgern lernten die Kölner auch Pizza und Döner kennen. Ein Streik türkischer „Gastarbeiter“ – wie sie damals genannt wurden – führte fast zur Spaltung der Ford-Belegschaft.

Auch Willy-Millowitsch schwamm in der Sex-Welle mit

Dieser Streik war vielleicht das herausragendste (wirtschafts-)politische Ereignis dieses halben Jahrzehnts. Prägender waren die gesellschaftspolitischen Umwälzungen, die schon in den späten 1960er Jahren eingeleitet wurden. Jetzt machte auch Willy Millowitsch mit Lied und Film bei der Sex- und Aufklärungswelle mit. Langfristig nicht zu unterschätzen: Die von der Lokalpresse vernachlässigten Bürgerinitiativen fanden im „Volksblatt“ endlich ihr Sprachrohr.

In Zeiten wachsender Fremdenfeindlichkeit noch ein positives Ereignis aus dem Jahr 1975: Von Protesten begleitet, bezogen rund 50 Kölner Zigeunerfamilien bei Roggendorf eine nach ihren Wünschen gebaute Siedlung. Seit 1958 hatten sie in Bickendorf in alten Eisenbahnwaggons aus Kaisers Zeiten hausen müssen. Unter ihnen auch der junge Markus Reinhardt – heute einer der besten Jazz-Geiger. Inzwischen sind die Bewohner als „ganz normale“ Nachbarn akzeptiert.

Im Karneval der frühen 1970er Jahre begann die Karriere der „Bläck Fööss“…

… und der „Höhner“.

Noch ein bisschen schmerzhafte Nostalgie, von Rheindorf mit sonorer Stimme und bisweilen leicht ironischem Ton angeheizt: Der 1. FC Köln war erfolgreich, und sogar die Fortuna spielte kurz in der 1. Fußball-Bundesliga. Und – ach ja – Köln war in den 1972 Jahren schon einmal Millionenstadt – aber ebenfalls nur kurz. Dann schied Wesseling aus der Zwangseingemeindung aus. Nur Porz blieb bis heute. Und auch vom „größten Vergnügungspark Deutschlands“ – dem Kölner „Tivoli“ – musste sich Köln nach wenigen Jahren verabschieden.

[infobox]Hermann Rheindorf: „Köln – Zeitreise in die 70er Jahre, Teil 1: 1970-1975“ – 100 Minuten Spielzeit, 14,80 Euro. Die DVD gibt es auch als Video on demand. Weitere Informationen: www.koelnprogramm.de

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Autor: ehu | | Alle Fotos aus der neuen DVD „Köln – Filmreise in die 70er Jahre, Teil 1“
Foto: Die neue DVD „Köln – Zeitreise in die 70er Jahre, Teil 1: 1970-1975“. Nach Karneval soll der 2. Teil über die Jahre 1976 bis 1980 erscheinen. | Alle Fotos aus der neuen DVD „Köln – Filmreise in die 70er Jahre, Teil 1“