Wien | aktualisiert | Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) will die Zusammenarbeit mit Heinz-Christian Strache (FPÖ) beenden. Er schließe eine weitere Zusammenarbeit mit Strache aus, meldeten österreichische Medien am Samstag vorab. Am Vorabend waren gegen den österreichischen Vizekanzler und Vorsitzenden der FPÖ heftige Vorwürfe laut geworden. Aktualisiert: In Österreich tritt der Chef der an der dortigen Regierung beteiligten FPÖ, Heinz-Christian Strache, als Vizekanzler und als FPÖ-Chef zurück. „Es war ein typisch alkoholbedingtes Machogehabe“, entschuldigte Strache seine heimlich auf Video aufgenommenen Äußerungen, die am Freitagabend veröffentlicht worden waren. Strache war ab 2008 Oppositionsführer im Parlament, ehe er im Dezember 2017 Vizekanzler und Bundesminister für öffentlichen Dienst der Bundesregierung Kurz wurde. Österreich steht vor Neuwahlen – Termin noch offen

Österreich steht vor Neuwahlen – Termin noch offen

20:10 Uhr >Österreich steht vor Neuwahlen, der Termin ist aber noch offen. Er werde die weiteren Abläufe nun mit dem Bundeskanzler erörtern, sagte Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Samstagabend. „Die Bilder, die uns seit gestern erreichen, zeigen ein verstörendes Sittenbild“, sagte Van der Bellen weiter.

„So sind wir nicht, so ist Österreich einfach nicht“, so der Bundespräsident. Das veröffentlichte Video zeige „eine dreiste Respektlosigkeit“, das Vertrauen in die Regierung sei „grundsätzlich erschüttert“ und stelle die Handlungsfähigkeit der Regierung infrage. „Ein Neuaufbau geht in diesem Fall nur mit Neuwahlen“, so Van der Bellen.

Einen konkreten Termin, wie es viele Kommentatoren von ihm erwartet hatte, nannte Van der Bellen aber noch nicht. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte den Bundespräsidenten zuvor um diesen Schritt gebeten. Er hoffe nach Neuwahlen auf eine stabile eigene Mehrheit, um notwendige Vorhaben umzusetzen, begründete Kurz den Schritt.

Koalitionspartner gebe es derzeit keine. „Die FPÖ kann es nicht, die Sozialdemokratie teilt meine inhaltlichen Zugänge nicht“, sagte Kurz. Ausgelöst worden war die aktuelle politische Krise erst am Vorabend durch ein von SZ und Spiegel veröffentlichtes Video, das heimlich aufgenommen wurde und Kurz` bisherigen Koalitionspartner Heinz-Christian Strache (FPÖ) zeigt.

Offensichtlich war Strache eine Falle gestellt worden, auf dem Video sieht man, wie er vor der letzten Nationalratswahl in einer Villa auf Ibiza mögliche Auftragsvergaben durch eine neue Regierung erörtert – im Gegenzug für Wahlkampfhilfe. „Genug ist genug“, kommentierte Österreichs Bundeskanzler diesen Vorgang. Die Methode, also das heimliche Aufnehmen solcher Videos, sei zwar „verachtenswert“, so Kurz, der Inhalt aber „ist wie er ist“. Was über ihn selbst in dem Video gesagt werde sei „eigentlich nebensächlich“, so der Bundeskanzler.

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Stimmen aus Deutschland

Baerbock fordert Neuwahlen in Österreich

Auch in Deutschland schlägt das heimlich gefilmte Video, in dem Österreichs Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache offenbar Staatsaufträge im Austausch für Wahlkampfhilfe in Aussicht stellt, hohe Wellen. Die Grünen-Chefin Annalena Baerbock sagte der „Welt am Sonntag“: „Dieser ungeheuerliche Skandal zeigt, Rechtspopulisten verachten unsere Werte wie Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit und arbeiten an der systematischen Aushöhlung der Demokratie.“ In der Regierung Österreichs werde es nicht reichen, nur Köpfe auszutauschen.

„Es ist daher absolut richtig, dass die österreichischen Grünen Neuwahlen fordern. Europa ist eine Werteunion, das müssen die europäischen Staats- und Regierungschefs Kanzler Kurz jetzt unmissverständlich klar machen.“ Nach diesem unglaublichen Skandal müsse jedem Konservativen in Deutschland klar sein, „eine Zusammenarbeit mit Rechtspopulisten wäre ein Dammbruch für die Demokratie. Egal auf welcher Ebene“, so Baerbock in der „Welt am Sonntag“

Maas kritisiert Österreichs Bundeskanzler für Koalition mit FPÖ

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) hat den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) für seine Regierungskoalition mit der rechtspopulistischen FPÖ scharf kritisiert. „Rechtspopulisten sind die Feinde der Freiheit. Mit Rechtspopulisten gemeinsame Sache zu machen, ist verantwortungslos“, sagte Maas „Bild am Sonntag“.

Auch wenn er fest davon überzeugt sei, dass die große Mehrheit in Europa das längst erkannt habe, rief Maas angesichts der Europawahl zu einem deutlichen Bekenntnis gegen Rechtspopulisten auf: „Wir müssen laut und klar genug gegenhalten, damit Rechtspopulisten in Europa nicht noch mehr Zulauf bekommen.“

Ziemiak: Menschen wie Strache nicht regierungsfähig

Der Generalsekretär der CDU, Paul Ziemiak, kritisiert die österreichische FPÖ hart. „Der Fall Strache zeigt: Rechtspopulisten geht es immer nur um sie selbst, nie um Politik für die Menschen.“, sagte Ziemiak der „Welt am Sonntag“: „Menschen wie Strache haben nichts in einer Regierung zu suchen. Wir müssen bei der Europawahl verhindern, dass Rechtspopulisten in Europa an Einfluss gewinnen können.“

Der FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache war am Morgen von seinen Ämtern als Vizekanzler und Parteichef zurückgetreten, weil er in einem am Freitag veröffentlichten Video aus dem Jahr 2017 einer angeblichen russischen Investorin staatliche Aufträge als Gegenleistung für Wahlkampfhilfe verspricht. Straches FPÖ regiert in einer Koalition mit der Österreichischen Volkspartei von Sebastian Kurz, einer Schwesterpartei von Ziemiaks CDU.

„Stracheklimbim“ – SPD will von Österreich-Krise profitieren

Die SPD will im Endspurt des Europawahlampfes von der Regierungskrise in Österreich profitieren. Unter dem Hashtag „Stracheklimbim“ verbreiteten die Sozialdemokraten am Samstagnachmittag ein Foto von Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz und EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber über Soziale Netzwerke. „Union-Parteifreund Kurz hat Strache erst zum Vize-Kanzler gemacht und trägt Verantwortung“, heißt es in einer Mitteilung, die an SPD-Anhänger verschickt wurde.

Sebastian Kurz sei gleichzeitig der aktivste und engste Unterstützer von Manfred Weber. Der von der SPD verbreitete Hashtag „Stracheklimbim“ ist auch eine Anspielung auf eine Äußerung des wirtschaftspolitischen Sprechers der Unionsbundestagsfraktion, Joachim Pfeiffer. Der hatte diverse Sozialleistungen als „Sozialklimbim“ bezeichnet.

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Regierungskrise in Wien: Strache spricht von „politischem Attentat“

12:57 Uhr >Der als FPÖ-Chef und Österreichischer Vizekanzler zurückgetretene Heinz-Christian Strache spricht angesichts der von ihm veröffentlichten Videoaufnahmen von einem „politischen Attentat“. Der Vorgang gehöre zu einer Reihe von „über das Ausland geheimdienstlich gesteuerten Aktionen“, sagte Strache am Samstag unmittelbar bevor er seinen Rücktritt von allen Ämtern erklärte. Er werde „medienrechtliche und strafrechtliche Anzeigen“ erstatten und dabei auch hinterfragen, „welche Rolle der Herr Böhmermann“ bei dem Vorgang gespielt habe.

Der Satiriker Jan Böhmermann hatte bereits Mitte April in einem Video-Grußwort für die Verleihung des österreichischen Fernsehpreises „Romy“ gescherzt, er hänge „gerade ziemlich zugekokst und Red-Bull-betankt mit ein paar FPÖ-Geschäftsfreunden in einer russischen Oligarchenvilla auf Ibiza“ rum. Strache erklärte am Samstag, die beiden beauftragten Lockvögel hätten über Monate eine persönliche Ebene zu seinem Vertrauten aufgebaut, er habe sie aber nur ein einziges Mal getroffen. Bezüglich seiner eigenen auf dem Video zu sehenden Äußerungen räumte Strache allerdings Fehler ein, die dem zunehmenden Alkoholgenuss geschuldet seien.

„Ja, es war eine besoffene Geschichte“, sagte Strache. „Es war ein typisch alkoholbedingtes Machogehabe.“ Nüchtern betrachtet seien seien Äußerungen katastrophal.

Seine Aufgaben als FPÖ-Chef soll nun Norbert Hofer übernehmen, so Strache. Hofer war bei der Bundespräsidentenwahl 2016 der Kandidat der FPÖ, unterlag aber letztlich dem Grünen Alexander Van der Bellen. Wer Straches Job als Vizekanzler übernimmt, sagte der Zurückgetretene nicht, was Vermutungen bestärkt, dass die Koalition zwischen ÖVP und FPÖ nun ohnehin am Ende ist.

„Kurier“: Kurz will in Neuwahlen gehen

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) will laut eines Berichts der österreichischen Zeitung „Kurier“ in Neuwahlen gehen. Kurz wolle mit dem wahrscheinlichen Strache-Nachfolger Norbert Hofer (FPÖ) nicht weiterregieren, berichtete die Zeitung am Samstagvormittag auf ihrer Internetseite. „Die Geschichte ist definitiv vorbei“, zitiert die Partei informierte Kreise aus der Regierungspartei ÖVP. Am Vorabend waren gegen den österreichischen Vizekanzler und Vorsitzenden der FPÖ, Heinz-Christian Strache, heftige Vorwürfe laut geworden.

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10:00 Uhr > Der deutsche „Spiegel“ und die „Süddeutsche Zeitung“ berichteten unisono am Freitagabend in ihren Internetangeboten, Strache habe sich vor der letzten Nationalratswahl bereit gezeigt, als Gegenleistung für Unterstützung im Wahlkampf öffentliche Aufträge zu vergeben. Es gebe entsprechende heimlich erstellte Videoaufnahmen, die „Spiegel“ und SZ zugespielt worden seien, berichten beide Medienhäuser. Auf den Aufnahmen soll ein Treffen Straches und seines Vertrauten, dem heutigen FPÖ-Fraktionsvorsitzenden Johann Gudenus, im Juli 2017 auf Ibiza mit der angeblichen Nichte eines russischen Oligarchen zu sehen sein.

Die Frau gab an, rund eine Viertelmilliarde Euro in Österreich investieren zu wollen, und deutete mehrmals an, dass es sich dabei um Schwarzgeld handeln könnte. Trotzdem sollen Strache und Gudenus gut sechs Stunden lang bei dem Treffen sitzen geblieben sein und hätten über Anlagemöglichkeiten in Österreich diskutiert. Das Treffen war offensichtlich als Falle für die FPÖ-Politiker organisiert worden, schreibt der „Spiegel“.

Noch am Freitagabend war es deswegen in Wien zu Krisensitzungen bei ÖVP und FPÖ gekommen. Für 11 Uhr am Samstag war Strache im Bundeskanzleramt zum Gespräch mit Kurz angemeldet, schon vorher war klar, dass sich Strache und Kurz danach an die Öffentlichkeit wenden wollten. „Strache vor Rücktritt“, meldete der Österreichische Rundfunk (ORF) am Morgen.

In Österreich bilden ÖVP und FPÖ seit Dezember 2017 eine gemeinsame Regierungskoalition. Aus der vorgezogenen Nationalratswahl im Oktober 2017 ging die ÖVP unter dem Listennamen „Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei (ÖVP)“ als stimmenstärkste Partei hervor.

Autor: dts | Foto: Truba7113/Shutterstock.com
Foto: Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz.  | Foto: Truba7113/Shutterstock.com