Köln | Das Orangerie Theater zeigt mit „H3XEN“ von Helena Aljona Kühn, wie der Hexen-Mythos auch in der heutigen Zeit noch unser gesellschaftliches Bild von Frauen beeinflusst. Das Stück stellt ihn auf interessante und gelungene Weise durch Musik, Tanz und Videokunst der heutigen Realität gegenüber.

Drei weiße Styropor-Häuser stehen zu Beginn vor der Foto-Projektion eines dunklen, mystischen Waldes. Unerwartet steigen sie in die Höhe und unter ihnen entdeckt man menschliche Beine, die sich fortan wie Hühnerbeine watschelnd über die Bühne bewegen mit dem Haus auf dem Oberkörper liegend. Dies erinnert an das russische Märchen der Baba Jaga, in dem eine alte Hexe, die in einem Wald in einem Haus auf Hühnerbeinen wohnt, Menschen frisst. Nachdem sich drei Frauen, die sich unter den Häusern befanden, wie schlüpfende Küken von ihrer Hülle befreien, watscheln sie hintereinander über die Bühne. Krächzen „Knusper, Knusper knäuschen, wer knuspert an mein’ Häuschen“ und verweisen damit auf das deutsche Märchen „Hänsel und Gretel“, das dem lachenden Publikum durchaus bekannter zu sein scheint.

Versaute Hexen, die Männern keine Chance lassen

Die anfängliche amüsante, Kindheitserinnerungen wachrufende Stimmung wird unterbrochen von Stella Veinoglou, die das Thema und die Ernsthaftigkeit wieder in den Vordergrund rückt. Denn es geht um alte Mythen und Spuren von Hexen, die die heutige Gesellschaft und das vorhandene Frauenbild prägen. In einem dieser Mythen geht es um eine Schweine-Göttin, die ihre Kinder – die Sterne – frisst und immer wieder von Neuen gebärt. Während erzählt wird, wie furchtbar, versaut und schmutzig die Hexe ist, rekelt sich Stella Veinoglou auf dem Boden oder liegt demonstrativ breitbeinig auf der Bühne. Von einer zweiten Göttin, die des Windes, heißt es, sie habe sich einem Mann verweigert, der sie daraufhin einfach packte und mehrmals seinen Samen in sie goss.

Diese mythischen Geschichten ziehen sich durch den Abend und erhalten durch die tänzerische Untermalung eine eindringliche Wirkung. Dabei sind die drei Frauen zu Beginn des Stückes noch mit hochgeschlossenen Kleidern und Kopftuch gekleidet, dann tragen sie modernere und freizügigere Kleidung: Das Publikum wird mit der Gegenwart konfrontiert, in der die Mythen immer noch von Bedeutung sind.

Wenn eine Heilpraktikerin als Hexe beschimpft wird

Wie genau das heutige Bild einer Hexe aussehen könnte, schildert Maria Sauckel-Plock mit der kurzen Erzählung eines Mädchens, dessen Mutter, die beruflich als Heilpraktikerin tätig ist und als Hexe beschimpft wird. In der Schule wird das Mädchen ausgelacht, doch zu Hause findet auch sie Interesse an der heilenden Kraft der Natur. Eine ganz andere Erfahrung bringt Helena Aljona Kühn mit ihrer russischen Oma bei, die damals bei ihrem Opa einen Zauberspruch anwendete, der dafür sorgte, dass er „bei keiner anderen Frau mehr einen hochbekam“. Zum Bedauern des weiblichen Publikums, hat ihre Enkelin diesen Spruch leider vergessen.

Dies sind Geschichten, die kleine Mädchen von ihren Großeltern erzählt bekommen und deren Frauenbild formen. Auch wenn es als amüsante Anekdote verpackt ist, folgt in der nächsten Szene eine reflektierte Ich-Beobnachtung: Hinter der Mauer eines Styropor-Hauses findet eine der Frauen eine positive Wendung zum eigenem Körper – trotz Narben und eines Arschgeweihs: „Ich mag meine Rundungen, meine Ecken und Kanten.“

Weiblichkeit und männliche Machtansprüche

Dann zeigt ein Video eine nackte Frau, der Zuschauer sieht einerseits einen Körper, versteckt und bedeckt, andererseits einen Körper, der sich streckt und dessen Herzschlag durch die Haut seine Lebendigkeit beweist. Ein zweites Video zeigt blutverschmierte Oberschenkel und eine Hand, die Blut von den rot bemalten Lippen wischt. Bewusst provokant arbeitet Regisseurin Helena Aljona Kühn gemeinsam mit dem Videokünstler Bülent Kirschbaum hier mit der Periode und einem Ekelgefühl. Damit leitet er einen Monolog von Stella Veinoglou ein. Sie fragt sich, was sich eine Frau von einem Mann gefallen lassen muss und welche Macht er über ihr Aussehen hat.

Die Botschaft des Stückes, dass die Frau nicht von Natur aus dem Mann unterlegen ist, unterstreichen die Darstellerinnen durch eine Superman- beziehungsweise Superwoman-Pose. Dass die Stellung der Frau in der heutigen Zeit noch unter den Mythen der Vergangenheit leidet, beziehungsweise die Hexenjagd noch nicht zu Ende ist, macht das letzte Video deutlich. Es verbindet vergangene und aktuelle Vorkommnisse und erinnert etwa an Amina Nassar, die vor wenigen Jahren in Saudi-Arabien der Hexerei beschuldigt und hingerichtet wurde.

[infobox]„H3XEN“ – die nächsten Vorstellungen: 14. April (18 Uhr), 25. bis 27. April, jeweils 20 Uhr, 28. April (18 Uhr), Orangerie dieses Themas.Orangerie Theater im Volksgarten. Volksgartenstraße 25, 50677 Köln. Karten unter 0221 – 9522708 und info@orangerie-theater.de

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Autor: Von Franziska Venjakob | Foto:Bülent Kirschbaum
Foto: Mystischer Hexentanz mitMaria Sauckel-Plock,Helena Aljona KühnundStella Veinoglou (v.l.) – doch von wegen Vergangenheit: Der Hexenmythos hat unselige Folgen bis heute. Foto:Bülent Kirschbaum