Der russische Präsident Putin in einer Zeichnung.

Moskau | dts | In einer am Montagabend im russischen Fernsehen übertragenen Ansprache hat Russlands Präsident Wladimir Putin rund eine Stunde lang über seine Version des Zerfalls der Sowjetunion und die Situation der Ukraine referiert – und am Ende die Anerkennung der Separatistengebiete in der Ost-Ukraine verkündet. Die Reaktionen im Westen.

Die Rede hörte sich allerdings über weite Strecken an wie die Begründung für einen Feldzug gegen die gesamte Ukraine – wenngleich wörtlich davon zunächst keine Rede war. „Die moderne Ukraine wurde voll und ganz durch Russland erschaffen“, sagte er.

Die Bolschewiki hätten sich nach dem Krieg um jeden Preis an der Macht halten wollen und deswegen „sehr großzügige Geschenke“ gemacht. Die Menschen, die dort wohnten, die russische Bevölkerung, habe niemand gefragt. Die heutige Ukraine sei von Korruption zersetzt und gespalten.

Der Maidan-Umsturz habe das Land in eine Sackgasse geführt. Es gebe dort keine unabhängigen Gerichte, so Putin. Die Ukraine wolle ihre eigenen Atomwaffen, habe dafür noch Grundlagen aus der Sowjetzeit und bekomme womöglich Unterstützung aus dem Ausland.

Putin klagte, er habe den damaligen US-Präsidenten Bill Clinton persönlich gefragt, was er davon halte, wenn Russland der NATO beitrete: Die Reaktion sei „verhalten“ gewesen. Das habe er noch nie in der Öffentlichkeit erzählt, sagte Putin. „Man fragt sich einfach nur, warum macht ihr das?“, sagte der russische Präsident.

Er sei sich sicher, dass die NATO vorhabe, Raketen in der Ukraine zu platzieren. „Das ist wie ein Messer am Hals“, so Putin.

EU kündigt Sanktionen gegen Russland an – Baerbock entsetzt

Nach der Anerkennung der Separatistengebiete in der Ost-Ukraine hat die EU Sanktionen gegen Russland angekündigt. „Dieser Schritt ist ein eklatanter Verstoß gegen das Völkerrecht sowie gegen die Minsker Vereinbarungen“, teilten EU-Ratspräsident Charles Michel und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in einer Erklärung mit. Die Europäische Union werde „mit Sanktionen gegen diejenigen reagieren, die an dieser rechtswidrigen Tat beteiligt sind“.

Weitere Details blieben zunächst offen. Mit scharfen Worten reagierte auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Abend. Die heutige Anerkennung der separatistischen selbsterklärten „Volksrepubliken“ in der Ostukraine sei auch ein schwerer Schlag für alle diplomatischen Bemühungen zur friedlichen Beilegung und politischen Lösung des aktuellen Konflikts.

„Jahrelange Bemühungen im Normandie-Format und der OSZE werden damit willentlich und ohne nachvollziehbaren Grund zunichte gemacht“, sagte Baerbock. „Deutschland steht weiter unverbrüchlich an der Seite der Ukraine in ihren international anerkannten Grenzen. Wir werden auf diesen Völkerrechtsbruch reagieren. Dazu stimmen wir uns mit unseren Partnern ab.“ Gleichzeitig forderte sie Russland auf, „die Entscheidung rückgängig zu machen“. 

Russland schickt Truppen in Ost-Ukraine

Russland schickt Truppen in die Separatistengebiete in der Ost-Ukraine. Kurz nach der formalen Anerkennung der beiden „Volksrepubliken“ rollten am späten Montagabend bereits Militärkolonnen in den Donbass, wie Augenzeugen vor Ort bestätigten. Nach Darstellung aus Moskau handelt es sich um „Friedenstruppen“.

Das russische Verteidigungsministerium verbreitete in der Nacht zu Dienstag ein entsprechendes Dekret Putins. Der hatte die Anerkennung der Separatistengebiete am Abend mit einer einstündigen Erklärung im Fernsehen begründet. Die EU und die USA kündigten unmittelbar danach bereits umfangreiche Sanktionen an.

Mit dem nun erfolgten tatsächlichen Einmarsch russischer Truppen dürfte es den westlichen Alliierten leichter fallen, diese auch umzusetzen. Am Abend gab es in Brüssel bereits Diskussionen unter EU-Diplomaten, weil Sanktionen eigentlich nur für den Fall einer Invasion angedroht worden waren.

Scholz spricht mit Biden und Macron – Konsequenzen angedroht

Berlin | dts | Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat am Abend mit US-Präsident Joe Biden und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gesprochen, nachdem der russische Präsident die beiden so genannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk am Montag formal anerkannt hat. „Alle drei Gesprächspartner waren sich einig, dass dieser einseitige Schritt Russland ein klarer Bruch des Minsker Abkommens ist“, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit nach dem Gespräch. „Deutschland, Frankreich und die USA verurteilten die Entscheidung des russischen Präsidenten scharf.“

Dieser Schritt werde nicht unbeantwortet bleiben, hieß es. „Der Bundeskanzler, der US-Präsident und der französische Präsident erklärten sich solidarisch mit der Ukraine und würdigten die bislang zurückhaltende Reaktion, die die Ukraine unter Führung von Präsident Wolodymyr Selensky unter Beweis gestellt hat.“ Die Partner seien sich einig gewesen, „nicht nachzulassen in ihrem Einsatz für die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine“.

Zugleich werde man sich nach Kräften dafür engagieren, eine weitere Eskalation der Lage zu verhindern.

Putin-Rede versetzt Märkte in Schockstarre – Gas und Öl teurer 

Die Ansprache des russischen Präsidenten Wladimir Putin am Montagabend hat die Märkte regelrecht in Schockstarre versetzt. Nachbörslich gingen die Kurse von Aktien durch alle Branchen während der Rede in den Keller, um sich danach wieder etwas zu erholen. Offenbar hatten manche Investoren angesichts des einstündigen „Geschichtsexkurses“ des russischen Präsidenten noch mehr erwartet als „nur“ die Anerkennung der Separatistengebiete in der Ost-Ukraine.

Die US-Börsen waren wegen eines Feiertages geschlossen, aber auch Papiere von US-Schwergewichten wie Amazon oder Google-Muttergestellschaft Alphabet machten im deutschen Späthandel diese Berg-und-Talfahrt durch. Der Goldpreis konnte nur leicht profitieren, am Abend wurden für eine Feinunze 1.904 US-Dollar gezahlt (+0,5 Prozent). Das entspricht einem Preis von 54,09 Euro pro Gramm.

Der Ölpreis stieg hingegen stark: Ein Fass der Nordsee-Sorte Brent kostete am Montagabend gegen 22 Uhr deutscher Zeit 96,63 US-Dollar, das waren 3,3 Prozent mehr als am Freitag. Und US-Gas verteuerte sich am Montag um rund sieben Prozent auf 4,76 US-Dollar pro MMBtu. Das entspricht allerdings weiterhin nur rund 14 Euro pro Megawattstunde, US-Gas ist damit immer noch weitaus günstiger als das Gas in Europa, wo etwa das fünffache aufgerufen wird.