Die Polizei hat heute am 11. Januar 2023 mit der Raeumung der Ortschadt Luetzerath begonnen. | Foto: IMAGO/Sven Simon

Lützerath | dts, red | aktualisiert | Bei der umstrittenen Räumung der Ortschaft Lützerath gibt es heftige Gegenwehr von Klimaaktivisten. Bereits kurz nach Beginn der neuen Phase des Polizeieinsatzes kam es am Mittwochmorgen zu neuen Auseinandersetzungen mit Demonstranten. Laut Polizei wurden Steine und Pyrotechnik in Richtung der Einsatzkräfte geworfen, außerdem war von Molotow-Cocktails die Rede.

Bei einer Sitzblockade auf der L277 sei ein Shuttle für Journalisten behindert worden. Auch bei der Entfernung von Barrikaden und Konstruktionen im Umfeld von Lützerath durch die Polizei sei es zu „Widerstandsdelikten“ von mehreren Personen gekommen. Die Aktivisten sprachen von mehreren verletzten Personen in einem Polizeikessel, deren Evakuierung verhindert werde.

Nach eigenen Angaben haben sich Protestler von einer alten Autobahnbrücke über einer Straße abgeseilt und an anderer Stelle eine Stahlträger-Barikade errichtet, die von Polizeibeamten freigeschweißt werden muss. Die Aktivisten klagten darüber, dass von den Einsatzkräften Bauzäune auf Traktoren angeliefert würden und mittlerweile der ganze Ort umstellt sei. Der Energieversorgungskonzern RWE plant, Lützerath vollständig abzureißen, um den Tagebau Garzweiler auszudehnen. Die Umsiedlung des Ortes begann 2006 und wurde im Oktober 2022 endgültig abgeschlossen.

Grüne Jugend NRW kritisiert die Räumung von Lützerath

Die Grünen sind in der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit der CDU. Die Jugendorganisation der Grünen folgt nicht der Mutterpartei und bewertet die Räumung des Dorfes als falsch.

Rênas Sahin, Landessprecher der Grüne Jugend NRW in einem schriftlichen Statement: „Die Räumung des Dorfes und die darauffolgende Verbrennung der darunter liegenden Kohle ist in der bestehenden und sich noch weiter verschärfenden Klimakrise falsch. Als Grüne Jugend NRW sind wir Teil der vielfältigen Klimabewegung. Wir werden in den nächsten Wochen weiter laut auf der Straße für Lützerath einstehen und bei den Aktionen rund um das Dorf für wirksame Klimapolitik kämpfen.“

Grüne Jugend übt scharfe Kritik an Polizeigewalt in Lützerath   

Der Chef der Grünen Jugend, Timon Dzienus, hat den Polizeieinsatz bei der Räumung der Siedlung Lützerath im Rheinischen Braunkohlerevier scharf kritisiert. „Ich habe erlebt, wie heute Morgen Dutzende Hundertschaften von Polizisten brutal auf das Gelände gestürmt sind und Demonstranten mit Hieben und Tritten angegriffen haben. Ich habe hier viele blutende Menschen gesehen“, sagte Dzienus der „Rheinischen Post“ (Mittwochsausgabe).

Die Gewalt sei eindeutig von der Polizei ausgegangen und nicht von den Demonstranten und Aktivisten, sagte Dzienus, der am Mittwoch selbst unter den Demonstranten vor Ort war. Er verteidigte die Beteiligung von Grünen-Vertretern an den Protesten. Trotz der Entscheidungen, die grüne Minister „aus rechtlichen Gründen gefällt“ hätten, müsse es möglich sein, vor Ort zu protestieren und die Räumung von Lützerath stoppen zu wollen.

„Auf dem Grünen-Parteitag haben die Gegner der Räumung auch nur knapp verloren“, so Dzienus. „Ich repräsentiere hier mit meinem Protest also auch die Meinung von fast der Hälfte aller Grünen-Delegierten auf dem jüngsten Parteitag“, sagte er. „Es ist wichtig, dass diese Räumung auch aus den Reihen der Grünen kritisiert wird.“

Dzienus übte daher indirekt Kritik an Grünen-Politikern wie NRW-Umweltminister Oliver Krischer, der den Protestlern vorgeworfen hatte, am falschen Ort zu demonstrieren. „Das kann ich nicht nachvollziehen. Wir protestieren hier gegen gigantische, zerstörerische Bagger des Energiekonzerns RWE, der zurzeit wieder viele Milliarden mit der Kohleverstromung verdient und für den Kohleausstieg bereits mit weiteren Milliarden abgefunden wird“, so der Vorsitzende der Grünen Jugend.

„Unser Protest richtet sich genau gegen die Richtigen und ist absolut richtig. Es geht hier um viel mehr als um Lützerath, es geht um die Ernsthaftigkeit der gesamten Klimaschutzpolitik in Deutschland.“ Er sehe vor Ort vor allem friedliche Proteste.

„Wenn aber Hundertschaften der Polizei auf uns zustürmen und zuschlagen, dann ist das auch eine Gewaltanwendung“, so Dzienus. „Wenn manche behaupten, Gewaltanwendung darf kein Mittel der Durchsetzung politischer Ziele sein, dann sollten sie dies unbedingt zunächst einmal auf die Polizei beziehen.“

Innenministerin kritisiert Widerstand gegen Räumung von Lützerath

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat den Widerstand gegen die Räumen der Siedlung Lützerath im Rheinischen Braunkohlerevier scharf kritisiert. „Wer brennende Barrikaden errichtet oder sich in wackligen Baumhäusern versteckt, bringt sich selbst und die Einsatzkräfte in große Gefahr“, sagte sie dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Donnerstagsausgaben). „Das ist verantwortungslos.“

Sie habe „null Verständnis für Gewalt“ und null Verständnis dafür, politische Fragen „auf dem Rücken“ von Polizeibeamten auszutragen. „In einer Demokratie entscheiden Parlamente und demokratisch gewählte Regierungen“, so die Innenministerin. Wer seine Anliegen mit Gewalt erzwingen wolle, verlasse diesen Konsens.

„Und wer so handelt, riskiert den Rückhalt und die Akzeptanz in unserer Gesellschaft, die gerade im Kampf gegen die Klimakrise notwendig ist“, sagte die SPD-Politikerin. Wenn Einsatzkräfte attackiert würden, sei die Grenze des demokratischen Protests überschritten. Die Ministerin dankte den Polizeibeamten aus dem gesamten Bundesgebiet sowie den 600 Kräften der Bundespolizei zugleich „sehr herzlich für diesen schwierigen Einsatz“. An dem Einsatz in Nordrhein-Westfalen sind 14 von 16 Länderpolizeien und die Bundespolizei beteiligt.

715 Wissenschaftler fordern Kohle-Moratorium für Lützerath   

In einem offenen Brief haben sich 715 Wissenschaftler für ein Moratorium über die Räumung von Lützerath ausgesprochen. „Es gibt substanzielle wissenschaftliche Zweifel an der akuten Notwendigkeit einer Räumung“, schreiben die in der Gruppe „Scientists for Future“ organisierten Forscher. Sie nennen insgesamt sechs Gutachten, die zu dem Schluss kämen, dass ein Abbau der Braunkohle unter Lützerath für eine technische Versorgungssicherheit und Netzstabilität nicht nötig, sondern politisch bestimmt sei.

„Vielmehr steht die Förderung und Verstromung dieser Kohle einer am Pariser Klimaabkommen und dem europäischen Klimagesetz ausgerichteten Energiepolitik entgegen.“ Die Wissenschaftler sehen es daher als ihre „Pflicht an, auf die Konsequenzen einer Räumung von Lützerath hinzuweisen“, schreiben sie. „Der Umstiegspfad auf erneuerbare Energien sollte sich somit insbesondere an einem deutschen und europäischen CO2-Budget ausrichten, das mit den Klimazielen von Paris im Einklang steht und ethisch vertretbar ist.“

Ein Moratorium biete die „Chance für einen transparenten Dialogprozess mit allen Betroffenen zur Entwicklung von zukunftsfähigen Pfaden der gesellschaftlichen Transformation“, heißt es in dem offenen Brief.

Das sagen die Grünen zur Räumung von Lützerath

Yazgülü Zeybek, Co-Landesvorsitzende der Grünen NRW: „Dass Lützerath nicht erhalten werden konnte, ist bitter. Doch die rechtliche Lage ist mit dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts endgültig geklärt und der russische Angriffskrieg hat die energiewirtschaftliche Lage schlagartig geändert. Deshalb haben wir Verantwortung übernommen und mit der Vereinbarung zwischen Land, Bund und RWE den Kohleausstieg um acht Jahre vorgezogen. Jetzt müssen wir weiter, gemeinsam mit der Klimabewegung, den Ausbau der Erneuerbaren vorantreiben und Emissionen in allen Bereichen reduzieren, um das 1,5-Grad-Ziel zu halten. Vor allem im Bereich Verkehr. Dafür werde ich und werden wir als Partei zusammen weiterkämpfen.“

Tim Achtermeyer: „Die Situation ist nicht einfach. Wir haben uns die aktuelle Lage nicht ausgesucht und hätten uns eine andere gewünscht. Doch klar ist: Auch ohne die Grünen hätte Lützerath nicht bleiben können. Aber ohne die Grünen wäre für den Klimaschutz nichts erreicht worden. RWE hätte die Kohle unter Lützerath abbaggern dürfen, fünf Dörfer und drei Höfe wären verloren gewesen, rund 500 Menschen hätten zwangsumgesiedelt werden müssen und der Kohleausstieg wäre auch im Rheinischen Revier erst 2038 erfolgt. Die Grünen haben also auch große Erfolge erzielt. Für die Menschen in den geretteten Dörfern und für unseren gemeinsamen Weg in eine klimaneutrale Zukunft. Friedlicher Protest kann dabei helfen, Druck auf diejenigen auszuüben, die heute noch an der Kohle hängen. Eine Grenze ist für uns jedoch ganz klar: Gewalt in jeder Form lehnen wir ab. Deshalb rufen wir alle Beteiligten dazu auf, zur Deeskalation der Lage beizutragen.“

ag