Berlin | Der am gestrigen Montagabend überraschend verkündete Kompromiss zum Asylstreit zwischen den Schwesterparteien CDU und CSU hat am heutigen Dienstag einen ganzen Reigen unterschiedlicher Reaktionen nach sich gezogen.

Besonders die SPD im Bundestag und deren politische Vertreter meldeten sich zu Wort. Für den Obmann des Bundestags-Innenausschusses Burkhard Lischka ist der neue Kompromiss der Konservativen kein Automatismus, vielmehr sieht er ihn an Bedingungen geknüpft, wie der SPD-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland gegenüber äußerte.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) müsse „zeitnah“ Eckpunkte für das verabredete Einwanderungsgesetz vorlegen, das von ihm beabsichtigte „Grenzregime“ zu Österreich definieren sowie „ohne Verzögerung“ mit der Abschiebung ausreisepflichtiger Gefährder beginnen, so Lischka weiter. „Der Mann muss sinnvoll beschäftigt werden. Und speziell bei der raschen Abschiebung ausreisepflichtiger Gefährder kann der Minister sofort handeln, wenn er es wirklich ernst meint“, betonte der Sozialdemokrat.

Nach der unionsinternen Einigung zu Migrationsfragen sieht Lischka seine Forderungen „als Junktim“, um in der Großen Koalition über die von der Union geplanten Grundsatzvereinbarungen aus Seehofers Masterplan Migration zu reden. „Ich erwarte jetzt den verbindlichen Zeitplan für das Einwanderungsgesetz, das unter anderem auf einem Punktesystem beruhen sollte und das nicht zuletzt die Einreise nicht-akademischer Fachkräfte vernünftig und klar verständlich regeln sollte“, sagte er weiter.

Der Bundesinnenminister müsse bis Herbst seinen Gesetzesvorschlag dazu präsentieren. Bei dem von Seehofer angestrebten „Grenzregime“ an der Außengrenze zu Österreich erwarte die SPD „Klarheit, was damit gemeint ist“. Bisher kenne man „nur Schlagworte“ und frühere Überlegungen aus der Bundespolizei bis hin zu einer Besetzung aller grenzüberschreitenden Brücken.

„Wir wollen wissen, was jetzt wirklich geplant ist“, sagte Lischka. Unter Verweis auf die von Seehofer angestrebten „Transitzentren“ verwies Lischka darauf, dass man es anders als zu Zeiten der ganz großen Flüchtlingswelle mittlerweile nicht mehr mit Tausenden von Menschen zu tun habe. Er selbst habe „mit Expresszentren“ in kleinem Umfang, in denen auf Basis bilateraler Verträge die Asyllage geprüft und dann staatlich gehandelt werde, „keine Probleme“, stellte Lischka klar.

Auch die amtierende Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, knüpfte ihre Zustimmung an bestimmte Voraussetzungen. „Die Verbindung von Humanität, Ordnung und europäischer Zusammenarbeit ist für uns zentral – das muss sich am Ende auch in dem Ergebnis widerspiegeln“, sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Mittwochausgaben). Für die SPD gebe es „keinen Automatismus in der Koalition“.

Die stellvertretende SPD-Vorsitzende zeigte sich skeptisch ob der Asyl-Einigung von CDU und CSU. An dem Kompromiss werde deutlich, dass es „ausschließlich um einen eiskalten Machtkampf“ gegangen sei. „Jetzt wird sich die SPD Zeit nehmen, um die Vorschläge der Union gründlich zu prüfen und zu diskutieren“, so Dreyer.

Auch Katarina Barley, SPD-Justizministerin im Kabinett Merkel, sieht die so genannte „Einigung“ kritisch. Sie lasse mehr Fragen offen, als sie beantwortet, erklärte Barley den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Grundlage der gemeinsamen Reagierung aber bleibe das Grundgesetzt sowie die gemeinsame Koalitionsvereinbarung, die vertraglich fixiert sei, stellte Barley klar.

Kritik auch aus den Reihen der Konservativen

Auch in den eigenen Reihen ist der Asylplan der Union nicht unumstritten. So zeigte sich unter anderem EU-Kommissar Günther Oettinger nicht wirklich überzeugt. „Das Beste an der Einigung ist, dass es überhaupt eine Einigung gibt“, sagte Ottinger der „Rheinischen Post“ (Mittwochausgabe). Inhaltlich aber sei er skeptisch, unter anderem weil die Pläne in der Umsetzung viele Fragen aufwürfen, „europarechtliche Fragen, Fragen der nachbarschaftlichen Beziehungen und Fragen für den Koalitionspartner SPD“.

Die Einigung zwischen CDU und CSU sieht vor, dass Geflüchtete, die bereits in anderen EU-Ländern registriert worden sind, an ihrer Einreise gehindert werden. Bereits registrierte Geflüchtete werden demnach in sogenannte Transitzentren gebracht, die bereits 2015 unter dem Begriff Transitzonen von der SPD abgelehnt wurden. In bestimmten Fällen soll es Zurückweisungen an der deutsch-österreichischen Grenze geben. Weitere Details dazu aber wurden auch am heutigen Dienstag nicht bekannt.

Grundgesetzänderung notwendig – Fiktion einer Nichteinreise

Unterdessen meldeten Experten aus einer anderen Richtung Bedenken am gefundenen Kompromiss an. Der Staatsrechtler Joachim Wieland beispielsweise äußerte „erhebliche, verfassungsrechtliche Bedenken“ gegen die von der Union beschlossenen Transitzentren. „Die Transitzentren wären nur dann mit deutschem Recht vereinbar, wenn sie tatsächlich dem Flughafenverfahren vergleichbar sind. Das erscheint mir schon deshalb zweifelhaft, weil die Nichteinreise am Flughafen augenfällig ist“, sagte der Professor an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer dem „Handelsblatt“ (Mittwochausgabe).

In den geplanten Transitzentren im Landesinnern müsse jedoch von einer „faktischen Einreise“ ausgegangen werden, die den Betroffenen den Grundrechtsschutz in Deutschland, insbesondere auf ein faires Verfahren und gerichtlichen Rechtsschutz, eröffne. „Das kann nicht durch eine gesetzliche Fiktion ausgehebelt werden, sondern setzt eine Grundgesetzänderung voraus“, betonte Wieland. Der Jurist gab zudem zu bedenken, dass anders als am Flughafen Asylbewerber in Transitzentren im Inland auch „bewacht und faktisch wie in einem Gefängnis festgehalten werden“.

Das sei aber nach der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996 wenn überhaupt nur für wenige Tage zulässig. Die entsprechenden Fristen im Asylgesetz seien indes so kurz, dass sie in der Praxis in den geplanten Lagern nicht eingehalten werden könnten. Zudem müsse in den Lagern der Zugang zu Rechtsanwälten und Gerichten gewährleistet werden. „Aus diesen Gründen scheint mir die Einrichtung von Transitzentren aufgrund der faktischen Gegebenheiten nach geltendem deutschem Recht nicht zulässig, wenn nicht zuvor das Grundgesetz geändert würde.“

Ähnlich fällt die Bewertung des Asylrechtsexperten Constantin Hruschka vom Münchner Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik aus. Die im Einigungspapier der Union konstruierte „Fiktion einer Nichteinreise“ nach Deutschland sei „mit europäischem Recht nicht vereinbar, da sich in dieser Hinsicht die Binnengrenze und deren Kontrolle von der Außengrenze unterscheiden“, sagte Hruschka in der gleichen Zeitung. „Mit dem Gebietskontakt ist die Einreise erfolgt. Ein Grenzverfahren nach den Vorgaben der EU-Asylverfahrensrichtlinie und analog zum Flughafenverfahren ist daher europarechtlich nicht möglich“, so der Experte abschließend.

Autor: ag
Foto: Auch drei Jahre nach der eigentlichen Flüchtlingswelle taugt das Thema noch immer für heftige, politische Auseinandersetzungen. Der Asylplan der Union ist aber keineswegs die ultimative Lösung, wie die heutigen Reaktionen zeigen.