Innenminister Ralf Jäger hat heute die Polizei gebeten, die auf einer umfangreichen Liste der Zwickauer Terrorzelle stehenden Personen aus NRW persönlich zu informieren. Bundesweit umfasst die Liste rund 10.000 Namen. Nach Einschätzung des Bundeskriminalamtes hat es im Zusammenhang mit diesen Daten keine konkreten Anschlagspläne gegeben. „Aber: Wir nehmen dennoch das Informationsinteresse der Betroffenen selbstverständlich sehr ernst. Deshalb wird die Polizei so schnell wie möglich mit den Betroffenen reden“, erklärte der Minister. Das Landeskriminalamt arbeitet bereits mit Hochdruck daran, die zum Teil inaktuellen und unvollständigen Daten dafür aufzubereiten.

Innenausschuss berät über Neonazi-Mordserie
Der Innenausschuss des Bundestages berät heute über die jüngsten Entwicklungen des Rechtsterrorismus. In einer Sondersitzung, an der unter anderem Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, Generalbundesanwalt Harald Range und Mitglieder des BKA teilnehmen, will man sich Klarheit über den aktuellen Ermittlungsstand gegen die Zwickauer Neonazi-Gruppe verschaffen. Auch Thüringens Verfassungspräsident Thomas Sippel wird zu dem Treffen erwartet. Die Landesbehörde geriet zuletzt wegen mehrerer Versäumnisse in die Kritik.

Anwohner hörten keine Schüsse bei Wohnmobil-Brand
Mehr als zwei Wochen nach dem Tod der rechtsextremen Terroristen geben die Umstände weiter Rätsel auf, da Nachbarn des Eisenacher Neubaugebiets, in dem das Wohnmobil der Beiden bei ihrem Tod stand, keine Schüsse gehört haben. Dies berichtet das Online-Magazin "stern.de". Offiziell heißt es aber bislang, die beiden Männer hätten sich erschossen. An diesem Wochenende sicherten Beamte des Landeskriminalamtes (LKA) Thüringen noch einmal Spuren in dem Neubaugebiet, wo das Wohnmobil nach dem letzten Bankraub der Beiden am 4. November von Polizisten entdeckt wurde.

Nach der bisher bekannten offiziellen Darstellung hatten die beiden Männer nach einem Überfall auf eine Sparkasse in Eisenach das Wohnmobil gegen 11.30 Uhr angezündet und sich erschossen. Zwei Polizeibeamte hätten sich zuvor dem verdächtigen Wohnmobil genähert und zwei Schüsse gehört. Während sie in Deckung auf Verstärkung warteten, ging das Wohnmobil in Flammen auf. Die Feuerwehr musste erst löschen, dann fand die Polizei die beiden Männer mit tödlichen Schussverletzungen. Im Gegensatz zu dieser Darstellung haben die meisten Anwohner und Augenzeugen dem Bericht zufolge die ersten Polizisten zwar kommen und das Wohnmobil brennen sehen, aber weder davor noch danach Schüsse gehört. Lediglich eine Familie hatte gegenüber der Polizei von drei Schüssen gesprochen. Eine Frau, die nicht einmal zehn Meter vom letzten Standort des Wohnmobils wohnt, nahm durch ihr geöffnetes Fenster den Geruch von verbranntem Plastik wahr. "Schüsse sind aber keine gefallen, das hätte ich gehört", sagte sie dem Online-Magazin.

Verfassungsschutz nimmt Neonazi-Kameradschaften ins Visier
Als Reaktion auf die Neonazi-Morde nimmt der Verfassungsschutz rechtsextreme Kameradschaften ins Visier. Sie würden "einer generellen Prüfung" unterzogen, berichtet die Tageszeitung "Die Welt" (Montagausgabe) unter Berufung auf ein Papier aus dem Bundesinnenministerium. Eine stärkere Erfassung und Bewertung dieser Szene sei wichtig, weil sich "das neonazistische Spektrum mehr und mehr zur treibenden Kraft des Rechtsextremismus in Deutschland" entwickele. Dafür soll eine neue Arbeitsgemeinschaft der Geheimdienste von Bund und Ländern eingerichtet werden. Das Innenministerium strebe an, die Befugnisse des Verfassungsschutzes ausweiten. So solle das Bundesverfassungsschutzgesetz geändert werden, damit Erkenntnisse über Rechtsextremisten länger gespeichert werden können. Bisher müssen personenbezogene Daten nach spätestens zehn Jahren gelöscht werden, wenn keine neuen Erkenntnisse hinzugekommen sind. Diese Frist sei "zu kurz", werde in dem Arbeitspapier festgestellt.

Um Radikalisierung im Internet frühzeitig zu erkennen, sollen rechtsextremistische Seiten "stringent und konsequent beobachtet und ausgewertet werden". Dazu soll beim Bundesamt für Verfassungsschutz ein neuer Stab eingerichtet werden, der eng mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeitet. Die Planungen im Bundesinnenministerium zielen nach Informationen der "Welt" auch darauf, das Bundesamt für Verfassungsschutz gegenüber den Landesämtern zu stärken. Die Behörde von Präsident Heinz Fromm solle die Federführung nicht nur beim islamistischen Terrorismus, sondern auch beim militanten Rechtsextremismus übernehmen. Dies stelle sicher, dass "alle Informationen der Landesämter, insbesondere Quellenmeldungen, ungefiltert beim Bundesamt ankommen und dort zentral ausgewertet werden".

Derzeit sind laut Innenminister Friedrich 400 Beamte des Bundeskriminalamts und der Länder im Einsatz, um die Ermittlungen aufzuklären. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat in der "Welt am Sonntag" eine Entschädigung für die Angehörigen der Neonazi-Mordopfer angekündigt.
Erwägt werden von der Bundesregierung Entschädigungszahlungen in Höhe von 10.000 Euro. "Zur Zeit wird vom Justizministerium der direkte Kontakt mit den Angehörigen gesucht", erläuterte der Sprecher von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). "Selbstverständlich ist klar, dass hier eine materielle Leistung auf gar keinen Fall das Leid aufheben kann." Dennoch solle es um ein Zeichen der Solidarität gehen. In einem Bericht der "Leipziger Volkszeitung" hieß es, dass der entsprechende Etat 2012 zu Gunsten von PR-Arbeit um die Hälfte auf 500.000 Euro gekürzt worden sei.

Aktualisiert 16:50 Uhr >

Offenbar zwölf weitere Verdächtige identifiziert
Im Zuge der Ermittlungen im Fall der Zwickauer Neonazi-Zelle haben die Beamten offenbar bis zu zwölf weitere Verdächtige identifiziert. Das berichtet der Nachrichtensender N-TV unter Berufung auf Polizeikreise. Zudem haben die Ermittler wohl eine weitere Behördenpanne aufgedeckt. Wie die "Bild"-Zeitung (Dienstagausgabe) aus Sicherheitskreisen erfuhr, manipulierte das Trio angeblich einen Ausweis mit einem falschen Lichtbild und einer falschen Unterschrift und erschlich sich mit dieser Fälschung auf einem Meldeamt erfolgreich "echte" Ausweispapiere, vermutlich einen Reisepass. Laut "Bild"-Informationen habe die Gruppe bei der Erlangung dieser Papiere den entsprechenden Sachbearbeiter des Meldeamts mit ihrem gefälschten Ausweis getäuscht.

Zentralrat der Muslime erwartet auf Trauerfeier Signal von Politik
Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, hat die geplante Trauerfeier für die Opfer der Neonazi-Mordserie als "Signal, das in die richtige Richtung geht", bezeichnet. "Sie wendet sich den Opfern und ihren Angehörigen zu, die viel zu lange mit ihren Ängsten allein gelassen wurden", sagte Mazyek den Zeitungen der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" (Montagausgaben). "Auf der Trauerfeier sollte die Politik klar und deutlich machen, dass Muslime ein Teil der deutschen Gesellschaft sind", sagte Mazyek weiter. "Die Zeremonie kann einige religiöse Elemente enthalten, etwa eine Koran-Rezitation." Mazyek hofft zudem, dass einige Angehörige der Opfer den Mut und die Kraft finden werden, dort zu sprechen.

DITIB Köln: Gemeinde zutiefst erschüttert

Die Ereignisse der letzten Tage haben die Migranten und die muslimischen Gemeinden tief erschüttert. Auch das jahrelange Vertrauen in den Staatsapparat sei erheblich gestört. Immer wieder seien Übergriffe auf Menschen anderer Ethnien oder Religionen bagatellisiert worden. rof. Ali Dere, Vorsitzender des DITIB-Dachverbandes forderte nun dauerhafte Lösungen, die auch der Bedürfnislage der Migranten gerecht werden. Denn der Staat habe auch gegenüber den Migranten eine umfassende Schutzpflicht. Europaweit würden Menschen wieder in Angst leben und wären diskriminierenden, aggressiven und gewalttätigen rechtsextremen Bewegung ausgesetzt. Die rechte Szene sei europaweit miteinander vernetzt, daher müsse ganz Europa gemeinsam arbeiten. Integrationspolitik müsse auch bedeuten, dass die Problemlagen, Bedürfnisse und Nöte wahrgenommen, alltägliche Ungerechtigkeiten, An- und Übergriffe nicht verharmlost und verschleiert werden.

Debatte um Neustrukturierung des Verfassunsgschutzes
CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt hat einen ungehinderten Zugriff der Sicherheitsbehörden auf Informationen des Verfassungsschutzes gefordert. "Die Vernetzung der Sicherheitsbehörden spielt eine entscheidende Rolle", sagte er der Tageszeitung "Die Welt" (Montagausgabe). "Die Behörden in Bund und Ländern sollten in die Lage versetzt werden, ohne Hürden auf die Daten des Verfassungsschutzes zuzugreifen." Dobrindt betonte weiter: "Wir müssen schneller werden in der Bekämpfung der terroristischen Umtriebe."

Der Vorsitzende des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, Wolfgang Bosbach, hat sich für eine Reduzierung der Zahl der Landesverfassungsämter ausgesprochen. "Acht oder neun Ämter dezentral plus Bundesamt für Verfassungsschutz, das könnte eine Größenordnung sein, mit der wir die Aufgabe, Schutz der Verfassung, optimal wahrnehmen können", erklärte Bosbach im Deutschlandfunk. Es gehe ja nicht um die großen Flächenstaaten wie Baden-Württemberg, Bayern, NRW, sondern es gehe darum, dass man eine, bundesweit einheitliche Aufgabe, nämlich Schutz der Verfassung, so organisiere, dass sie optimal und effizient wahrgenommen werden könne. Allerdings halte der CDU-Politiker nur ein Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln für unzureichend. "Orts- und Personenkenntnis, also ortsnahe Kenntnis von den Problemen, von den Organisationen kann auch wichtig sein", erklärte Bosbach. Wichtig seien zwei Punkte: Die Fülle von dezentralen Informationen zu sammeln, zu speichern und letztlich zu verzahnen sowie klare Regeln für den Einsatz und die Führung von V-Leuten.

[cs dts]