Das Kölner Amtsgericht am Reichenspergerplatz. Foto: Krücken

Köln | Vor wenigen Tagen hat das Kölner Amtsgericht die Statistik der Kirchenaustritte für 2022 veröffentlicht (wir berichteten).

Demnach sind fast eintausend Kirchenaustritte mehr als im Jahr 2021 in Köln gemeldet. 20.331 Austritte bedeuten einen neuen Rekordwert.

Südstadt-Pfarrer Hans Mörtter. Foto: Bopp

Das Amtsgericht veröffentlicht keine Statistik mehr, welcher Konfession, also Glaubensrichtung, diejenigen angehören, die der Kirche den Rücken zuwandten.

Was diese Zahlen indes für die Institutionen bedeuten, haben wir Hans Mörtter und Johannes Quirl gefragt.

Macht es euch nicht so billig mit dem Austreten, redet mit Leuten wie mir, wir brauchen Menschen in beiden Kirchen, die Kirche neu gestalten.“

Hans Mörtter

Die Geistlichen aus der Südstadt (langjähriger Ex-Pfarrer der Lutherkirche und St.Severin) sprechen Klartext.

Zuerst Mörtter (evangelische Kirche): „Ich bin zwiegespalten. Ich kann das verstehen, dass die Botschaft nicht mehr ganz ankommt. Es ist eine Verantwortung, dass wir an unserem Auftreten neu arbeiten müssen.

Auf der anderen Seite bin ich auch sauer, dass so schnell Kirche mit Kirche gleichgestellt wird. Denn da steckt mehr dahinter. Wer macht in Zukunft Kirchenasyl? Was nützt ein Kirchturm, der ein Ort für Schutzsuchende ist, wenn da keiner mehr ist? Ich sehe die Gefahr, dass Werte, Menschlichkeit und Gemeinschaft wegbrechen.“

Mörtter nennt weiter ein Beispiel: „Eine junge Südstädterin trat im Sommer aus und ich habe ihr einen echt sauren Brief geschrieben. Darauf hat sie sich gemeldet, wir haben uns getroffen und ich habe sie gefragt, warum sie ausgetreten sei. Sie antwortete, sie habe das getan, weil eine Freundin auch ausgetreten sei. Dann, nach unserem Gespräch, ist sie wieder eingetreten.“

Er betont: „Es gibt wahnsinnig viele Ehrenamtliche, viele unserer Flüchtlingsinitiativen sind in den Kirchen zuhause. Macht es euch nicht so billig mit dem Austreten, redet mit Leuten wie mir, wir brauchen Menschen in beiden Kirchen, die Kirche neu gestalten.“

Johannes Quirl von St. Severin Foto: Bins

Johannes Quirl (Katholische Kirche) schildert gegenüber report-K seine Gedanken wie folgt:

Kirchenaustritte – Sich abwenden, Enttäuschung, Vertrauensverlust, Protest…

Zunächst ein paar Fakten: Lange hatte die Kirchengemeinde St. Severin, Köln (rund um den Chlodwigplatz) über 10.000 Mitglieder. Taufen und Beerdigungen halten sich bis heute die Waage.

Es gibt – auch heute noch – vereinzelt Wiederaufnahmen und Konversionen (d.h.: Getaufte aus anderen christlichen Konfessionen haben den Wunsch, katholisch zu werden). Auch Kirchenaustritte hat es immer gegeben. Doch was in den letzten beiden Jahren passiert ist (und ein Ende ist leider nicht abzusehen), verschlägt einem den Atem: 505 Austritte im Jahr 2021 und 538 im Jahr 2022 – über 10% unserer Gemeindemitglieder sind innerhalb von nur zwei Jahren ausgetreten. Meist sind es jüngere Menschen, die zugezogen sind. Die meisten kenne ich aufgrund der hohen Fluktuation in unserem Veedel nicht.

Doch zunehmend treten auch ältere Menschen aus. Manche haben sich jahrelang in unserer Gemeinde zu Hause gefühlt und/ oder mitgearbeitet. Frappierend: Mein evangelischer Kollege sagt, dass aus der ev. Gemeinde Köln Austritte im Verhältnis 1:1 zu unserer Gemeinde zu verzeichnen sind.

Warum?

Alle, die austreten, bekommen einen von unserer Pfarrgemeinderatsvorsitzenden und mir unterzeichneten Brief mit einer Einladung zum Gespräch. Die Reaktionen, die uns darauf hin erreichen,  sind einmütig:
– Ich habe es mir nicht leicht gemacht.
– Geld ist nicht der ausschlaggebende Punkt. (Einige fragen nach sozialen Projekten, die sie gezielt unterstützen möchten.)
– Ich kann dieses System von Macht, Vertuschung und Veränderungsverweigerung nicht mehr unterstützen.
– Es liegt nicht an Euch. Ihr macht gute Arbeit an der Basis.

Wir werden nicht müde, als Gemeinde unsere Stimme zu erheben über die Missstände in unserer Kirche

Johannes Quirl

Was tun?
– Wir lassen uns nicht entmutigen in unserer Arbeit „an der Basis“: Religionspädagogische Begleitung in unseren beiden Kindertagesstätten, Kleinkindergottesdienste, Wiederaufbau unserer durch Corona stark zurückgegangenen Chöre (vom „Känguru-Chor“ bis hin zum Kammerchor), Gesprächsangebote, gezielt auf Menschen zugehen, breit gefächertes Gottesdienstangebot, „offene Kirche“ im wahren und übertragenen Sinn, Veranstaltungen, die gezielt Menschen ansprechen, die nicht (mehr) zur Kirche gehören, Wochenenden und Freizeiten mit Kindern, Jugendlichen und Gruppen aus der Gemeinde, gute Begleitung trauernder Menschen, nach Corona wieder Feste feiern…
– Wir werden nicht müde, als Gemeinde unsere Stimme zu erheben über die Missstände in unserer Kirche. So haben wir diesbezüglich Anfang letzten Jahres einen offenen Brief geschrieben, den alle Verantwortungsgremien (Seelsorgeteam, Kirchenvorstand, Pfarrgemeinderat) einmütig unterschrieben haben.
– Wir versuchen, neue Wege zu gehen und neue Projekte zu schaffen wie das wöchentliche Nachtcafé für Obdachlose.
– Wir versuchen vor Ort, neues Vertrauen aufzubauen. Denn wir glauben, dass wir nach wie vor eine „froh machende Botschaft“ haben, die auch heute noch trösten und befreien kann.