Berlin | LIVEBERICHT | SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz drückt bei der Bildung einer neuen Bundesregierung aufs Tempo. Er wolle „so schnell wie möglich“ eine Regierung mit Grünen und FDP bilden, sagte er am Montag nach einer Sitzung des SPD-Präsidiums. Nach Möglichkeit solle dies vor Weihnachten geschehen. Der Tag 1 nach der #btw21. Gestern machten die Wähler*innen ihre Kreuze – heute analysiert die Politik und spricht über die Entscheidung. Die wichtigsten Wortmeldungen gesammelt und den Tag über ergänzt.

Über Gesprächsverläufe werde man sich schnell mit den anderen Parteien abstimmen. Sondierungen sollten nicht zu lange dauern, bevor es zu Koalitionsverhandlungen komme, fügte Scholz hinzu. Eine Regierung müsse zudem so miteinander arbeiten, „dass sie wiedergewählt werden kann“.

Überstimmenden Medienberichten zufolge bereitet sich auch die Union auf mögliche Verhandlungen mit Grünen und FDP vor. Laut eines Berichts der „Bild“ soll CDU-Chef Armin Laschet bereits länger mit dem FDP-Vorsitzenden Christian Lindner geredet haben. Ein Gespräch mit Grünen-Chefin Annalena Baerbock soll noch am Montag geplant sein.

Eine Personaldiskussion um Laschet soll es dem Vernehmen nach in der Union trotz des schwachen Abschneidens bei der Bundestagswahl vorerst nicht geben.

Esken gegen Vorab-Sondierungen von Grünen und FDP

Die SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken erwartet von Grünen und FDP, dass sie für eine mögliche Ampel-Koalition keine Vorab-Sondierungen führen. „Selbstverständlich“ sei es die SPD, die zu Sondierungsgesprächen einlade, sagte sie den Sendern RTL und n-tv. Präsidium und Parteivorstand kämen am Montag zusammen, um zu besprechen, wie die Einladungen aussehen werden.

„Wir sitzen nicht am Katzentisch.“ Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner hatte die Grünen aufgefordert, zunächst unter den beiden Parteien zu sprechen. Die Grünen-Spitze zeigte sich dafür offen.

Walter-Borjans glaubt an Koalition mit FDP

SPD-Chef Norbert Walter-Borjans glaubt trotz starker inhaltlicher Unterschiede an eine Regierungsbildung mit der FDP. Viele Punkte aus dem Wahlprogramm der FDP würden sich „von selbst korrigieren“, sagte der SPD-Vorsitzende am Montag im ARD-Morgenmagazin. In dem Programm der Liberalen werde eine „Voodoo-Ökonomie“ vorgeschlagen.

„Man will auf 90 Milliarden Einnahmen verzichten, aber mehr investieren, die Schwarze Null einhalten, Steuern entlasten für die höchsten Vermögenden“, so Walter-Borjans. „Das wird von sich aus nicht gehen.“ Man müsse stattdessen über gemeinsame Ziele reden und „eine Schnittmenge bilden“.

Er glaube, dass das gehe, aber nicht unter „Maximalforderungsbedingungen“, sagte der Sozialdemokrat. Das treffe aber auf alle möglichen Koalitionspartner zu. SPD-Chefin Saskia Esken ging einen Schritt weiter als ihr Co-Vorsitzender und forderte Grüne und FDP zur Absage an ein Jamaika-Bündnis auf.

„Ich finde es erstaunlich, wie man einen so krassen Wahlverlierer zum Kanzler wählen möchte“, sagte Esken den Sendern RTL und n-tv. Die Union habe keinen Regierungsauftrag. „Dass CDU und CSU aus diesem historischen Wahlverlust, diesem Debakel, die Idee ableiten, eine Regierung bilden zu können und weiterhin das Kanzleramt zu besetzen, das finde ich schon sehr, sehr erstaunlich.“

Esken forderte stattdessen von den Grünen ein stärkeres Bekenntnis zur SPD als bevorzugtem Koalitionspartner. Angesprochen auf mögliche rote Linien für eine Ampel-Koalition nannte Esken die Erhöhung des Mindestlohnes auf mindestens zwölf Euro. Das müsse FDP-Chef Lindner genauso akzeptieren wie den verstärkten Kampf gegen Kinderarmut. „Ich bin mir sehr sicher, dass wir dort auch Koalitionspartner finden werden.“ Auch die SPD-Vorsitzende erteilte den Forderungen der FDP nach Steuersenkungen eine Absage. Bei der Bundestagswahl war die SPD laut vorläufigem Endergebnis mit 25,7 Prozent stärkste Kraft geworden. Dahinter folgen CDU/CSU (24,1), Grüne (14,8), FDP (11,5), AfD (10,3) und Linke (4,9 Prozent). Die anderen Parteien kommen auf 8,7 Prozent. Realistische Koalitionen sind ein Jamaika-Bündnis (Union, Grüne, FDP) oder eine „Ampel“ (SPD, Grüne, FDP). Auch eine Fortsetzung der Großen Koalition wäre möglich, dann aber unter Führung der Sozialdemokraten.

FDP-Generalsekretär mahnt Union zur Reformbereitschaft

FDP-Generalsekretär Volker Wissing hat die Union nach der Bundestagswahl aufgefordert, reformbereit zu sein. „Die Union ist eine Reformverhinderungspartei gewesen“, sagte Wissing dem Fernsehsender Phoenix. Grundsätzlich lägen die im Unionsprogramm niedergeschriebenen Positionen der FDP näher als die von SPD und Grünen, „aber die Union hat ein solches Programm in den letzten 16 Jahren wiederholt vorgelegt, aber immer daran gearbeitet, es selbst nicht umzusetzen“.

Wissing verwies auf die von der Union wiederholt vertagten Steuerreformen. Jetzt würden die Liberalen genau darauf achten, ob CDU und CSU bereit seien, neue Wege zu gehen. „Das lethargische `Wir verändern nichts, dann müssen wir es auch nicht erklären` ist nicht mehr angebracht.“

Die Ankündigung der Union, jetzt ein „Modernisierungsjahrzehnt“ einläuten zu wollen, „zeigt die ganze Zerrissenheit und Misere“, die durch die Große Koalition verursacht worden sei. Eine Dreier-Koalition müsse einen Mehrwert für die Menschen in Deutschland bringen, daran werde man gemessen. Das gelinge nur, wenn man ein überzeugendes Regierungsprogramm vorlegen könne, das von allen Partnern gemeinsam getragen werde.

„Wichtig ist, dass man sich auf Ziele verständigt, hinter denen sich alle versammeln können. Jeder muss hinter allem stehen“, sagte Wissing.

Linken-Chefin pocht nach Wahl-Desaster auf Fehleranalyse

Linken-Chefin Janine Wissler fordert nach dem Absturz ihrer Partei bei der Bundestagswahl eine umfangreiche Fehleranalyse. „Mein Eindruck ist, dass die Fehler nicht in den letzten zwei Monaten in der heißen Wahlkampfphase entstanden sind, sondern deutlich tiefer liegen“, sagte sie am Montag in der Bundespressekonferenz. Sie seien über längere Zeit entstanden.

Auf den letzten Metern habe man sicherlich aber auch „ein Prozent nachgegeben“, fügte Wissler hinzu. Flächendeckend habe man „schmerzliche Verluste“ erlitten. Dies sei ein „tiefer Einschnitt“.

Über die drei Direktmandate aus Berlin und Leipzig sei man besonders dankbar. Nur ihnen habe man es zu verdanken, in Fraktionsstärke in den Bundestag einzuziehen, so die Linken-Vorsitzende. Linksfraktionschef Dietmar Bartsch sprach unterdessen von „externen Faktoren“, die für die Linke „ungünstig“ gewesen seien.

Ansonsten teilte er die Einschätzung seiner Co-Spitzenkandidaten bei der Wahl. Die Linke hatte am Sonntag mit einem Ergebnis von 4,9 Prozent knapp die Fünf-Prozent-Hürde verpasst, konnte aber drei Direktmandate gewinnen und somit über die Grundmandatsklausel in den Bundestag einziehen. Sie kommt auf 39 Mandate im neuen Parlament.

Bericht: Brinkhaus will Unionsfraktionschef bleiben

Der Vorsitzende der Bundestagsfraktion von CDU und CSU, Ralph Brinkhaus, will offenbar Fraktionschef bleiben. Er werde sich in der neuen Fraktion erneut zur Wahl stellen, berichtet die „Neue Westfälische“ (Montagsausgabe). Nach dem Wahlabsturz der Union wird allerdings spekuliert, ob auch Parteichef Armin Laschet für das Amt des Fraktionschefs kandidieren wird, um in dieser Rolle Koalitionsgespräche zu führen.

Laschet und Brinkhaus kommen beide aus NRW. Laschet ist auch Vorsitzender der NRW-CDU, Brinkhaus einer von fünf Stellvertretern. Die Wahl der neuen Fraktionsspitze wird voraussichtlich am Dienstag stattfinden.

Spahn will Verjüngung an CDU-Spitze

Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Jens Spahn fordert nach dem Absturz der Union bei der Bundestagswahl einen Generationswechsel in seiner Partei. „Dieses Ergebnis werden wir aufarbeiten müssen“, sagte er dem „Spiegel“. Die nächste Generation nach Angela Merkel müsse jetzt dafür sorgen, dass man im nächsten Jahrzehnt „zu alter Stärke“ finde.

„Die Leute dafür haben wir. Wir müssen sie jetzt in Verantwortung bringen.“ Als Beispiele nannte der Bundesgesundheitsminister unter anderem den Wirtschaftspolitiker Carsten Linnemann und die stellvertretende Parteichefin Silvia Breher.

„Wir haben drei junge Ministerpräsidenten, zwei von ihnen stehen im kommenden Jahr vor einer Wahl: Tobias Hans im Saarland, Daniel Günther in Schleswig-Holstein“, sagte Spahn. „Die haben alle Profil, sie prägen die politische Debatte in Deutschland.“ Er sei überzeugt: „Die Union hat ein Potenzial von über 30 Prozent.“

Spahn bekräftigte den Anspruch der Union, eine Regierung anzuführen: „Wir sind jetzt praktisch gleichauf mit der SPD, das haben manche schon nicht mehr für möglich gehalten. Wir wollen weiter die Regierung anführen.“ Spahn sprach sich für eine Jamaika-Koalition mit FDP und Grünen aus.

Er wolle auch selbst weiter Verantwortung tragen. „Ich will gestalten und das geht am besten mit einem Amt.“ Spahn hielt sich offen, für den Vorsitz der Unionsfraktion zu kandidieren. „Wir sollten jetzt erst mal die Gremiensitzungen und Diskussionen abwarten“, sagte er. „Da werden wir gemeinsam beraten und daraus leitet sich alles andere ab.“

Autor: dts
Foto: Ein SPD-Plakat am Kölner Ebertplatz