Köln | aktualisiert | Handelt die Kölner Polizei noch in den Grenzen der Verfassung und des Rechtsstaats oder setzt sie einfach ihre Strategie des 2016 begonnen „Racial Profiling“ fort? Ist Köln wirklich die Multi-Kulti-Toleranz-Stadt mit den über 180 Nationen? Die Stadt in der die Grünen bei der Europawahl die meisten Stimmen holten und für die Oberbürgermeisterin Reker gerne mit der Internationalität wirbt. Der Vorfall am Tag des Zuckerfestes – auf türkisch Şeker bayramı oder arabisch Īd al-fitr – rund um den Kölner Hauptbahnhof, die Reaktion und Propaganda der Kölner Polizei sowie die mediale Darstellung zeichnet ein anderes Bild, spricht sogar von „Terrorgefahr“ anstatt zu recherchieren.

Was ist heute gegen 11 Uhr rund um den Kölner Hauptbahnhof passiert

Zehn Männer laufen als Gruppe in den Kölner Hauptbahnhof. Sie tragen besondere Kleidung und sind fröhlich. Die Polizei spricht von einem Zeugen, der über die Gruppe informierte und davon sprach, dass die Gruppe „Allahu Akbar“ rufe. Die Polizei löst Großalarm aus, sperrt den Hauptbahnhof ab, sichert diesen mit Maschinenpistolen. Mit der Bundespolizei wird die Gruppe in der Haupthalle des Kölner Hauptbahnhofs zu Boden gebracht. Bilder in der „Rheinischen Post“ zeigen fixierte Menschen und Gaffer.

Jetzt löst die Polizei Köln auch noch ein bundesweites Medienecho aus, denn sie twittert: „Wir kontrollieren verdächtige Männer in weißen Gewändern. Sie sollen laut Zeugenangaben im Laufschritt den Bahnhof betreten haben. Die Hintergründe sind noch unklar. Derzeit keine Gefahrensituation!“

Die Kölner Polizei spricht immer wieder von „verdächtig“. Ist das korrekt?

An der Hochschule der Sächsischen Polizei stellt Dozent Ass. iur. Jens PH Wilhelm in einer Abhandlung von 2009 unter strafverfahrensrechtlichen Grundbegriffen fest: „Verdächtiger ist derjenige, der objektiv der Beteiligung an einer Straftat verdächtig ist.“ Im besonderen für den Anfangsverdacht (§152 Abs. 2, StPO) muss es „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte (für das Vorliegen einer verfolgbaren Straftat), d.h. es müssen konkrete tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die nach kriminalistischem Erfahrungswissen die Beteiligung des Betroffenen an einer verfolgbaren Straftat als möglich erscheinen lassen.“

Festzustellen ist, dass die Polizei Köln die zehn Männer bereits in der Twittermeldung, vorverurteilt, weil sie diese als „verdächtig“ öffentlich bezeichnet. Dies ist nichts Neues bei der Polizei Köln, die schon in der Silvesternacht 2016 den Begriff „NAFRI“ twitterte und dafür zu Recht des „Racial Profiling“ bezichtigt wurde.

Selbst nach Klärung der Situation spricht die Polizei weiter von „Verdächtigen“

Um 15:11 Uhr – also mehr als drei Stunden später – veröffentlicht der Pressesprecher der Kölner Polizei Carsten Rust eine Pressemitteilung zu dem Vorfall am Kölner Hauptbahnhof. Die Überschrift „Verdächtige Personen vor dem Kölner Hauptbahnhof verursachen großen Polizeieinsatz“ (POL-K: 190604-2-K) Weiter heißt es in der Mitteilung: „Nach den Befragungen und dem derzeitigem Ermittlungsstand besteht gegen die zehn Männer in Bezug auf das beschriebene Verhalten kein strafrechtlicher Vorwurf.“

Das Wort „Verdächtige“ wird auch ein weiteres Mal in der Mitteilung verwendet, als es heißt, dass man die Männer zur Überprüfung auf die Dienststelle brachte. Diese Mitteilung verbreitete die Kölner Polizei über ihre sozialen Medien, wo sie auf Facebook mittlerweile über 90.000 Follower hat. Der stellvertretende Leiter der Pressestelle der Kölner Polizei Karlo Kreitz begründet die Wortwahl mit der Darstellung der „Chronologie der Ereignisse“, einen Fehler in der Kommunikation und der Vorgehensweise kann er überhaupt nicht feststellen.

Verstoß gegen Menschenwürde und Verfassung

Der Vorgang ist eindeutig als „Racial Profiling“ einzuordnen. Das liegt dann vor, wenn Polizeibeamte auf der Basis von Stereotypen und äußerlichen Merkmalen agieren. Dies liegt hier eindeutig vor, heißt es in der schriftlichen Mitteilung der Polizei: „Zeugenaussagen kurz zuvor auf dem Vorplatz „Allahu Akbar“ gerufen haben sollen. Hierbei trugen sie lange Gewänder mit Westen.“ Hier liegt ein mehrfacher Verstoß gegen das Grundgesetz, dessen 70-jähriges Jubiläum die Bundesrepublik erst vor wenigen Tagen feierte, vor. Zum einen gegen Artikel 3 Abs. 3 des Grundgesetzes: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Und auch gegen Artikel 4 des Grundgesetzes, welcher Religionsfreiheit garantiert.

Denn ein wenig Recherche hätte den Beamten geholfen. Am 3. und 4. Juni feiern die Muslime in Köln das Zuckerfest als Ende des Ramadan. Dazu gehört, dass die Gläubigen sich festlich kleiden und durch die Straßen laufen und ihren Gott preisen. Im übrigen nicht nur rund um den Kölner Hauptbahnhof, sondern heute schon den ganzen Tag an ganz vielen Orten in Köln, selbst in der KVB-Stadtbahn. Denn am Tag des Zuckerfests besuchen sich gläubige Muslime spontan.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte befasste sich mehrfach mit dem Thema „Racial Profiling“ und stellt in einem Artikel für das Magazin „Anwaltspraxis“ fest: „Das Verbot rassistischer Diskriminierung ist ein elementarer Bestandteil der europäischen und internationalen Menschenrechtsschutzsysteme. Rassistische Diskriminierung verbieten etwa Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), Art. 2 Abs. 1 und Art. 26 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IpbpR) sowie die Anti-Rassismus-Konvention (ICERD) als spezielle Konvention zur Bekämpfung von Rassismus. Sämtliche Verträge sind von Deutschland ratifiziert worden und damit gemäß Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG innerstaatlich geltendes Recht, an das Polizei und Gerichte gebunden sind (Art. 20 Abs. 3 GG).“

Ist die Kölner Polizei und ihre Pressestelle nicht lernfähig?

Die Kölner Polizei ist berühmt für ihre Pressestelle. Nicht nur die weltbekannte Pressemitteilung von friedlichen Silvesterfeiern 2015 sondern auch im darauf folgenden Jahr 2016 war die Kölner Polizei dem Vorwurf des „Racial Profiling“ ausgesetzt nachdem das Wort „Nafri“ getwittert wurde. Wie tief „Racial Profiling“ bei der Kölner Polizei und vor allem in ihrer Pressestelle verwurzelt ist, zeigt der heutige Tag erneut. Nicht nur ihr Vorgehen in der aktuellen Situation, das rechtlich fragwürdig ist sondern auch ihre Kommunikationsstrategie ist mehr als zu hinterfragen. Zeigt sie doch deutlich, dass die Kölner Polizei offensichtlich ein Rassismus-Problem hat.

Passt die Kommunikation der Polizei Köln zur Stadt?

Wer Köln als weltoffene Stadt darstellen will, muss handeln. Am Tag des Zuckerfestes werden gläubige Muslime wie Terroristen öffentlich in der Haupthalle des Kölner Hauptbahnhofs festgehalten. Sie werden öffentlich zu Unrecht als Verdächtige bezeichnet. Wozu hat die Stadt Köln ein Integrationskonzept, wozu einen Integrationsrat? Mehr als 30 Prozent der Kölnerinnen und Kölner haben bei der Europawahl die Grünen gewählt, die sich zu einem weltoffenen Europa und Köln bekannten. Die Kölner Polizei kann auf Nachfrage keine Erklärung finden, ja schafft es noch nicht einmal sich wenigstens in der Pressemitteilung bei den Männern die ihr Zuckerfest feierten, zu entschuldigen.

Die Stadt Köln hat einen Polizeibeirat, in dem sich die Kölner Kommunalpolitik und Verwaltung mit der Polizei berät, der nicht öffentlich tagt. Die heutige Aktion und Kommunikation müsste dort Thema werden und Polizeipräsident Uwe Jacob erklären, welche Maßnahmen er ergreift, um „Racial Profiling“ innerhalb seiner Behörde und ihrer externen Kommunikation in Köln, der Stadt mit Menschen aus mehr als 180 Nationen, zu unterbinden.

[infobox]Links zum Thema:

Auch „ze.tt“ das junge Online Magazin der „Zeit“  spricht mittlerweile davon, dass sich die Kölner Polizei dem Vorwurf des „Racial Profiling“ stellen muss >

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Autor: Andi Goral