Köln | Insgesamt 160 Kölner Grundschülern, die sich für das kommende Schuljahr an Gymnasien beworben hatten, konnte weder der Erst- noch der Zweitwunsch erfüllt werden. Einige von ihnen müssen bald quer durch die Stadt, um zur Schule zu kommen. 14 Familien aus Ehrenfeld und Bickendorf haben sich deshalb zusammengeschlossen und versuchen zu erreichen, dass ihre Kinder doch noch einen Platz an einem der sechs Gymnasien erhalten, die sich im Umkreis von rund drei Kilometern befinden. Doch weder Schulamt noch Bezirksregierung sehen dafür Handlungsspielraum. Das Problem seien fehlende Raumkapazitäten. Die Stadtschulpflegschaft wirft der Stadt vor, sich seit Jahren nicht ausreichend um den Bau weiterer Schulen gekümmert zu haben.

Um dennoch möglichst vielen Kindern den Erst- oder Zweitwunsch zu erfüllen, wurden die Klassen bereits auf bis zu 31 Kinder vergrößert. Acht Schulen haben darüber hinaus zusätzliche Klassen, sogenannte „Mehrklassen“ eingerichtet. Alle abgelehnten Schülerinnen und Schüler hätten ein Alternativangebot erhalten, bei dem die Bedingung von höchstens einmaligem Umsteigen und einem maximal 45-minütigen Schulweg gegeben sei, heißt es in einem Schreiben der Bezirksregierung. Bei 80 % von ihnen betrage der Schulweg sogar weniger als 30 Minuten.

Doch das tröstet die betroffenen Eltern kaum. Sorgen bereiten ihnen neben den längeren Schulwegen in öffentlichen Verkehrsmitteln zu morgendlichen Stoßzeiten noch ganz andere Aspekte: „Die Kinder werden aus ihrem sozialen Umfeld herausgerissen“, beklagt eine Kölner Mutter (Name der Redaktion bekannt) eines 10-jährigen Sohnes, dem weder Erst- noch Zweitwunsch erfüllt wurde. „Sie müssen sich in einem anderen Stadtteil ein neues Umfeld aufbauen, das wir dann nicht einmal pflegen können.“

Ursprünglich hatte sich die Familie um einen Platz am Montessori-Gymnasium beworben, nur einen Katzensprung vom Wohnort entfernt. Erhalten hätten sie einen Platz am 9 Kilometer entfernten Genoveva Gymnasium in Mülheim. Inklusive Fußweg dauert der Schulweg mit der Linie 13 von Ehrenfeld bis zum Wiener Platz laut Routenplaner 25 Minuten. Mit dem Fahrrad zu Schule fahren – unmöglich.

Insgesamt hatten sich am Montessori-Gymnasium in Bickendorf 177 Grundschüler angemeldet, nur 120 wurden angenommen. Von den 57 abgelehnten Schülerinnen und Schülern erhielten 30 Kinder einen Platz auf Schulen in der Umgebung, während die restlichen 27 auf die beiden Gymnasien im Rechtsrheinische − das Genoveva Gymnasium in Mülheim und das Gymnasium Schaurtestraße in Deutz − verteilt werden. Auch nach Deutz beträgt die vom Routenplaner berechnete Fahrtzeit von Ehrenfeld zwischen 20 und 30 Minuten ohne Umsteigen. Die üblichen Wartezeiten und Verspätungen der Bahn mit einkalkuliert, könnten die Kinder bis zu 45 Minuten pro Schulweg unterwegs sein. Rund anderthalb Stunden, die die Kinder täglich für den Schulweg opfern müssen. Die nächsten 8 Jahre.

Das Problem von zu wenigen Plätzen an wohnortnahen Gymnasien betrifft besonders die Stadtteile Lindenthal, Ehrenfeld, Nippes, Rodenkirchen und die Innenstadt. Auch das Humboldt-Gymnasium musste viele Schüler ablehnen.
Seit Jahren schon prangert die Stadtschulpflegschaft den Schulbaunotstand an. Denn die Schülerzahlen steigen seit Jahren kontinuierlich. In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Schüler um 3300 erhöht. Laut des aktuellen Schulentwicklungsplans werden in Köln in den nächsten zehn Jahren 54 neue Schulen dringend benötigt, davon 30 Grundschulen und 21 Weiterführende Schulen. Das Problem sei, so der Stadtschulpflegschaftsvorsitzende Lutz Tempel, dass es in der Verwaltung zu wenig Personal zur Durchführung von Schulbauprojekten gegeben habe. Mittlerweile scheint die Stadt auf die Tube zu drücken. Man arbeite „intensiv“ daran bis zum Schuljahr 2023/2024 drei neue Gymnasien und drei neue Gesamtschulen an Interimsstandorten an den Start zu bringen, teilt das Amt für Schulentwicklung mit. Weitere 13 Gesamtschulen und acht Gymnasien sind in Planung. Laut des Maßnahmenpakets Schulbau sollen in den kommenden drei Jahren 22 Schulbauprojekte an elf Standorten mit General- oder Totalunternehmern realisiert werden. 7000 Schulplätze sollen dadurch neu geschaffen oder gesichert werden.
Mit der Lösung des aktuellen Problems bei der Schulplatzvergabe zeigt sich die Bezirksregierung indes zufrieden. Das Ziel, dass keiner der abgelehnten Schüler und Schülerinnen länger als 45 Minuten zur Schule benötigt und höchstens einmal umsteigen muss, hätte eben nur dadurch erreicht werden können, „dass in einzelnen Fällen nicht das nächstgelegene Gymnasium gewählt worden ist“. Ansonsten hätten andere abgelehnte Schüler einen Fahrtweg von über 45 Minuten in Kauf nehmen müssen. In den vergangenen Jahren hatte es deswegen zu großem Unmut unter den Betroffenen geführt.

Für die Eltern der nun abgelehnten Kinder besteht die Möglichkeit bei der jeweiligen Schule Einspruch gegen die Ablehnung einzulegen Von dort wird der Einspruch an die Bezirksregierung weitergeleitet. Mit welchem Erfolg, das ist fraglich. Der Verwaltung seien die Hände gebunden, hieß es bei der letzten Schulausschuss-Sitzung im Rathaus.

Die Kölner Mutter befürchtet, dass in Folge der Ablehnung ihres Sohnes sich auch die Chancen für die beiden jüngeren Geschwister verringern, in Zukunft an einem der beiden wohnortnahen Gymnasien angenommen zu werden. Zumindest gibt es derzeit einen Funken Hoffnung: das Dreikönigsgymnasium hat ihren Sohn auf die Warteliste gesetzt. Andere Eltern haben bereits juristische Schritte eingeleitet.

Autor: Julia Katharina Brand
Foto: 14 Familien aus Bickendorf und Ehrenfeld protestierten auf dem Heumarkt dagegen, dass ihre Kinder auf Gymnasien im Rechtsrheinischen gehen müssen. Unter dem Titel „Kein Kind übern Rhein“ haben sie zudem eine Internet-Petition gestartet. | Foto: Brand.