Sorgen für eine Rundumbetreuung von Patienten mit Darmversagen: Peter Keller, Dr. Nicola Amarell, PD Dr. Martin von Websky, Verena Stolz und Dr. Annekristin Hausen. Foto: Uni Bonn/A. Winkler

Bonn | Wenn nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen von einer Erkrankung betroffen sind, gilt diese als selten. Seltene Erkrankungen betreffen auch immer häufiger den Magen-Darm-Trakt. Umfassende Hilfe für die Patientinnen und Patienten mit einer seltenen Darmerkrankung, dem Darmversagen, bieten nur wenige Zentren an. Eins davon – mit einer der größten Sprechstunden bundesweit – ist am Universitätsklinikum Bonn (UKB).

Funktionsstörungen des Dünndarmes kommen zunehmend öfter vor

„Seltene Krankheiten und Funktionsstörungen des Dünndarmes kommen zunehmend öfter vor. Gerade durch die häufigere Diagnose von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen und anderen Faktoren erwarten wir eine weitere Zunahme in den nächsten Jahren“, sagt PD Dr. Martin von Websky, Sprecher des Zentrums für Seltene Darmerkrankungen am Zentrum für Seltene Erkrankungen Bonn des UKB. Der Viszeralchirurg bemängelt, dass es zwar viele Patientinnen und Patienten mit seltenen Darmerkrankungen gebe, nur wenige kommen aber in die spezialisierten Sprechstunden. Das Feld sei kaum bekannt.

In der interdisziplinären Sprechstunde am UKB betreuen Spezialistinnen und Spezialisten aus Bauchchirurgie, Gastroenterologie und Ernährungsmedizin jährlich über 120 Patient*innen mit Darmversagen. Pro Jahr kommen 10 bis 20 neue Patient*innen hinzu.

Größtenteils handelt es sich um Patient*innen, die sich schon lange nicht mehr ausreichend durch normale Nahrungsaufnahme ernähren können und die auf intravenöse Zusatznahrung angewiesen sind, welche sie sich zuhause applizieren. „Es handelt sich hier um eine echte Organersatztherapie analog zur Dialyse“, erklärt PD Dr. von Websky.

Ein weiterer Bereich des Zentrums am UKB ist ein Transitionsprojekt für junge Erwachsene mit Darmversagen. Dr. Annekristin Hausen, Fachärztin für Innere Medizin und Gastroenterologie sowie Intensiv- und Ernährungsmedizin, und Prof. Christian Straßburg, Direktor der Medizinischen Klinik I, erläutern: „Unsere Patienten hatten typischerweise in der frühen Kindheit ausgedehnte Darmresektionen aufgrund von Erkrankungen wie nekrotisierender Enterokolitis/Darmverschlingung etc. Diese Kinder erreichen dank einer sehr guten pädiatrischen Versorgung das Erwachsenenalter und müssen dann weiterversorgt werden. Unser Projekt zielt darauf ab, diese Weiterversorgung möglichst reibungslos ohne Informationsverlust gewährleisten zu können.“

Darmerkrankung: Klinische Medikamentenstudien nähren Hoffnung auf Durchbruch

Große Hoffnung auf einen Durchbruch versprechen derzeit zwei klinische Medikamentenstudien, an denen das Zentrum für Seltene Darmerkrankungen teilnimmt. „Dabei geht es um eine Art Doping für den Darm. Mithilfe der neuen Medikamente, die wir gerade auch mit unseren Patient*innen testen dürfen, kann die Resorptionsfähigkeit des Darmes deutlich erhöht werden“, erläutern die Mediziner.

Chirurgisch verfolgt das Team um PD Dr. von Websky das Konzept der autologen Darmrekonstruktion, wobei die bestenfalls verbliebenen Darmanteile wieder in Kontinuität angeschlossen und für die Nahrungsaufnahme nutzbar gemacht werden. „Diese teils komplexen Eingriffe, gerade nach vorangegangenen vielfachen Operationen sind oft mehrstündige ressourcenintensive Prozeduren“, weiß Prof. Jörg Kalff, Direktor der Klinik und Poliklinik für Allgemein-, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie am UKB.

Ziel der intestinalen Rehabilitation ist ein Wiedererlangen der „nutritiven Autonomie“, das heißt: Der Patient sollte im besten Fall wieder ganz normal essen können. „Dank jahrelanger Erfahrung und eines regen Austauschs mit den namhaften Experten im Bereich der seltenen Darmerkrankungen weltweit kann unser Zentrum komplizierteste Fälle auf Spitzenniveau behandeln“, resümiert Dr. von Websky.

Oft betreut das Team die Patient*innen jahrelang. So auch Charlien Vikarius, die nun nach knapp elf Jahren mit heimparenteraler intravenöser Ernährung wieder normal essen und ihr Gewicht halten kann. „Man sollte nie aufgeben. Manchmal dauert es einfach etwas länger oder man geht Umwege. Dennoch ist nichts unmöglich. Vor allem dann, wenn man so ein gutes Team an seiner Seite hat. Hätte mir jemand gesagt, dass ich nach meiner Odyssee wieder mehrmals am Tag essen können würde, hätte ich es nicht geglaubt“, sagt die zweifache Mutter. (red03)