Das Kanzleramt in Berlin. Das Foto ist undatiert.

Berlin | dts | aktualisiert | In ihrem nächtlichen Verhandlungsmarathon im Koalitionsausschuss haben sich SPD, Grüne und FDP auf ein drittes „Entlastungspaket“ mit einem Volumen von 65 Milliarden Euro geeinigt. „Es ist größer als die ersten beiden zusammen“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Sonntagmittag bei der Vorstellung des Pakets in Berlin. Ziel sei es, „durch diesen Winter zu kommen“.Das Paket umfasst unter anderem Maßnahmen auf dem Energiemarkt. So will sich die Bundesregierung auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass „Zufallsgewinne“, die bei vielen Energieunternehmen derzeit anfallen, „abgeschöpft“ werden. Mögliche Maßnahmen seien zum Beispiel Erlös- bzw. Preisobergrenzen für „besonders profitable Stromerzeuger“.

Um die Haushalte bei den Strompreisen zu „entlasten“, will die Regierung eine „Strompreisbremse“ einführen und den Anstieg der Netzentgelte dämpfen. Auch beim CO2-Preis sind „Entlastungen“ geplant. Die die für den 1. Januar 2023 anstehende Erhöhung des CO2-Preises um fünf Euro pro Tonne im Brennstoffemissionshandel wird um ein Jahr auf den 1. Januar 2024 verschoben.

Auch die bisher vorgesehenen Folgeschritte 2024 und 2025 verschieben sich entsprechend um ein Jahr. Des Weiteren plant die Regierung Einmalzahlungen in Höhe von 300 Euro für Rentner und in Höhe von 200 Euro für Studenten. Die Zahlung für die Rentner soll zum 1. Dezember 2022 erfolgen.

Die Auszahlung erfolgt über die Deutsche Rentenversicherung. Die Auszahlung für Studenten soll unterdessen „schnell und unbürokratisch vor Ort“ erfolgen, ein genauer Zeitplan muss noch mit den Ländern geklärt werden. Die Ampelkoalition hat sich zudem darauf geeinigt, dass der Kreis der Wohngeldberechtigten auf zwei Millionen Bürger erweitert werden soll.

Für die Heizperiode September bis Dezember soll einmalig ein Heizkostenzuschuss an die Bezieher von Wohngeld gezahlt werden – danach soll er für die Wohngeldberechtigten dauerhaft in das Wohngeld integriert werden. Er beträgt einmalig 415 Euro für einen Ein-Personen-Haushalt (540 Euro für zwei Personen; für jede weitere Person zusätzliche 100 Euro). Das „Entlastungspaket“ enthält auch eine Nachfolgeregelung für das 9-Euro-Ticket – viele Details sind dabei aber noch offen.

So will die Bundesregierung den Ländern für ein bundesweites Nahverkehrsticket jährlich 1,5 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung stellen, aber nur „wenn die Länder mindestens den gleichen Betrag zur Verfügung stellen“. Die Ampelparteien verweisen in ihrem Beschlusspapier auf Diskussionen, die derzeit stattfinden – wobei ein neues Ticket wohl zwischen 49 bis 69 Euro pro Monat kosten dürfte. Ziel sei ein „preislich attraktives Ticket“ in diesem Rahmen.

Als weitere Maßnahmen nennt die Koalition in ihrem Beschlusspapier unter anderem die Einführung des sogenannten „Bürgergelds“ zum 1. Januar 2023, eine weitere Anhebung der Höchstgrenze für eine Beschäftigung in sogenannten Midi-Jobs auf monatlich 2.000 Euro, Steuermaßnahmen zum Abbau der Kalten Progression sowie eine Kindergelderhöhung zum 1. Januar. Die Bundesregierung plant außerdem eine Fortsetzung der „Konzertierten Aktion“ mit den Sozialpartnern sowie Hilfen für energieintensive Unternehmen, die die Steigerung ihrer Energiekosten nicht weitergeben können. Die Sonderregelungen für das Kurzarbeitergeld werden zudem über den 30. September 2022 hinaus verlängert.

Auch die Absenkung der Umsatzsteuer für Speisen in der Gastronomie auf 7 Prozent wird verlängert. Die Verhandlungen im Koalitionsausschuss hatten am Samstagmittag mit Verzögerungen begonnen. Nachdem bis zum Abend keine Lösung präsentiert werden konnte, gingen die Beratungen in der Nacht weiter – sie endeten erst am Sonntagmorgen.

Hintergrund der Beschlüsse sind die weiterhin hohen Preissteigerungen für Energie sowie die immer höheren Lebenshaltungskosten in Deutschland. Mit den ersten beiden „Entlastungspaketen“ war unter anderem bereits die EEG-Umlage abgeschafft worden. Außerdem enthielt das zweite Paket mittlerweile beendete Maßnahmen wie das 9-Euro-Ticket und den befristeten Tankrabatt.

Die im zweiten „Entlastungspaket“ beschlossene Energiepauschale von 300 Euro für alle Beschäftigten soll im September ausgezahlt werden.


Erste Kritiker an drittem „Entlastungspaket“ melden sich   

Nach Bekanntgabe der Details zum dritten sogenannten „Entlastungspaket“ melden sich die ersten Kritiker zu Wort. „Das Paket hat Licht und Schatten“, sagte Ifo-Chef Clemens Fuest der „Bild“ (Montagausgabe). Positiv sei, dass die Bundesregierung sich „erkennbar bemüht, Preise und damit Anreize für das Energiesparen wirken zu lassen“.

Bei der Zielgenauigkeit der Maßnahmen sehe es hingegen weniger gut aus. „Hier ist man teils mit der Gießkanne unterwegs“, so Fuest. „Die Verlängerung der Umsatzsteuersenkung für die Gastronomie gehört eigentlich nicht in ein Energiepreise-Entlastungspaket. Die Steuer- und Abgabenbefreiung für eine konzertierte Aktion ist meines Erachtens nicht sinnvoll, der Staat sollte die Lohnsetzung den Tarifpartnern überlassen.“ Die „Entlastung“ bei den Strompreisen komme zudem auch Haushalten mit höheren Einkommen zu Gute, die die Strompreise selbst tragen können. Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, beklagte eine anhaltende soziale Schieflage.

„In diesem Entlastungspaket werden Fehler korrigiert, in dem nun auch Rentner und Studierende berücksichtigt werden“, sagte er dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. „Zu begrüßen ist die geplante Wohngeldreform zum 1. Januar. Das ist ein überfälliger Schritt.“

Schneider beklagte allerdings vehement, dass der Hartz-IV-Regelsatz erst zum Jahresbeginn auf voraussichtlich 500 Euro angehoben werden soll. „Dass die Ärmsten bis dahin gar nichts kriegen sollen, geht gar nicht“, sagte er dem RND. Außerdem bleibe es auch dann bei einer sozialen Schieflage. Denn die Erhöhung sei ja „nicht einmal ein Inflationsausgleich und deshalb überhaupt nicht akzeptabel. Da werden wir Nachbesserungen einfordern müssen.“


Rufe nach weiteren „Entlastungen“

Kurz nach der Vorstellung des dritten sogenannten „Entlastungspakets“ der Bundesregierung gibt es bereits Rufe nach weiteren Maßnahmen. Wichtig sei, dass die Regierung „auch Schritte plant, um die Unternehmen zu unterstützen, die durch die derzeitige Situation in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Montagsausgaben). „Es ist wichtig, ihre Handlungsfähigkeit zu sichern.“

Der Sozialverband Deutschland (SoVD) zog unterdessen eine kritische Bilanz der Regierungspläne. Die SoVD-Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier sagte den Funke-Zeitungen, dass der Energiekostenzuschuss für Rentner „überfällig“ gewesen sei, die einmalige Maßnahme aber nicht ausreiche. „Das muss verstetigt werden.“

Was zudem fehle, sei eine schnelle Hilfe für Menschen mit kleinen Einkommen, die kein Wohngeld bekommen. „Da reichen die 300 Euro nicht.“ Es brauche ein „Inflationsgeld“ für Menschen mit geringem Einkommen.

„Und was völlig fehlt, ist ein fairer Beitrag von Spitzenverdiener zur Finanzierung.“


Merz hält „Entlastungspaket“ für unzureichend 

CDU-Chef Friedrich Merz kritisiert die geplanten „Entlastungen“ der Ampel-Koalition als unzureichend. Es werde massive Klagen aus der Wirtschaft geben, sagte Merz am Sonntag der ARD für das sogenannte „Sommerinterview“. „Und die Wirtschaft, das sind nicht die Großkonzerne, das sind die vielen hunderttausend kleinen und mittleren Unternehmen, die dieses Land am Laufen halten. Und die werden einfach von dieser Koalition vernachlässigt.“ Zwar gebe es sinnvolle Entlastungen etwa für Rentner oder Studierende, aber Geringverdiener und Unternehmer, die unter den Folgen des Ukraine-Krieges besonders leiden müssten, würden nicht genügend berücksichtigt. „Man hätte mehr tun müssen für diejenigen, die so eben gerade oberhalb der Grenzen liegen und für die Betriebe, für den Mittelstand, für die Einzelhandelsunternehmen, die wirklich an der Existenzgrenze stehen, die wirklich jetzt mit dem Rücken zur Wand stehen, wird in diesem Papier so gut wie nichts aufgeschrieben.“

Merz bekräftigte erneut seine Forderung nach einer Deckelung der Großhandelspreise. Zudem habe die Ampel-Koalition in ihrem dritten Entlastungspaket keine Antwort auf die Frage gegeben, woher der Strom für die nächsten Wochen und Monate kommen solle. „Sie haben im Grunde genommen diesen Angebotsschock, den wir haben durch das ausbleibende russische Gas, überhaupt nicht angesprochen. Geschweige denn kompensiert.“ Auch die vorübergehende Verlängerung der Kernenergie dürfe kein Tabu sein, für „drei, vier, fünf Jahre“. Mit Blick auf den Parteitag wies der CDU-Chef die Kritik zurück, er vernachlässige das Wirtschaftsprofil seiner Partei: „Wir bereiten den Parteitag intensiv vor mit einem Grundsatzpapier zur Wirtschafts- und Energiepolitik. Da wird sehr viel noch mal zusätzlich aufgenommen werden.“ Das sei ein Prozess, und er sei nicht der Vorsitzende, der von oben anordnet, wohin die Partei zu laufen habe. „Sondern wir sind eine Mitgliederpartei. Und wir werden in dieser Partei intensiv weiter diskutieren.“ Seine Ambitionen auf eine mögliche Kanzler-Kandidatur ließ der CDU-Chef offen: „Also ich fühle mich gesund und im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte. Und wenn das 2024 und 25 auch noch so ist, werden wir eine Entscheidung treffen.“

Aber, er stehe bereit, falls die Ampel-Koalition vorzeitig zerbrechen sollte. „Der Oppositionsführer, sei der erste Anwärter auf diese Nachfolge“, so Merz. Einen Anlass dafür sehe er im Moment aber nicht.


Eine Nacht im Kanzleramt

SPD, Grüne und FDP haben sich am Samstag nach rund 18 Stunden Verhandlungen im Koalitionsausschuss auf ein drittes sogenanntes „Entlastungspaket“ geeinigt.

Das teilte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) am Sonntagmorgen mit. „Es ist vollbracht“ schrieb er auf Twitter und sagte, es handele sich um ein „sehr gutes Ergebnis“.

Die Details sollen ab 11 Uhr auf einer Pressekonferenz bekannt gegeben werden.

red01