Berlin | Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht der AfD ab, bürgerlich zu sein. „Man reibt sich doch ein wenig die Augen“, sagte Steinmeier dem „Spiegel“ in seiner aktuellen Ausgabe mit Blick auf Äußerungen von AfD-Chef Alexander Gauland, die AfD-Leute seien die Vertreter des Bürgertums. Bürgertum, Rechtsstaat und individuelle Freiheitsrechte gehörten zusammen.

„Wer sich in dieser Tradition sieht, der kann nicht gleichzeitig einem ausgrenzenden, autoritären oder gar völkischen Denken huldigen. Das ist das Gegenteil von bürgerlich: Es ist antibürgerlich“, so der Bundespräsident weiter. Jede Partei müsse sich entscheiden, „wo sie stehen will: entweder völkisch kollektivistisch oder aufgeklärt bürgerlich. Beides gleichzeitig geht nicht“. Das Bürgerliche zeige sich „in der Verteidigung der Freiheit, der Anerkennung des Individuums und damit auch im Respekt vor Andersdenkenden“, sagte Steinmeier. Um diese Haltung gehe es.

Demokratie lebe von der Kontroverse und brauche auch den Streit: „Aber Frust ist kein Freifahrtschein für Menschenfeindlichkeit“, so der Bundespräsident. Er signalisierte, dass er einen entschiedeneren Kampf der Großen Koalition gegen Rechtsextremismus vermisse. „Ich glaube nicht, dass die Regierungsparteien den Rechtsextremismus unterschätzen“, sagte Steinmeier.

Aber beide Volksparteien befänden sich „nicht erst seit Beginn der Großen Koalition in Diskussionen über ihre politische Führung, über Strategie und inhaltliche Orientierung. Das raubt ihnen Kraft, Zeit und Energie für notwendige Debatten in einer Öffentlichkeit, die zu Recht hohe Erwartungen an die Problemlösungskompetenz einer Regierung stellt“. Den wachsenden Zuspruch für die AfD führt der Bundespräsident auch darauf zurück, dass die Erinnerung an den Nationalsozialismus verblasst. „Die eigene Geschichte und die Gegenwart derjenigen, die wählen gehen, sind nicht mehr genügend miteinander verknüpft“, sagte Steinmeier dem „Spiegel“. „Unsere Verantwortung kennt keinen Schlussstrich“, so der Bundespräsident weiter.

Autor: dts