Köln | Auf der autofreien Nord-Süd-Fahrt dreht sich am Sonntag alles ums urbane Leben und die Frage: Wie wollen wir leben?
Fahrräder, Roller, Inlineskates, Lastenräder, Rollstühle, Kinderwagen und Rollatoren, nahezu alle Vehikel ohne Motor eroberten am Sonntag die Nord-Süd-Fahrt. Junge Familien mit Kinderwagen bahnten sich den Weg durch den Tunnel hinter der Oper genauso wie ältere Menschen mit oder ohne Gehhilfe.
Statt tosendem Verkehr breitete sich auf der für den Autoverkehr gesperrten Trasse über 1,5 Kilometer Länge ein bunter Festivalteppich aus: Bühnen, Stände, Musik, Gesang, politischen Diskussionen – und natürlich jede Menge Foodtrucks. Mit nahezu gleichem Angebot: Vegane Burger. Die Initiative Strassenland feierte nach 2019 und pandemiebedingter Pause die zweite Ausgabe ihres urbanen Festes, das diesmal dem Motto „Lebe Deine Stadt“ gewidmet war.

Rund 200 Mitwirkende bereiteten für die 150 000 Besucher ein entspanntes Straßenfest mit ganz anderem Blickwinkel: nämlich ohne tosenden Verkehr, der gewöhnlich hier, zwischen der Unterführung beim WDR und der Auffahrt zur Severinsbrücke rauscht und die Innenstadt in zwei Teile teilt.
Strassenland: Menschen spazierten über Nord-Süd-Fahrt
„Wie toll, dass man das erleben kann, einfach mal über die Nord-Süd-Fahrt zu spazieren“, schwärmte die Besucherin Luise Kaltenborn. Und der Mitveranstalter Christoph Kuckelkorn von Herrlich Kölsche Events (HKE) freute sich, „dass so viele interessierte Besucher kamen und mitdiskutierten. Es scheint doch ein großes Bedürfnis der Bürgerinnen und Bürger zu sein, sich mit den Entscheidern der wachsenden Stadt auszutauschen.“
Zwei Bühnen flankierten das Gelände. Auf dem Offenbachbachplatz diskutierten kommunale Politiker und Ratsmitglieder mit den Bürgern, verschiedene Chöre sangen im Tunnel und junge, regionale Unternehmen der Bereiche Mode, Technologie und Kommunikation präsentierten sich am südlichen Ende, die Tim Betzin, der Gründer und Geschäftsführer von „Rausgegangen“ kuratierte.

Nicht aufdringlich, sondern stimmungsvoll gab es für die Besucher bei schönstem Draußenwetter die Möglichkeit, den Blick für ihre Stadt zu schärfen, die Sichtweise zu korrigieren, zu sehen, was die Start-ups dieser Stadt so machen: Ob es Wäsche ist, wie das Unternehmen „Erlich“ unter ökologischen Maßgaben sie herstellt, oder das Kollektiv „Im Rahmen der Kunst“ jungen Künstler ein Forum bietet. Alle gingen der Frage nach: Lebe Deine Stadt, aber wie? Wie funktioniert urbanes Leben für alle? Denn es soll: Integrativ, sozial, klimaneutral, demokratisch, nachhaltig und nicht weiter gentrifiziert sein.
Strassenland: Diskussionen über nahe Ziele der Initiative
Um diesen Themen, und den nahen oder in der Ferne liegenden Zielen nachgehen zu können, holten sich die beiden Lokaljournalisten Diana Hass und Helmut Frangenberg verschiedene Interviewpartner auf die Süd-Bühne: Unter anderem diskutierten die Leiterin des Stadtplanungsamtes der Stadt Köln, Eva Herr, Axel Molinski, Geschäftsführer der derzeit von Schließung bedrohten Volksbühne und Heiko Rühl, Vorstandsmitglied der Klubkomm.
So heterogen die Gesprächspartner waren, sollte es vor allem darum gehen: Stadtentwicklung und Kultur im innerstädtischen Gebiet zu einen, wenn der Platz immer weniger wird. Wie sich wohnen und arbeiten verbinden lässt und gleichzeitig die Kultur.
Wie Ausgeh-Kultur nicht weiter an den Stadtrand gedrängt wird. Wie sich brachliegende Flächen optimal nutzen lassen und künftige Quartiere so entwickelt werden, dass es ein durchmischtes Miteinander auf die Bedürfnisse der Bewohner trifft. Themen, die alle Stadtbewohner mit ihren unterschiedlichen Interessen betreffen und allerhand Toleranz fordern.
Zum Thema Integration und Gentrifizierung diskutierte im Anschluss die Schirmherrin der Veranstaltung, Oberbürgermeisterin Henriette Reker, unter anderem mit dem Kölner Psychologen und Meinungsforscher Stephan Grünewald und Ahmet Edis vom Integrationsrat.
Dieser sieht nicht nur „Gentrifizierung“ als großes Problem, also die Verdrängung der Geringverdiener aus begehrten Innenstadtvierteln, sondern auch die Gettoisierung an den Rändern: „Dieser Trend wird sich leider verschärfen.“ Die Oberbürgermeisterin antwortete: „Chancengleichheit wird es nie geben, aber für Chancengerechtigkeit durch Bildung will ich mich voll und ganz einsetzen.“
Man wird sehen, was die Diskussionsteilnehmer und die Besucher werden anstoßen können. „Vielleicht wissen wir bei der dritten Ausgabe von Strassenland schon mehr?“, sagte Christoph Kuckelkorn. Denn eine Fortführung soll des Straßenfestes soll es geben, jedoch ohne dreijährige Pause.