Berlin | Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns könnte viel weniger Menschen betreffen als bislang gedacht: Im Extremfall könnte sich die Zahl der Anspruchsberechtigten bis zum Jahr 2015 von derzeit 5,2 auf 2,9 Millionen nahezu halbieren. Dies geht aus einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hervor, die der „Welt“ vorliegt. CDU/CSU und SPD haben sich im Koalitionsvertrag auf einen allgemeinen Mindestlohn von 8,50 Euro die Stunde ab dem Jahr 2017 verständigt.

In der Union gibt es Forderungen, Rentner, Studenten, Ehrenamtliche, Saisonarbeiter, Praktikanten und Jüngere vom Mindestlohn auszunehmen. Im Jahr 2012 verdienten laut DIW 15 Prozent aller Arbeitnehmer weniger als 8,50 Euro die Stunde – rund 5,2 Millionen Beschäftigte. Dies waren schon rund 500.000 Arbeitnehmer weniger als noch im Jahr 2011.

Der Grund: Die Zahl der Beschäftigten mit einfachen Jobs sei gesunken. Außerdem konnten sich Arbeitnehmer 2012 über höhere Löhne freuen, die sie über die Grenze von 8,50 Euro hievten. Und dieser Trend dürfte sich laut dem Wirtschaftsforschungsinstitut dank der guten Wirtschaftsentwicklung fortsetzen: Bis zum Jahr 2015 werden demzufolge allein wegen Lohnsteigerungen 700.000 Arbeitnehmer über die Grenze von 8,50 Euro rutschen.

„Mehr als 700.000 Arbeitnehmer verdienen aktuell zwischen acht und 8,50 Euro die Stunde. Setzt man Lohnsteigerungen von 2,3 Prozent wie zuletzt voraus, werden sie 2015 mehr als 8,50 Euro erhalten“, sagte DIW-Arbeitsmarktexperte Karl Brenke, Autor der Studie. Sollten darüber hinaus noch diskutierte Ausnahmeregelungen für Rentner, Schüler und Studenten in Kraft treten, würde die Zahl der Anspruchsberechtigten um eine weitere Million sinken, heißt es.

Unklar ist auch, ob und wie Arbeitnehmer berücksichtigt werden, die einen sehr niedrigen Pauschallohn oder Stücklohn pro Tätigkeit erhalten. Darunter fallen etwa Taxifahrer oder Zeitungsausträger. Sollten auch diese Arbeitnehmer ausgeklammert werden, „schrumpft der Kreis der potenziellen Mindestlohnbezieher um weitere 600.000“, schreibt Brenke in seiner Analyse. Über Lohnsteigerungen und Ausnahmen würden damit insgesamt 2,3 Millionen Arbeitnehmer der heute 5,2 Millionen Anspruchsberechtigten nicht mehr unter den Mindestlohn fallen. DIW-Forscher Brenke warnte zugleich vor zu starken Ausnahmen beim Mindestlohn: „Das könnte zu unerwünschten Verdrängungseffekten auf dem Arbeitsmarkt führen.“ So könnten etwa Rentner und Studenten gezielt für niedrig entlohnte Jobs eingesetzt werden, um den Mindestlohn zu umgehen.

„Wenn bestimmte, genau definierte Tätigkeiten aus den Mindestlohnregelungen ausgeklammert würden, wäre indes die Gefahr von Verdrängungseffekten gering“, erklärte Brenke. Außerdem müsse der Gesetzgeber strikt die Einhaltung neuer Regulierungen kontrollieren. „Schon heute leisten etwa eine Millionen Menschen, die unter 8,50 Euro verdienen, Überstunden. Bei einem Mindestlohn dürften es eher mehr werden“, sagte Brenke.

Autor: dts
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