Köln | Die Kürzungen für die Bühnen der Stadt Köln sorgen derzeit für Diskussionen in der Stadt. Vergessen wird dabei häufig der Tanz. Dabei gilt Köln immer noch als Zentrum des Tanzes in NRW und ganz Deutschland. Im Interview mit report-k.de erklärte Kajo Nelles, Geschäftsführer nrw landesbuero tanz, warum Köln ein Bedeutungs-Verlust droht und wie eine zukunftsweisende Gestaltung und Förderung des Tanzes aussehen könnte – etwa durch ein offenes Kölner Tanzhaus auf dem Parkhausdach am Schauspielhaus.

Herr Nelles, als Geschäftsführer des nrw landesbuero tanz sorgen Sie sich um die Tanzstruktur in Nordrhein-Westfalen. Wie steht es um den Tanz?
Kajo Nelles: NRW ist immer noch die Vorreiter-Region in Deutschland. Doch auch Berlin ist immer mehr im Kommen. In Nordrhein-Westfalen arbeiten und leben rund 100 Choreographen. Dazu kommen neun kommunale Ensembles. Auch mit unserem Landesbüro haben wir eine einzigartige Struktur in NRW. Ein vergleichbares übergeordnetes Büro gibt es nur noch in Berlin. Derzeit wird nun sogar diskutiert, das nordrhein-westfälische Modell auf die Bundesebene zu übertragen und ein nationales Büro für den Tanz zu errichten.

Wie finanziert sich der Tanz in NRW?
Die Produktionen der freien Szene sowie der kommunalen Ensembles werden ausschließlich über Förderungen des Landes beziehungsweise der Städte und über Stiftungen finanziert. Der Tanz ist eine zu kleine Sparte, um Sponsoren dafür zu begeistern. Für freie Produktionen stellte das Land NRW im vergangenen Jahr 840.000 Euro zur Verfügung.

Köln galt lange als Tanz-“Hauptstadt“. Ist das immer noch so?
Köln gilt immer noch als Zentrum des Tanzes. Hier leben allein 45 Choreographen. Die Stadt förderte die freie Szene 2011 mit etwa 270.000 Euro. Nur Düsseldorf gibt in Nordrhein-Westfalen mehr Geld für den Tanz aus – 290.000 Euro. Dabei leben in Köln allerdings zweimal so viele Choreographen. Auch dank der kommunalen Unterstützung entwickelt sich Düsseldorf zunehmend zu einer Konkurrenz für Köln. In der Landeshauptstadt ist etwas die größte Kompanie NRWs an der Düsseldorfer Oper ansässig. Dazu gibt es weitere große Ensembles und das Tanzhaus Düsseldorf. Noch kann Köln durch seinen künstlerischen Charme punkten. Er allein hält die Choreographen derzeit noch hier. Die Strukturen und Förderungen sind in vielen anderen Städten deutlich besser. Wenn Köln nicht aufwacht, droht der Stadt daher der Verlust des Tanzes. Schon jetzt ist Köln nicht mehr so wichtig.

Warum verliert Köln an Bedeutung?
Das liegt auch daran, dass Köln nicht mehr in den Tanz investiert. Noch vor nicht einmal zehn Jahren wurde etwa ein Tanzhaus angekündigt. Das sollte jährlich eine Millionen Euro erhalten. Zudem sollte wieder eine größere Kompanie aufgebaut werden, für die rund drei Millionen Euro bereitgestellt werden sollte. Mit der Krise 2008 wurden die Pläne für eine eigene Kompanie zunächst gestrichen – und ein Budget für die Einrichtung eines Tanzhauses eingestellt. Mit der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung 2010 wurden dann auch die Pläne für ein Tanzhaus aufgegeben. Gewissermaßen als Trostpflaster wurde die noch heute stattfindende Gastspiel-Reihe gegründet. Dafür werden jährlich eine Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Das Programm ist auch wirklich toll und überzeugt mit internationalen Größen und Deutschland-Premieren.

Nun drohen jedoch auch dieser Veranstaltungs-Reihe Kürzungen. In der Spielzeit 2012/ 2013 sollen eigentlich 300.000 Euro eingespart werden. Weil dies jedoch von der Stadt erst beschlossen wurde, als bereits alle Verträge unterschrieben waren, ist das nicht möglich. Ich befürchte nun, dass der Tanz dafür dann 2013/ 2014 doppelt so viel einsparen soll – also 600.000 Euro. Von dem Budget wären dann nur noch 400.000 Euro übrig, wenn in den kommenden Jahren nicht noch weitere Kürzungen folgen. Ich rechne mit noch viel Schlimmerem. Dabei wäre das Land NRW sofort bereit Köln bei Investitionen zu unterstützen. Die Initiativen dazu müssen jedoch aus dieser Stadt kommen. Andere Kommunen schaffen das, Köln zeigt dabei zu wenig Interesse.

Wie viele Besucher haben die Tanz-Aufführungen in Köln?
Zahlen gibt es dazu nicht. Aber grundsätzlich sind alle Vorführungen in der Gastspiel-Reihe der städtischen Bühnen ausverkauft. Das Interesse am Tanz in Köln ist da.

Die Kommunen in NRW müssen sparen. Wie bewerten Sie Kooperationen zwischen den Städten? Braucht heute jede Stadt noch ihr eigenes Ensemble?
Wir unterstützen jegliche Kooperationen. Schon jetzt verstehen wir die Umgebung Köln, Wuppertal, Düsseldorf und Bonn als eine Region. Viele Zuschauer aus Köln schauen sich Tanz-Aufführungen in Wuppertal an. Und umgekehrt kommen aus der ganzen Region schon Zuschauer nach Köln. Dabei hat Köln bereits seit 1997 – mit einem Zwischenspiel von Amanda Millers Kompanie „pretty ugly“ von 2005 bis 2009 –  kein eigenes Ensemble mehr. Die Nachfrage hier zeigt jedoch, dass das Interesse da ist. Doch Köln kann nicht immer nur auf Produktionen aus anderen Regionen bauen. Auch hier muss mal etwas entstehen. Dafür muss es nicht mehr „das“ Ensemble geben. Denkbar sind etwa Partner-Ensembles mit anderen Städten, um gemeinsam Produktionen zu entwickeln.

Wie wäre das denkbar?
Wir müssen weg von dem Gedanken „Das ist ‚unser‘ Ensemble und ‚unser‘ Choreograph. Denn das entspricht nicht mehr dem heutigen Tanz. Wir brauchen kein Ballett-Ensemble, das allein der Oper Köln gehört. Stattdessen sollte es finanzielle Förderungen für verschiedene Produktionen geben. Zukunftsfähig und fruchtbar für den Tanz in NRW und Deutschland könnte ein offenes Kölner Tanzhaus mit einer Spitzenkompanie sein. Das Tanzhaus wäre abends offen für eigene Produktionen und Gastspiele und könnte tagsüber Platz für Proben und Tanz-Trainings auch der freien Szene bieten. Denn gerade der Tanz ist es doch, der verschiedene Generationen und Kulturen vereinen kann. Theater und Oper schaffen so etwas nicht. Das können nur Musik und Tanz.

Wo wünschen Sie sich ein Tanzhaus Köln?
Im Rahmen der Diskussionen um den Neubau beziehungsweise die Sanierung von Oper und Schauspiel hätte ich mir gewünscht, dass das Tanzhaus in den Opernterrassen entsteht. Dieser Vorschlag traf in der Stadt jedoch auf wenig Zustimmung. Nun hoffe ich, dass der Tanz zumindest nach der Interimszeit der Bühnen wieder mehr Raum erhält. Dazu darf die Stadt die Halle Kalk nicht mehr als Spielstätte für die Oper ausweisen und das auch gar nicht mehr in den Vertrag mit dem neuen Intendanten aufnehmen. Die Oper erhält schließlich im eigenen sanierten Haus neue Probe-Räume. Stattdessen sollte die Halle Kalk für den Tanz genutzt werden – mit einer eigenen Programmleitung. Langfristig gedacht wünsche ich mir ein neu gebautes Tanzhaus – etwa auf dem Parkdeck des Parkhauses am Schauspielhaus wie es die Initiative „Mut zur Kultur“ vorschlägt. Das wäre ein toller Ort.

Autor: Cornelia Schlösser | Foto: Gruss-photography
Foto: Kajo Nelles, Geschäftsführer nrw landesbuero tanz