Köln | Hoch über den Köpfen von Fußgänger:innen, Radfahrenden und Autofahrer:innen flattern hellblaue Fahnen mit weißer Aufschrift „Mehr Raum zum Leben“ und dem Verkehrszeichen „Tempo 20“. Unten herrscht Chaos.
Die Venloer Straße gilt und galt vielen Menschen, die alle Mobilitätsformen nutzen, schon immer als nicht einfach zu bewältigender Verkehrsraum. Und das ist noch höflich formuliert. Bisher war das Chaos einigermaßen durchorganisiert. Es galt Tempo 30, es gab Radfahrschutzstreifen, Lieferwagen – nicht alle – parkten in der zweiten Reihe neben den Fahrradschutzstreifen und Fußgänger:innen konnten etwa bei St. Joseph eine Ampel nutzen, um die Straße sicherer zu queren. Diese bisherige Organisation des Verkehrsraumes war auch schon chaotisch aber immerhin noch strukturierter.
Die Kölner Kommunalpolitik ließ die Venloer Straße von einer Bundesstraße zu einer Gemeindestraße im Bereich Alt-Ehrenfeld herabstufen. Damit kann die Kölner Politik jetzt die Straße nach ihrer Vorstellung neu strukturieren. Nächstes Jahr soll die Venloer Straße zur Einbahnstraße werden.
Auf die Einbahnstraßenregelung wollten anscheinend Kölner Politik und Stadtverwaltung nicht warten, sondern führten jetzt Tempo 20 seit 9. Dezember ein. Gleichzeitig lösten sie alle regulierenden Elemente auf, indem sie diese mit gelben Kreuzen versahen oder die Ampel ausschalteten.
Das führt aktuell zu mehr Chaos als Raum zum Leben.
Die Auflösung der Regeln führt etwa an der Ampel dazu, dass ältere Ehrenfelder:innen die Straße gar nicht mehr kreuzen können. Oder es kommt zu gegenseitigen wilden Beschimpfungen zwischen Radfahrenden und Fußgänger:innen. Da fallen Worte wie „Bitch“ und auch kräftige Fäkalausdrücke. Mehr Raum zum Leben?
Ist es naiv zu glauben, dass zwei kleine runde Täfelchen mit rotem Kreis und einer schwarzen 20 Autofahrende in PS-Boliden davon abhalten langsam zu fahren? Nein, jetzt düsen sie erst Recht durch die Straße. Kaum ein Autofahrender hält sich an Tempo 20.
Und wer es dennoch tut, der erlebt nicht selten eine skurrile Situation: Denn dann überholen die Radler:innen rechts und links.
Die Stadt Köln kündigte an, den Verkehr intensiv zu überwachen. Blitzer, so berichten es Anwohnende waren bisher nicht zu sehen. Und wie blitzt die Stadt eigentlich Radfahrende?
Die bisherigen Maßnahmen, wie Verkehrseinengung vor St. Joseph funktionieren auch nicht. Und das Fähnchen, das seit gestern hoch oben an den Lichtmasten flattert, mit der Aufschrift „Mehr Raum zum Leben“ ändert nichts daran.
Die Einführung von „Rechts vor Links“, die zwar beschildert wurde, ist lange noch nicht in den Köpfen angekommen und es kommt immer wieder zu gefährlichen Situationen und Konflikten.
Viele Anwohner:innen zeigen Unverständnis dafür, dass in den engen Seitenstraßen, wie etwa der Körnerstraße Tempo 30 gilt und auf der Venloer Tempo 20.
Kommentierend stellt sich die Frage, warum Kölner Politik und Stadtverwaltung nicht erst die Idee durchdenken, die Situation intensiv analysieren, ein Konzept erstellen und dieses kompakt und in einem Zug auf die Straße bringen. Und das nicht nur für die paar hundert Meter Venloer Straße zwischen Innerer Kanalstraße und Ehrenfeldgürtel, sondern für das gesamte betroffene Veedel.
Kommt die Stadt Köln mit einem solchen wilden und nicht durchdachten Feldversuch eigentlich ihrer Verkehrssicherungspflicht in korrekter Weise nach?
Wie der Vorsitzende des Kölner Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) Christoph Schmidt in einem Interview mit „Explosiv“ von „RTL“ sagte, gelte in einer Tempo 20 Zone die Aufhebung aller Regeln. Dies sei Gesetz. Damit hat er Recht. Die Frage allerdings bleibt, wie muss die Stadt Köln solche Änderungen einführen? Mit Fähnchen im Wind? Schmidt twitterte heute: „Die Fahnen hängen an der Venloer Straße. Das ist die Wende. Jetzt wird alles gut.“
Ob er damit Recht behalten wird?
agr, ag