Kanzlerenkel Konrad Adenauer und Anselm Weyer (r.) Foto: Eppinger

Köln | Vor 100 Jahren schien in der Domstadt alles in bester Ordnung zu sein. Köln hatte den Ersten Weltkrieg überstanden und die britische Besatzung am Rhein sorgte für die Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung.

Mit Konrad Adenauer stand ein Oberbürgermeister an der Spitze der Stadtgesellschaft, der gut 25 Jahre später zum ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik werden sollte. Doch war diese wirklich eine friedliche „Insel der Seligen“.

Buchtipp: Kölner Kriminalfälle zwischen 1918 und 1926

Dass das definitiv nicht der Fall war, zeigen die umfangreichen Recherchen des Autors und Journalisten Anselm Weyer. Er findet heraus, dass es unter der Oberfläche mächtig gebrodelt hat. Raubmorde, Eifersuchtsdramen, Bandenkriminalität, Kunstskandale und politische Gewalt erschütterten die Menschen im Schatten des Doms, die mit Herausforderungen wie Inflation, Hunger und Arbeitslosigkeit zurechtkommen mussten. In seinem gerade im Greven-Verlag erschienenen Buch blickt er auf spannende Kriminalfälle nach dem Ersten Weltkrieg.

Sie betreffen einfache Menschen genauso wie prominente Zeitgenossen. Das gilt zum Beispiel für den berühmten Künstler Max Ernst, der damals in Köln lebte und der die Kunst revolutionieren wollte. Zusammen mit seinem Mitstreiter Johannes Theodor Baargeld sowie anderen Künstlerkollegen wie Paul Klee und Hans Arp organisierte er im Dada-Haus, seiner Kölner Wohnung, die revolutionäre Kunst.

Diese stößt bei der Obrigkeit auf Misstrauen und wird als Pornografie verunglimpft. Aber man wehrt sich – nachdem im Kunstgewerbemuseum Werke der Schau entfernt werden, wird diese in einem Brauhaus in der Schildergasse einfach neu eröffnet. Nun wütet das Publikum gegen „anstößige“ Werke“ und die Polizei schließt die Ausstellung. Doch auch jetzt gibt man nicht auf und schon bald öffnet die Schau wieder unter dem Titel „Dada siegt“.

Einer der größten Nazischergen und Kriegsverbrecher fängt in Köln ganz klein als Depotbuchhalter bei der Dresdner Bank an. Für Paul Joseph Goebbels ist das jedoch eine echte Demütigung, will er doch als Künstler und Schriftsteller glänzen. Er verdient wenig, genießt aber in vollen Zügen das Kulturleben der Stadt. Und Geld wird für Goebbels in Zeiten der Inflation zum Problem. Deshalb versucht er, die Rückzahlung eines Darlehens an einen Verein zu umgehen und wird doch dazu verurteilt. Auch in der Bank scheitert er und wird schon kurz nach seiner Einstellung wieder entlassen. Es ist die Zeit, in der sich der vermeintliche Schöngeist aus Rheydt zum brutalen Antisemiten entwickelt.

Verbrechen im Schatten des Ersten Weltkriegs

Nach Köln zieht es den Boxer Max Schmeling. In der Domstadt kann er seinen Sport anders als in Hamburg problemlos ausüben und macht schnell Karriere. Doch er will auch als Unternehmer glänzen und erwirbt eine Eismaschine und den dazugehörigen Verkaufswagen. Doch sein Kölner Manager betrügt ihn und verkauft die Eismaschine, um seine Schulden zu bezahlen. Letztlich verlässt der Boxer frustriert die Domstadt und zieht nach Berlin.

Selbst im Rathaus herrscht Unruhe wie im ganzen Land – in Berlin wurde Außenminister Walther Rathenau ermordet. Die Empörung gegen die Handlanger des alten Kaiserregimes ist groß und die Gewerkschaften mobilisieren ihre Mitglieder. Große Demonstrationen und Kundgebungen bestimmen das Stadtbild. Im spanischen Bau wird heftig diskutiert, ob man in Köln noch eine Hohenzollernbrücke oder einen Kaiser-Wilhelm-Ring braucht. Schließlich kommt es bei einer Sitzung zur Schlägerei zwischen Kommunisten und Konservativen.

Aber auch bei den kleinen Leuten kommt es zu teils spektakulären Verbrechen. Es wird geschmuggelt, betrogen und gemordet. Oft reicht schon ein kleiner Anlass aus, um Menschen kriminell werden zu lassen. Das gilt zum Beispiel für ein Trio aus Geyen, das neue Anzüge für ein Kriegerfest braucht. Sie überfallen eine alte Frau auf einem Bauernhof und töten diese in ihrem Schlafzimmer. Die Beute ist bescheiden – eine goldene Uhr und etwas Wäsche wechselt gewaltsam den Besitzer. Doch der Polizeihund Nixe findet die Täter und bringt sie ins Zuchthaus.

Es sind auch immer wieder Hunger und Not, die Menschen zu Verbrechern werden lassen. Beim Kartoffelkrieg in Knapsack, greifen die Arbeiter aus dem Braunkohlebergbau zur Selbsthilfe und nehmen den Bauern ihre Ware ab. Das passiert auch, als ein Gerücht über ein mit Kartoffeln beladenes Fuhrwerk in Knapsack die Runde macht. Der Fahrer flieht zum örtlichen Förster. Doch die Menge dringt auf dessen Grundstück. Es fallen Schüsse und einer der Arbeiter stirbt durch den Schuss eines jungen Försters. Verurteilt werden aber letztlich die Eindringlinge. Der Schütze kommt straffrei davon.

Auch zwischenmenschliche Tragödien sorgen für Mord und Totschlag. So wird 1920 eine tote Frau mit durchschnittener Kehle im Straßengraben gefunden. Es ist Gertrud Knauf aus Bochum, die mit einem gewalttätigen Ehemann ihr Leben fristen muss. Mit einer gemeinsamen Hamsterfahrt nach Köln will man die zerrüttete Ehe retten. Doch nach reichlich Kölschgenuss kommt es zum tödlichen Streit.

Mit seinem in der Reihe „True Crime“ erschienenen Buch stellt Weyer insgesamt 23 spektakuläre Kölner Kriminalfälle in den Jahren zwischen 1918 und 1920 seinen Lesern vor. Es sind vertraute Orte wie das Severinsviertel oder der Heumarkt, an denen sich das Geschehen abspielt. Eingebettet werden die Fälle in die historischen Begleitumstände der Zeit in der Weimarer Republik wie zum Beispiel der Einzug der britischen Besatzer nach Köln oder der Kieler Matrosenaufstand, der sich bis Rhein auswirkt. Mit dem Krieg und der Inflation wird auch der Bogen in die heutige Zeit gespannt, in der die Menschen mit neuen Krisen leben müssen.

Anselm Weyer: Die Insel der Seligen – Köln 1918-1926, Greven-Verlag, 176 Seiten, 16 Euro