Dieses Foto veröffentlichte die ukrainische Informationsagentur des Verteidigungsministeriums der Ukraine. Es zeige ukrainische Soldaten der Artilleriebrigade "Zaporizhzhya Sich" beim Abschuss einer 155-mm-Granate mit dem französischen Flugabwehrgeschütz auf dem Radfahrwerk "Caesar". Es sollen laut ukrainischen Angaben damit bereits Erfolge, etwa der Abschuss von Panzern gelungen sein. | Foto: ArmyInform/Ukrainisches Verteidigungsministerium

Köln | LIVEBERICHT wird ständig aktualisiert | red, dts | Mit einer Zusammenfassung des Tages 95 des Ukraine-Krieges an dem Scholz und Macron mit Putin telefonierten und das nächste Kriegsziel der russischen Streitkräfte die Einnahme der ukrainischen Stadt Lyman deutlich wurde. Die Zahl der ukrainischen Geflüchteten steigt auf über 350.000 in Deutschland. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj fordert die Einstufung der Russischen Föderation als „Terrorstaat“. Die Schlacht um Sjewjerodonezk in einer Lageeinschätzung des ISW. Der Livebericht zu den Ereignissen rund um den Krieg in der Ukraine, die Situation der Flüchtlinge sowie politische Reaktionen weltweit.

Die Schlacht um Sjewjerodonezk

11:08 Uhr > Die Kämpfe um Sjewjerodonezk nehmen an Härte zu und Militärbeobachter wie etwa die Experten des Insitute For The Study Of War (ISW) fragen sich, ob der Kampf um die Einnahme der Stadt – denn danach sieht es aus – es Wert ist großes Leid und hohe Opferzahlen auf ukrainischer und russischer Seite in Kauf zu nehmen. Geht es also nur um Prestige für Wladimir Putin? Sjewjerodonezk wurde das Verwaltungszentrum der Ukraine nachdem die russischen Separatisten vor 8 Jahren Luhansk zur Gebietshauptstadt erklärten. Russische Truppen sind in die Stadt mittlerweile eingedrungen und täglich beschießt die russische Artillerie die Stadt. Es droht ein Mariupol 2.

Die ISW-Experten stellen fest, dass die Ukraine Putin zweimal zwang seine militärischen Ziele zu präzisieren. Kiew wurde nicht eingenommen und auch die Einnahme der Oblast Donzek in Gänze ist derzeit gescheitert. Aktuell kämpfen die russischen Streitkräfte um die Einnahme der Oblast Luhansk. Aktuell tobt daher die Schlacht um Sjewjerodonezk. Die ISW-Experten kommen zum Schluss, dass nach Ende der Schlacht um Sjewjerodonezk und deren Einnahme dieser Sieg den Krieg für den Kreml gewinnen würde: „Wenn die Schlacht um Sjewjerodonezk zu Ende ist, wird die russische Offensive auf operativer und strategischer Ebene wahrscheinlich ihren Höhepunkt erreicht haben, was der Ukraine die Möglichkeit gibt, ihre Gegenoffensiven auf operativer Ebene wieder aufzunehmen, um die russischen Streitkräfte zurückzudrängen.“

Sjewjerodonezk wird angegriffen ohne eingekesselt zu sein. Die russischen Einheiten machen Gebietsgewinne. Das ukrainische Militär steht vor einer großen Herausforderung ähnlich wie bei der Isolierung des Azovstalwerkes. Es sei möglich, so das ISW, dass die Ukraine in den kommenden Tagen eine bedeutende taktische Niederlage erleide. Möglich sei aber auch, dass der russische Vormarsch erneut ins Stocken gerät. Aber bringt den Russen ein derartiger taktischer Erfolg wirklich einen operativen und strategischen Nutzen, der im Verhältnis zum Preis steht? Die ISW-Experten bezweifeln dies, da die Einnahme von Sjewjerodonezk Russland keine wirtschaftlichen und militärischen Vorteile bringt. Nur das Narrativ, dass die russischen Streitkräfte dann die gesamte Oblast Luhansk gesichert hätten, bliebe. Die Stadt wird dabei in Trümmer gelegt und die Menschen werden leiden, wie in Mariupol. Die Militärbeobachter des ISW sehen zwar Bodenverbindungslinien (GLOC) durch die Einnahme von Sjewjerodonezk, aber die Izyum-Linien wären vorteilhafter gewesen und diese wurden wegen Sjewjerodonezk aufgegeben.

Kämpfe in der Oblast Donezk verharren

Die Schlacht um Sjewjerodonezk dürfte Offensivoperationen der russischen Streitkräfte in der Oblast Donezk erschweren. Überhaupt sind dort kaum Fortschritte der russischen Truppen festzustellen. Der Krieg dort verharrt entlang des Verlaufes der Kontaktlinie des 24. Februar.

Russische Offiziere

Der militärische Geheimdienst der Ukraine (GUR) berichtet von unproffesionellem Verhalten der russischen Offiziere. So sollen Kommandeure verbieten verwundete Soldaten zu retten, um Material zu schonen oder Einheiten, die weit vorgerückt sind mit Nachschub zu versorgen. Dies wirke sich auf die Moral der russischen Soldaten aus. Allerdings können solche Behauptungen der Ukraine nicht unabhängig überprüft werden. Allerdings üben auch russische Militärblogger Kritik an den russischen Kommandeuren, so etwa Alexander Zhychkovskiy. Der berichtet von Kommandeuren, die leicht ausgerüstete Infanterieeinheiten in Gebieten mit intensivem ukrainischen Artilleriebeschuss einsetzten, ohne die nötige Unterstützung der eigenen Artillerie. Damit seien die russischen Kommandeure für die hohen Verluste oder psychischen Erkrankungen der Soldaten verantwortlich. Der Militärblogger Alexander Chodarkowskij spricht von fehlendem Ersatz und der Möglichkeit sich zwischen Angriffen ausruhen zu können. Das unprofessionelle Vorgehen der russischen Offiziere könnte für die ukrainischen Truppen eine Chance darstellen, wie etwa die Option zu gezielten Gegenangriffen gegen demoralisierte russischen Einheiten gewinnen zu können.

Andere Schauplätze des Krieges

Die ukrainischen Streitkräfte begannen eine Gegenoffensive in der Nähe der Grenze zwischen der Oblast Kherson und Mykolajiw, etwa 70 Kilometer nordöstlich von Kherson-Stadt, die möglicherweise den Fluss Inhulets überquerte. In den Oblasten Kherson und Saporischschja sind ukrainische Partisanenaktivitäten feststellbar, die den russischen Streitkräften deutlich zusetzen. In Charkiw wehren die russischen Streitkräfte die ukrainischen Gegenangriffe ab und wollen eine ukrainische Gegenoffensive an der internationalen Grenze zwischen Belgorod und Charkiw verhindern.


Selenskyj verlangt Einstufung Russlands als „Terrorstaat“   

9:09 Uhr > Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat eine Einstufung Russlands als „Terrorstaat“ gefordert. „Immer wieder werde ich die Welt daran erinnern, dass Russland endlich offiziell als terroristischer Staat, als Sponsor des Terrorismus anerkannt werden muss“, sagte er in einer Videoansprache. „Das ist einfach wahr“.

Eine entsprechende Einstufung sei fair und spiegele die tägliche Realität wider, „die die Besatzer in der Ukraine geschaffen haben“. Die Russen seien zudem dabei, diese „eifrig weiter nach Europa zu bringen“. Die Einschätzung müsse gesetzlich verankert werden, so Selenskyj.


Zahl registrierter Ukraine-Flüchtlinge steigt auf über 352.000

8:43 Uhr > Wenige Tage vor Inkrafttretens des Grundsicherungs-Anspruches für ukrainischen Flüchtlinge sind in Deutschland 352.545 ukrainische Staatsangehörige und 12.371 Drittstaatsangehörige mit biometrischen Daten registriert worden. Das erklärte das Bundesinnenministerium auf Anfrage der „Bild am Sonntag“. Die tatsächliche Zahl der Flüchtlinge wird aber höher geschätzt, da zunächst jeder Ukrainer mit seinem Pass visafrei einreisen konnte und keine Registrierungspflicht bestand.

Laut der Bundesagentur für Arbeit haben sich Stand Freitag 44.000 Ukrainer bei den Jobcentern als arbeitsuchend gemeldet.


SPD-Chefin Esken will Zwei-Prozent-Ziel nicht jedes Jahr einhalten

SPD-Chefin Saskia Esken hat das Versprechen des Bundeskanzlers relativiert, „von nun an Jahr für Jahr“ zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Bundeswehr auszugeben. „Wir werden das Zwei-Prozent-Ziel nicht in jedem Jahr gleichermaßen erreichen“, sagte Esken der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Als Grund nannte sie die unregelmäßigen Kosten im Beschaffungswesen.

„Wenn man heute Großgerät bestellt, bekommt man das erst in drei oder vier Jahren. Das heißt, möglicherweise sind die Summen in den ersten zwei Jahren nicht so hoch, und dann kommt ein Jahr, in dem sehr viel notwendig wird.“ Auf die Frage, ob es ein Fehler gewesen sei, dass Kanzler Scholz eine Einhaltung des Zwei-Prozent-Ziels „Jahr für Jahr“ versprochen habe, sagte Esken: „Natürlich nicht. Aber man muss sich doch über die Realitäten der Beschaffung im Klaren sein.“ Esken relativierte auch die Relevanz eines Vorschlags des SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich, das Sondervermögen für die Bundeswehr nicht über eine Änderung des Grundgesetzes mit den Stimmen der Ampel-Koalition und der Union, sondern durch eine Ausnahme von der Schuldenbremse nur mit den Stimmen der Ampel-Koalition zu realisieren. „Rolf Mützenich hat auf diese Möglichkeit nur hingewiesen“, sagte Esken.

Zur Frage einer EU-Mitgliedschaft der Ukraine äußerte sich Esken wohlwollend: „Wir bekennen uns dazu, dass die Ukraine Mitglied der Europäischen Union werden soll. Wir freuen uns, dass sie das möchte, und unterstützen sie dabei.“ Sollte es in der Ukraine eines Tages Frieden geben, kündigt Esken an, dass Deutschland diesen Frieden militärisch garantieren wird.

„Deutschland wird zu einer künftigen Friedensordnung den Beitrag leisten, der notwendig ist. Dazu gehören auch Garantieverpflichtungen, wie wir sie in anderen Zusammenhängen schon übernommen haben.“ Auf die Frage, ob der russische Präsident Wladimir Putin ein Faschist sei, antwortete Esken: „Meine Antwort ist Ja. Und wenn wir erkennen müssen, dass ein Diktator wie Putin und sein System so eine Entwicklung nehmen, dann müssen wir auch erkennen, dass dieser Autokrat unser Feind ist, mit dem Wandel durch Annäherung keine Option mehr ist.“


Das passierte am 28. Mai – Tag 95 des Ukraine-Krieges

Russen wollen Stadt Lyman einnehmen

Beim Krieg in der Ukraine rückt das 20.000-Einwohner-Städtchen Lyman in den Fokus. Bis Freitag hätten russische Streitkräfte wahrscheinlich den größten Teil der Stadt in der Oblast Donezk erobert, teilte der britische Militärgeheimdienst in seinem Lagebericht am Samstag mit. Dabei handele es sich wahrscheinlich um eine vorbereitende Operation für die nächste Phase der russischen Donbass-Offensive.

„Lyman ist strategisch wichtig, da es sich um einen wichtigen Eisenbahnknotenpunkt handelt und auch Zugang zu wichtigen Eisenbahn- und Straßenbrücken über den Fluss Siwerskyj Donez bietet“, heißt es von den Briten, die die Kriegslage besonders intensiv beobachten und seit Beginn der Kampfhandlungen täglich Lageberichte herausgeben. In den kommenden Tagen würden russische Einheiten in der Region wahrscheinlich vorrangig eine Überquerung des Flusses erzwingen. Im Moment bleibe Russlands Hauptanstrengung aber wahrscheinlich 40 Kilometer östlich, um den Siewerodonezker Kessel herum.


Scholz und Macron telefonieren wieder mit Putin

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der französische Präsident Emmanuel Macron haben am Samstagmittag auf ihre Initiative hin wieder mit Russlands Präsident Wladimir Putin telefoniert. Das teilte Regierungssprecher Steffen Hebestreit mit. Das 80-minütige Gespräch sei „dem andauernden russischen Krieg gegen die Ukraine und den Bemühungen gewidmet, diesen Krieg zu beenden“, sagte er.

Der Bundeskanzler und der französische Präsident hätten dabei darauf gedrängt, einen sofortigen Waffenstillstand und einen Rückzug der russischen Truppen zu erreichen. „Sie riefen den russischen Präsidenten zu ernsthaften direkten Verhandlungen mit dem ukrainischen Präsidenten und einer diplomatischen Lösung des Konflikts auf“, so der Regierungssprecher. Was Putin antwortete, sagte Hebestreit nicht.


Deutschland liefert seit Ende März kaum Waffen

Die Bundesregierung hat ihre militärische Unterstützung der Ukraine in den vergangenen neun Wochen offenbar auf ein Minimum reduziert. Bisher lehnte es Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit Verweis auf Abstimmungen mit NATO-Verbündeten ab, deutsche Kampf- und Schützenpanzer zu liefern. Aber wie aus Dokumenten aus ukrainischen Regierungskreisen hervorgeht, über die die „Welt am Sonntag“ berichtet, lieferte Deutschland seit Ende März auch kaum mehr nennenswerte leichte Waffen.

Zwischen dem 30. März und dem 26. Mai trafen demnach nur zwei Waffenlieferungen der Bundesregierung in der Ukraine ein. Beide beinhalteten lediglich Kleinstgerät. Mitte Mai schickte Deutschland laut Ukraine zwar 3.000 Panzerabwehrminen und 1.600 speziellere Richtminen zur Panzerabwehr.

Das Hauptproblem der ukrainischen Armee ist derzeit aber die überlegene russische Feuerkraft im Osten des Landes. Dieser kann sie mit Minen wenig entgegensetzen. Eine weitere Lieferung der Bundesregierung hatte die Ukraine demnach einen Monat zuvor erreicht.

Darin waren nur Ersatzteile für Maschinengewehre, „Anzündmittel“, Sprengschnüre, Funkgeräte, Handgranaten, Sprengladungen und Minen enthalten. Die letzte Lieferung von Luft- und Panzerabwehrwaffen erfolgte laut Ukraine am 25. März und liegt damit mehr als zwei Monate zurück. Sie beinhaltete 2.000 Raketen für die Panzerfaust 3 und 1.500 Luftabwehrraketen des Typs Strela.

Auf Anfrage teilte eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums mit: „Die Informationen zu konkreten Waffenlieferungen sind sicherheitsrelevant und eingestuft, sodass ich um Verständnis bitte, weder nähere Informationen mitteilen noch Einzelheiten bestätigen zu können.“ Auch bei den angekündigten Lieferungen der ersten 15 Gepard-Flugabwehrpanzer an die Ukraine kommt es wohl weiter zu Verzögerungen. Wie die „Welt am Sonntag“ nach eigenen Angaben aus Kiewer Regierungskreisen erfuhr, hänge das mit der Ausbildung der ukrainischen Soldaten an den deutschen Panzern zusammen.

Demnach starte die Ausbildung der ersten 45 Soldaten erst am 13. Juni und ende am 22. Juli. Für die zweite Gruppe Soldaten gehe es am 18. Juli los und ende am 26. August, weshalb die 15 weiteren Geparde erst Ende August geliefert würden. Das Bundesverteidigungsministerin teilte auf Anfrage mit, dass es sich „um ein Exportvorhaben der Industrie“ handele.

„Auch die Ausbildung ukrainischer Soldaten und die Lieferung von Munition liegen in Verantwortung der Industrie“, so eine Sprecherin.