Das undatierte Foto zeigt Bundespräsident Frank Walter Steinmeier.

Berlin/Kiew | red, dts | Der diplomatische Disput zwischen Berlin und Kiew hält an nach der Ausladung des deutschen Staatsoberhauptes Frank Walter Steinmeier. Bundeskanzler Scholz reist zunächst nicht nach Kiew und nannte die Ausladung von Steinmeier „irritierend“. Aus Kiew werden weitere Forderungen laut und der ukrainische Botschafter in der Bundesrepublik Melnyk gibt der ehemaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Mitschuld am Krieg in seinem Land. In Deutschland werden Stimmen laut, die von der ukrainischen Führung Mäßigung verlangen. Ein Ausschnitt aus dem diplomatischen Disput.

Ukraine verteidigt Steinmeier-Ausladung

Die Ukraine hat die Absage des Besuchswunsches von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verteidigt. Man erwarte, dass jeder Besuch in Kiew ein konkretes, belastbares Ergebnis bringe, sagte der außenpolitische Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, Igor Zhovkva, dem TV-Sender „Welt“. Und das könne nur der Bundeskanzler garantieren.

Deshalb freue man sich auf einen Besuch von Olaf Scholz in Kiew. Als Beispiele für konkrete Ergebnisse nannte er ein Embargo für Erdöl oder die Lieferung schwerer Waffen zusätzlich zu den leichten Waffen. „Oder dass Deutschland vielleicht den EU-Beitritt der Ukraine garantiert und auch Unterstützung für den Wiederaufbau des Landes garantiert und sichert.“

Dass Steinmeier sich selbst für einen Besuch in Kiew ins Spiel gebracht habe, habe man als unhöflich empfunden, so Zhovkva. „In der Diplomatie gibt es nun mal solche Regeln. Wenn das Staatsoberhaupt zum Beispiel ein anderes Land besuchen möchte, dann soll er eine Einladung bekommen von der Leitung des jeweiligen Landes, von dem Präsidenten des Landes.“

Man könne natürlich auch ohne Einladung kommen, aber das sei „nicht so ganz höflich“. Dass die anderen Staatsoberhäupter aus Steinmeiers geplatzter Reisegruppe nun ohne den Bundespräsidenten in die Ukraine gefahren sind, findet Zhovkva in Ordnung – die hätten ja schließlich auch Zählbares im Gepäck: „Heute sind in Kiew die Staatsoberhäupter von befreundeten Ländern, von Polen, Lettland, Litauen und Estland.“ Man sehe die Unterstützung von diesen Ländern in allen diesen Richtungen.

Man sehe, wie sich diese Staatsoberhäupter „persönlich dafür einsetzen“. Für die Sanktionen ebenso, sie machten keine Ausklammerung bei Sanktionen im Energiebereich, sie machten keine Ausklammerungen bei den Sanktionen der Banken und keine Ausklammerung fürs politische Establishment von Russland. „Deswegen sind sie heute nach Kiew gekommen, mit klarer Unterstützungshilfe, mit Militärunterstützung und Angeboten sind sie gekommen, mit finanziellen Unterstützungsangeboten sind sie gekommen und mit Waffenunterstützungen.“

Zumindest bewege sich die Bundesregierung nun in die richtige Richtung, so Zhovkva: „Die Bemühungen vom Bundeskanzler, die sind schon sichtbar.“ Allerdings gehe das alles noch immer zu langsam: „Der Bundeskanzler Scholz und seine Regierung machen das, was schon längst gemacht werden sollte.“ Es sei „zu langsam und nicht genug“, aber es werde was gemacht.

„Wir haben erwartet, dass Kanzler Scholz sich im Westen für ein Sanktionspaket einsetzt – aber über ein Erdölembargo wurde immer noch nicht entschieden.“ Für Deutschland würden die Preise natürlich steigen, aber ukrainische Kinder, Frauen und Zivilisten würden auch nicht sterben. „Die russische Aggression würde ja nicht so weiter vorankommen.“

Deswegen hoffe man, dass Deutschland die Ukraine konkret unterstütze mit Waffen, mit europäischer Integration und mit Finanzen.

Ukrainischer Botschafter macht Merkel schwere Vorwürfe

Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk hat der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schwere Vorwürfe gemacht und ihr eine Mitschuld am russischen Krieg gegen sein Land zugewiesen. „Wir haben Angela Merkel fast blind vertraut. Es gab ein riesiges Vertrauen in der Überzeugung, dass sie die Dinge besser einschätzen und regeln kann“, sagte Melnyk der „Süddeutschen Zeitung“ (Donnerstagausgabe).

Dies habe sich als Fehler erwiesen. Niemand sei „so nah an Putin dran“ gewesen wie Merkel persönlich und Deutschland als Vermittler zwischen Russland und der Ukraine im Normandie-Format, dem auch Frankreich angehörte. „Niemand wusste besser als sie, wie angespannt das Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine geblieben ist und dass Putin keine Einigung, sondern die Vernichtung meiner Heimat will“, sagte Melnyk über die frühere Kanzlerin.

Trotzdem sei in Berlin die Entscheidung für die umstrittene Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 und gegen Waffenlieferungen an die Ukraine gefallen. Die frühere Bundeskanzlerin forderte der Botschafter auf, Stellung zu ihrer Russland-Politik zu nehmen. „Ich glaube, es wäre auch für Deutschland wichtig, dass Frau Merkel sich äußert“, sagte Melnyk. „Es geht nicht um Schuldzuweisungen. Es geht darum, zu verstehen, wie das Ganze schiefgelaufen ist“, sagte er.

Kubicki: Selenskyj sollte auf „Boden der Realitäten“ zurückkehren   

FDP-Vize Wolfgang Kubicki hat den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj für die Ausladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier scharf kritisiert. „Es wäre sehr schön, wenn Herr Selenskyj auch ein Einsehen hat und auf den Boden der Realitäten zurückkehrt“, sagte Kubicki den Sendern RTL und ntv. Durch die Entscheidung Selenskyjs könne auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nicht in die Ukraine reisen, da er sonst Steinmeier „in den Rücken fallen“ würde.

Die Einheit des Westens würde zudem durch die Entscheidung Selenskyjs „gefährdet“, so Kubicki. Der FDP-Politiker fügte hinzu, dass es gerade nicht um die Person Steinmeier und seine Entscheidungen als Außenminister oder Kanzleramtschef gehe, sondern vielmehr um den jetzigen Bundespräsidenten der Bundesrepublik: „Wir können nicht zulassen, dass unser Staatsoberhaupt auf die Art und Weise von Dritten beschädigt wird.“ In Richtung des ukrainischen Präsidenten sagte der FDP-Politiker zudem: „Es wäre klug, diesen Fehler auf ukrainischer Seite einzugestehen und zu sagen: Wir vereinbaren ein weiteres Treffen mit Frank-Walter Steinmeier und dann ist es egal, ob Scholz zuerst fährt oder Steinmeier.“

Ex-Bundespräsident Wulff hofft auf klärendes Telefonat   

Der frühere Bundespräsident Christian Wulff hofft, dass die Unstimmigkeiten rund um die Ablehnung des Ukraine-Besuchs von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zügig behoben werden. Wulff sagte der „Rheinischen Post“ (Donnerstagausgabe): „Ich hoffe sehr, dass es schnell zu einem klärenden Telefonat kommt. Der ukrainische Botschafter möge sich dafür einsetzen.“

Zugleich betonte Wulff: „Frank-Walter Steinmeier ist unser Staatsoberhaupt und repräsentiert unser Volk und unser Land und er hat sich immer redlich verhalten.“ Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj befinde sich seit sechs Wochen im Krieg, „seine Landsleute werden tausendfach ermordet, sein Volk soll vernichtend geschlagen und sein Land ruiniert werden. Er und seine Landsleute führen einen eindrucksvollen Kampf für Selbstbestimmung, Demokratie und Freiheit.“

Man müsse daher jetzt „zusammenstehen, gemeinsam, gegen die unerträgliche russische Aggression“, sagte Wulff.

Linke: Kanzler soll nicht nach Kiew reisen   

Nach der Ablehnung des Besuchs von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in der Ukraine sollte nach Auffassung der Linken Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf eine Reise nach Kiew vorerst verzichten. „Bundeskanzler Scholz darf diesen Affront nicht durch einen Besuch faktisch akzeptieren und sollte die Reise nach Kiew aufschieben“, sagte Linksfraktionschef Dietmar Bartsch der „Rheinischen Post“ (Donnerstagsausgabe). Es gebe einiges, was an Bundespräsident Steinmeier zu kritisieren sei, „das Staatsoberhaupt Deutschlands allerdings so zu brüskieren und gleichzeitig täglich neue Forderungen zu stellen, halte ich jedoch auch angesichts des brutalen Krieges Putins für einen Fehler“, so Bartsch.

Der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff bezeichnete die ukrainische Absage des geplanten Besuchs von Steinmeier unterdessen als „Fehlentscheidung“ und „diplomatisches `Trainwreck`“. Kanzler Olaf Scholz könne nun auf keinen Fall nach Kiew fahren, ohne dabei den Bundespräsidenten zu beschädigen, sagte er dem Fernsehsender „Welt“. Man habe in Kiew den Mann haben wollen, der entscheiden könnte, welche Waffen geliefert werden – das sei Olaf Scholz, nicht Frank-Walter Steinmeier.

„Trotzdem hätte man Steinmeier empfangen müssen. Das war der Fehler.“ Und was jetzt in den nächsten Monaten passiere, entscheide sich in erster Linie auf dem Schlachtfeld.

„Diplomatisch ist vollkommen klar: Im Moment kann der Bundeskanzler nicht fahren, das wäre ein Affront eines Verfassungsorgans der Bundesrepublik Deutschland gegen ein anderes, und das tut man einfach nicht.“ Das undiplomatische Vorgehen sei vermutlich der Anspannung der Kriegszeit geschuldet, so Lambsdorff. Mitten im Krieg könne man eben nicht „alles im Feinen austarieren“.

Das merke man ja auch an dieser „Fehlentscheidung“. Aber der diplomatische Schaden sei dennoch da. Grundsätzlich könne er die ukrainische Abneigung gegenüber Steinmeiers pro-russischer Politik aus seiner Zeit als Außenminister verstehen, aber nun gelte es, „Brücken zu bauen“, so Lambsdorff.

Mützenich kritisiert ukrainische Steinmeier-Ausladung 

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hat die Absage der Ukraine an einen Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Kiew kritisiert. „Das ist bedauerlich und wird den engen und gewachsenen Beziehungen zwischen unseren Ländern nicht gerecht“, sagte er am Mittwoch. „Gleichwohl werden wir darauf achten, dass dieser Vorgang unsere Zusammenarbeit nicht gefährden wird.“

Zugleich rief der SPD-Politiker ukrainische Repräsentanten auf, sich an ein „Mindestmaß diplomatischer Gepflogenheiten“ zu halten. Sie dürften sich „nicht ungebührlich in die Innenpolitik unseres Landes einmischen“, so Mützenich. Das gelte „bei allem Verständnis für die existentielle Bedrohung der Ukraine durch den russischen Einmarsch“.