Münster | aktualisiert | Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstufen. Das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster wies am Montag eine Klage der AfD gegen die Einstufung zurück und bestätigte das Urteil aus der Vorinstanz. Kölner Aktivist:innen fordern jetzt die Einleitung eines AfD Verbotsverfahrens. Die ersten Statements der Politik liegen vor und um 11.30 Uhr äußerte sich der Präsident des Bundesverfassungsschutzes Thomas Haldenwang. Die AfD-Spitze Alice Weidel und Timo Chrupalla haben sich ebenfalls zu Wort gemeldet.
Bereits in der ersten Instanz hatte das Verwaltungsgericht Köln im März 2022 eine entsprechende Entscheidung getroffen – die AfD war aber in Berufung gegangen. Insgesamt ging es vor dem OVG um drei Berufungsverfahren. Neben der Einstufung der AfD als Verdachtsfall nach dem Bundesverfassungsschutzgesetz sollte das Gericht auch über die Einstufung des sogenannten „Flügel“ als Verdachtsfall und als „erwiesen extremistische Bestrebung“ sowie über die Einstufung der Jungen Alternative (JA) als Verdachtsfall entscheiden. Alle Berufungsklagen wurden zurückgewiesen.
Eine Einstufung als Verdachtsfall für extremistische Bestrebungen ermöglicht dem Verfassungsschutz eine Beobachtung der Partei mit nachrichtendienstlichen Mitteln. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig – die Frage könnte dem Vernehmen nach ein Fall für das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig werden.
So begründet das Gericht
In einer schriftlichen ersten Stellungnahme zum Urteil schreibt das OVG NRW: „Nach Überzeugung des Senats liegen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die AfD Bestrebungen verfolgt, die gegen die Menschenwürde bestimmter Personengruppen sowie gegen das Demokratieprinzip gerichtet sind. Es besteht der begründete Verdacht, dass es den politischen Zielsetzungen jedenfalls eines
maßgeblichen Teils der AfD entspricht, deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund nur einen rechtlich abgewerteten Status zuzuerkennen. Dies stellt eine nach dem Grundgesetz unzulässige Diskriminierung aufgrund der Abstammung dar, die mit der Menschenwürdegarantie nicht zu vereinbaren ist. Verfassungswidrig und mit der Menschenwürde unvereinbar ist nicht die deskriptive
Verwendung eines „ethnisch-kulturellen Volksbegriffs“, aber dessen Verknüpfung mit einer politischen Zielsetzung, mit der die rechtliche Gleichheit aller Staatsangehörigen in Frage gestellt wird. Hier bestehen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für derartige diskriminierende Zielsetzungen. Dem Senat liegt eine große Anzahl von gegen Migranten gerichteten Äußerungen vor, mit denen diese auch unabhängig vom Ausmaß ihrer Integration in die deutsche Gesellschaft systematisch ausgegrenzt werden und trotz ihrer deutschen Staatsangehörigkeit ihre vollwertige Zugehörigkeit zum deutschen Volk in Frage gestellt wird. Daneben bestehen hinreichende
Anhaltspunkte für den Verdacht, dass die AfD Bestrebungen verfolgt, die mit einer Missachtung der Menschenwürde von Ausländern und Muslimen verbunden sind. In der AfD werden in großem Umfang herabwürdigende Begriffe gegenüber Flüchtlingen und Muslimen verwendet, zum Teil in Verbindung mit konkreten, gegen die gleichberechtigte Religionsausübung von Muslimen gerichteten Forderungen. Nach Auffassung des Senats liegen bei der AfD darüber hinaus Anhaltspunkte für demokratiefeindliche Bestrebungen vor, wenn auch nicht in der Häufigkeit und Dichte wie vom Bundesamt angenommen.“
Das sagt Thomas Haldenwang
Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz: „Das BfV hatte in den Verfahren vor dem VG Köln und vor dem OVG NRW eine Vielzahl von Belegen dafür vorgelegt, dass in der AfD und ihrer Jugendorganisation hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorliegen, die einen solchen Verdacht begründen. Es handelt sich insbesondere um Äußerungen, die von völkischen Zielvorstellungen sowie von Fremden- und Muslimfeindlichkeit geprägt sind und damit gegen die Menschenwürde verstoßen. Es handelt sich aber auch um Positionen, die die demokratische Ordnung verächtlich machen und mit dem Demokratieprinzip nicht vereinbar sind. Das Urteil verdeutlicht: In der wehrhaften Demokratie kommt dem Verfassungsschutz eine wichtige Frühwarnfunktion bezüglich der Entwicklung von Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu. Dieser Aufgabe werden wir auch künftig weiter nachkommen.“
Demo heute Abend in Köln
Die Aktivist:innen von Parents for Future Köln, Grannies for Future Köln, Christians for Future Köln, Omas gegen Rechts Köln und Klare Kante rufen heute Abend, 13. Mai 2024, zu einer Demonstration in Köln auf. Sie fordern die Politik auf jetzt ein AfD-Verbot einzuleiten. Die Demonstration startet heute Abend um 18.30 Uhr am Appellhofplatz in Köln. Das Motto der Demo: „#AfD_Verbot_JETZT einleiten – Klima und Demokratie schützen“
So kommentiert die AfD das Urteil in Münster und will in Revision gehen
Peter Boehringer, stellvertretender AfD-Bundessprecher: „Auch wenn wir dem Senat in der Kritik an der Arbeit der Haldenwang-Behörde zustimmen, müssen wir die ungenügende Sachverhaltsaufklärung deutlich rügen. Hunderten Beweisanträgen nicht nachzugehen, grenzt an Arbeitsverweigerung wie schon in der Vorinstanz, was ja gerade der Hauptgrund für die Revision gewesen war.“ Roman Reusch, Mitglied des AfD-Bundesvorstandes: „Dass der Senat die Revision nicht zugelassen hat, obwohl wir tagelang über komplexe Rechtsfragen debattiert haben, ist nicht nachvollziehbar. Wir werden selbstverständlich die nächste Instanz anrufen!“
Das sagen die demokratischen Parteien
Die Grünen in NRW
Tim Achtermeyer, Landesvorsitzender der Grünen NRW: „Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster deckt sich mit der Wahrnehmung vieler Menschen: Die AfD ist eine gefährliche Partei für unsere Demokratie und unser Zusammenleben. Das zeigen auch die Angriffe auf demokratische Politiker auf unseren Straßen. Obwohl das OVG nach einem Mammut-Prozess vor aller Öffentlichkeit zu dieser Entscheidung kam, wird die AfD versuchen, sich jetzt als Opfer zu stilisieren. Man kann bei der AfD nicht mehr davon ausgehen, dass sie sich endradikalisiert. Im Gegenteil. Grund genug für uns als Gesellschaft noch wachsamer zu sein und uns sehr konkret mit der Frage zu beschäftigen, wie eine Demokratie mit Parteien umgehen sollte, die die Demokratie aushöhlen möchten. Die Erkenntnisse aus der Beobachtung des Verfassungsschutzes sollten wir dabei sehr ernst nehmen. Ich bin davon überzeugt: Eine Demokratie muss das Wort ‚wehrhaft‘ auch ernst meinen.“
Verena Schäffer, Fraktionsvorsitzende im NRW Landtag der Grünen: „Das Urteil zeigt, dass unsere Demokratie wehrhaft ist. Die AfD ist eine zutiefst rechtsextreme und rassistische Partei. Nicht erst seit Potsdam wissen wir, dass von ihr eine ernstzunehmende Gefahr für unsere Demokratie und unsere vielfältige Gesellschaft ausgeht. Die Gefahr ist nicht abstrakt, sondern sehr konkret, denn aus Worten werden Taten, aus Hass wird reale Gewalt gegen Menschen. Die verstärkte Beobachtung durch den Verfassungsschutz ist wichtig, ebenso wichtig bleibt die kontinuierliche Arbeit gegen Rechtsextremismus, der Schutz von Minderheiten sowie eine starke demokratische Zivilgesellschaft. Die aktuelle Demokratiebewegung ist für uns Auftrag, noch entschiedener gegen Rechtsextremismus vorzugehen – sowohl durch Prävention als auch durch Beobachtung und Strafverfolgung.“
Dorothea Deppermann, Sprecherin für Verfassungsschutz der Grünen Landtagsfraktion NRW: „Die Bestätigung des Oberverwaltungsgerichts in Münster, dass die Einstufung der AfD inklusive der Jugendorganisation (JA) als rechtsextremer Verdachtsfall rechtens war, ist ein wichtiger Schritt im Kampf gegen Rechtsextremismus. Die AfD ist ganz eindeutig eine rechtsextreme Partei, die rassistische, antisemitische und andere menschenverachtende Positionen vertritt. Es ist wichtig, dass die Sicherheitsbehörden und insbesondere der Verfassungsschutz als Frühwarnsystem rechtsextreme Bestrebungen genau beobachten. Nachdem die Einstufung als Verdachtsfall durch das Gericht bestätigt wurde, ist die Prüfung einer weitergehenden Einstufung als gesichert rechtsextreme Bestrebung durch die Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern der nächste konsequente Schritt.“
Faeser sieht AfD-Urteil als Zeichen für „wehrhafte Demokratie“
Bundesinnenministerin Nancy Faser (SPD) sieht das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster zur Einstufung der AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz als Zeichen für eine „wehrhafte Demokratie“. Der Rechtsstaat habe Instrumente, „die unsere Demokratie vor Bedrohungen von innen schützen“, sagte sie am Montag.
„Genau diese Instrumente werden auch eingesetzt – und sind jetzt erneut von einem unabhängigen Gericht bestätigt worden.“ Das Bundesamt für Verfassungsschutz habe einen „klaren gesetzlichen Auftrag“, gegen Extremismus vorzugehen und die Demokratie zu schützen. „Dabei arbeitet es eigenständig.“ Die Bewertung der AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall sei „sorgfältig begründet“ worden und sei nun durch das OVG bereits in zweiter Instanz für rechtmäßig befunden worden. „Im Rechtsstaat entscheiden unabhängige Gerichte“, so Faeser.
Der Grünen-Innenpolitiker und Bundestagsfraktionsvize Konstantin von Notz begrüßte das Urteil ebenfalls. Er sagte dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“, dass es die Aufgabe des Bundesamts für Verfassungsschutz sei, die Verfassung „vor ihren Feinden“ zu schützen. „Zweifelsohne gehört die AfD zu diesen Feinden unserer liberalen Demokratie. Dass sie beobachtet werden kann, ist insofern nur konsequent und Ausdruck der Wehrhaftigkeit unseres Rechtsstaats – gerade auch vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte.“
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Carmen Wegge brachte unterdessen ein AfD-Verbot ins Spiel. „Die Möglichkeit, einen Antrag nach Art. 21 GG auf Prüfung der Verfassungskonformität einer Partei beim Bundesverfassungsgericht zu stellen, ist ein wesentlicher Bestandteil unserer wehrhaften Demokratie“, sagte sie am Montag. „Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben diese Möglichkeit im Lichte des Dritten Reiches geschaffen.“ Nach dem Urteil sei für sie klar, dass man nun eine Vorab-Prüfung einleiten müsse, ob die nötigen Voraussetzungen vorliegen könnten.
Auch die Linken-Innenpolitikerin Martina Renner fordert nach dem Urteil des OVG, nun einen AfD-Verbotsantrag anzustoßen. Es sei Zeit, jetzt zu handeln und „in einem breiten Konsens“ der Demokraten im Bundestag einen Verbotsantrag auf den Weg zu bringen, sagte Renner dem Nachrichtenportal T-Online. „Ein solcher Antrag ist die Selbstverteidigung der Demokratie gegen ihre Feinde.“
Das sagt die AfD-Spitze
Die AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla und Dr. Alice Weidel gaben heute Nachmittag schriftlich zum Urteil bekannt: „Das Oberverwaltungsgericht in Münster hat heute nach mangelnder Verfahrensführung sein Urteil voreilig gegen die Alternative für Deutschland gefällt. Inhaltliche entlastende Punkte, die in vielfachen Beweisanträgen vorgebracht werden sollten, wurden nicht in das Urteil einbezogen. Die Beweisanträge waren zuvor abgelehnt worden. Des Weiteren bleibt einerseits die gerichtliche Feststellung, dass die, vom Bundesamt für Verfassungsschutz vorgebrachten Anhaltspunkte, weitaus geringer schwer durch das OVG bewertet wurden. Anderseits kann aus dem heutigen Urteil keinesfalls eine sofortige Hochstufung oder ein Parteiverbot abgeleitet werden – so das Gericht. Die Alternative für Deutschland wird dem Urteil selbstverständlich widersprechen. Nähere Einzelheiten werden wir nach Erhalt der schriftlichen Urteilsbegründung diskutieren.“
| Mit Material von dts Nachrichtenagentur |