Sankt Augustin | Interview | Mit seinem angekündigten Rücktritt hat Papst Benedikt XVI. die ganze Welt überrascht. Am Donnerstag scheidet das katholische Kirchenoberhaupt offiziell aus dem Amt. Mit dem Vorsitzenden der in Bonn ansässigen Deutschen Ordensobernkonferenz, Abt Hermann-Josef Kugler, sprach dapd-Korrespondent Christian Wolf über die Verdienste und Fehler Benedikts, die Wünsche an seinen Nachfolger und die Lage der katholischen Kirche.

dapd: Was wird von Papst Benedikt XVI. hängenbleiben?

Kugler: Er war und ist ein großer Theologe und Denker. Hervorzuheben sind insbesondere seine drei Enzykliken und die Jesus-Bücher. In den fast acht Jahren im Amt hat er vor allem grundsätzliche Fragen des Glaubens thematisiert, um die Fundamente der Kirche zu stärken. Wir sind in einer Phase, in der sich der Glaube in der Gesellschaft langsam aufdröselt. Da war es ein großer Verdienst des Papstes, die Frage nach Gott anzusprechen.

Und an welchen Stellen hätten Sie sich noch mehr gewünscht?

Ein Blick in seine Biografie zeigt ja, dass er die Situation in der Kirche vor Ort kennt und damit auch die seelsorgerischen Probleme aus der Praxis. In diesem Punkt hätte ich mir von ihm aber mehr gewünscht. Die Probleme, die unbestritten da sind, hätten noch stärker angegangen werden können. Zum Beispiel das Thema wiederverheiratete Geschiedene, was eine ganz drängende Aufgabe ist. All das hat Benedikt zwar angesprochen, aber es ist nicht zu praktischen Überlegungen gekommen.

In Erinnerung bleiben werden sicherlich auch die kritischen Momente in Benedikts Pontifikat.

Natürlich war da die Geschichte mit dem Holocaust-Leugner Williamson oder die Regensburger Rede, die die Muslime empört hat. In solch einer Stellung ist ein Mann aber auch auf viele Mitarbeiter angewiesen, die ihm zur Seite stehen und unterstützen. Ich bin unsicher, ob er da immer das richtige Händchen gehabt hat. An der ein oder anderen Stelle hätte schneller reagiert werden müssen. Auch bei den Missbrauchsfällen hat es eine Weile gedauert, bis eine Reaktion aus Rom kam.

Wie kann so etwas in Zukunft denn verhindert werden?

Auf jeden Fall wären Strukturreformen hilfreich. Jedes Bistum hat Abteilungsleiter, die regelmäßig zusammensitzen und sich in wichtigen Fragen austauschen. Eine Konferenz der Kurie wäre sicherlich gut, um sich intern besser zu vernetzen.

Ist der angekündigte Rücktritt nicht das Fortschrittlichste, was Benedikt überhaupt getan hat?

Diesen Schritt sehe ich mit gemischten Gefühlen. Er hat den Rücktritt quasi hoffähig gemacht und den Bann des Rücktritts gebrochen. In seinem Fall hat er diesen Weg zwar aus freien Stücken und nach reichlicher Überlegung gewählt. Nach Benedikt könnte aber die Situation kommen, in der von außen Druck ausgeübt und ein Rücktritt gefordert wird. Die Tür dafür ist jetzt einen Spaltbreit offen.

Was für ein Nachfolger soll es denn überhaupt werden?

Ich erhoffe mir, dass es ein sympathischer Mensch ist, der etwas Positives ausstrahlt.

Ist die Zeit denn auch mal reif für einen Nicht-Europäer?

Natürlich ist die Kirche global und auch das Gremium der Kardinäle, das den Papst wählt, ist in den letzten Jahrzehnten immer internationaler geworden. Ich könnte mir aus jedem Kontinent einen Papst vorstellen. Aber eigentlich spielt die Herkunft keine Rolle. Wichtig sind die Menschlichkeit und die Glaubensfreude der Person.

Und was wünschen Sie sich inhaltlich von ihm?

Es wäre schön, wenn er aus der pastoralen Ecke kommt und im Laufe seiner Biografie das Leben in der Kirche vor Ort kennengelernt hat. Nach den fundamentalen Themen unter Benedikt wäre es die logische Konsequenz, nun auf die drängenden Fragen aus der Praxis einzugehen. Ich denke da unter anderem an die Sexualmoral oder das Thema Frauen in der Kirche.

Was genau stellen Sie sich da vor?

Wir brauchen theologisch vertretbare Lösungen auf die Probleme unserer Zeit. Da es unterschiedliche Sichtweisen gibt, bedeutet dies natürlich ein Ringen um Positionen. Am Ende müssen wir aber gute Antworten für die Menschen finden. Wenn ein Nachfolger aus der Weltkirche kommt, würde er auch das Verständnis für die Probleme mitbringen.

In den vergangenen Wochen stand die katholische Kirche mit vielen negativen Schlagzeilen in der Öffentlichkeit. Wie sehen Sie die Lage der Kirche?

Sie ist auf jeden Fall besser als ihr Ruf. Natürlich werden manche Positionen der katholischen Kirche in der Gesellschaft kritisch gesehen. So ist der Einsatz für das Leben von Beginn an ein Ansatz, der vielen in unserer Gesellschaft total gegen den Strich geht. Das die Kirche im Zuge dessen kritisiert und angegangen wird, ist in einer pluralen Gesellschaft selbstverständlich.

Ist die Kritik denn auch immer angemessen?

Es kommt schon vor, dass sich unter die legitimen Aburteilungen auch boshafte Aussagen mischen. Ich verstehe aber nicht, warum man bei der katholischen Kirche immer mit so einer Emotionalität herangehen muss. Gerade der Papst wird oft und gerne diffamiert. Wir leben doch in einer toleranten Gesellschaft. Da kann ich es auch akzeptieren, dass es jemanden gibt, der vielleicht andere Ansichten hat.

Wird die katholische Kirche etwa kritischer betrachtet als andere Glaubensgemeinschaften?

Das mag sein. Vielleicht bieten wir aber auch mehr Angriffsfläche. Wenn man zu wichtigen Fragen eine dezidierte Haltung vertritt, dann darf man dafür auch kritisiert werden. Die Frage ist nur, in welcher Form dies passiert.

Die Zahl der Kirchenaustritte spricht eine deutliche Sprache: Die katholische Kirche befindet sich in einem Bedeutungsverlust.

Ein Blick auf die nackten Zahlen mag diese Schlussfolgerung vielleicht zulassen. Aber was sagen die schon aus? Es bedeutet, dass die Menschen ihre institutionelle Verbindung zur Kirche verlieren. Das sagt aber nichts über die Gläubigkeit aus. Ich erlebe viele Menschen, die mit der Institution Kirche vielleicht nichts anfangen können, aber sehr wohl auf der Suche sind und Antworten im Glauben finden. Klöster und Orden bieten hier geistliche Heimat, die auch angenommen wird. Womöglich haben wir es aber auch mit einem gesamtgesellschaftlichen Problem zu tun, denn auch andere Institutionen wie Parteien, Verbände oder Gewerkschaften stehen vor dieser Herausforderung.

Autor: Christian Wolf, dapd | Foto: David Hecker/dapd
Foto: Der Vorsitzende der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK), Abt Hermann-Josef Kugler