Köln | „Hinter uns kamen mehr als 10.000 Kollegen“, erinnert sich Hasan Cerkezoglu, als er im Kalker Naturfreundehaus eine alte Schwarz-Weiß-Aufnahme betrachtet. Sie zeigt die Spitze eines Demonstrationszuges im Jahr 1973, in dem Ford-Arbeiter vier Tage streikten und dabei das Niehler Werk besetzten. Ein anderes Bild zeigt den Bandarbeiter bei einer Spendenaktion für die Streikenden. „Anders hätten wird damals unsere Familien nicht ernähren können“, erinnert sich der 72-Jährige, der in der Y-Halle seinen Arbeitsplatz hatte.

Wie viele andere Kollegen aus dem Streikkomitee hat er durch die Aktion seinen Job verloren. „Wir wurden alle gekündigt.“ Dass der Streik trotzdem etwas gebracht hat, da ist sich Peter Bach am Rande der Diskussionen und dem Fest zum 40. Jahrestages des Ford-Streiks sicher. Er hatte damals sein Jurastudium aufgegeben und war ans Fließband beim Autokonzern arbeiten gegangen. „Bei der Diskussion am Freitagabend hat ein türkischer Kollege gesagt, damals haben wir aufgehört, Gastarbeiter zu sein. Sie konnten mehr Swelbstbewusstsein gewinnen und haben später auch Meisterstellen im Werk bekommen“, erinnert sich Bach.

Es sei ein bewegendes Erlebnis gewesen, damals vor 40 Jahren mit den türkischen Kollegen in Kontakt zu kommen. „Man konnte diskutieren, ohne dass einen dabei die Produktion störte. Dadurch habe ich ganz andere Einblicke bekommen“, sagt Bach. Auch er hat damals seine Stelle verloren und trotzdem nicht wieder zur Uni zurückgekehrt.

„Jetzt habe ich nach 30 Jahren erstmals wieder das Werk besucht. Die Trennung zwischen Kollegen mit Migrationshindergrund und den Deutschen gibt es nicht mehr. Türkische Meister sind ganz normal. Der Streik war wie ein Stein, den man ins Wasser wirft und der mächtige Wellen schlägt. Danach hatten die Mangager mehr Respekt vor ihren Arbeitern. Wann hat es schon so eine lange Besetzung eines Werks gegeben“, erklärt Bach.

Allerdings sei die Integration, die damals vorangeschritten ist, immer noch sehr labil: „Das zeigen die Ereignisse damals in Solingen und heute die NSU-Morde , die auch die Kölner Keupstraße betroffen haben“, betont Bach. Im Ersatzteillager in Merkenich hat Reiner Schmidt den Streik und die Besetzung 1973 erlebt: „Eigentlich sollten wir am Montag mit einem Zug zum Hauptwerk den Startschuss geben, Dort hat die Aktion allerdings schon, bevor wir angefangen haben, begonnen“, sagt der Mann, der auch Mitglied des Streikkomitees war.

Drei Tage dauert in Merkenich der Ausstand, der allerdings anders verlief als in Niehl: „Wir haben während der Tagschicht gestreikt und sind dann nach Haus gegangen. Die kulturellen Dinge wie die Musik gab es bei uns nicht. Dafür haben sich in Merkenich mehr deutsche Kollegen an der Aktion beteiligt“, sagt Schmidt. Auch er wurde von der Unternehmensleitung mit Kündigung und Werksverbot abgestraft.

Heute als Vertrauensmann im Fordwerk arbeitet Niko Held (28): „Es gibt immer wieder Situationen, bei denen die Leute sagen, wir müssten heute noch mal so kämpfen wie damals“, berichtet der Bandarbeiter aus der Y-Halle. „Es gebe viele Geschichten und Legenden aus dem Jahr 1973. Manchmal überlagern diese auch das Gesamtgeschehen der Werksbesetzung von vor 40 Jahren“, erklärt Held. Es gebe immer wieder Leute, die sich an die Geschehnisse erinnern. „Bei vielen war es der Vater oder Opa, der damals dabei war. So bleibe alles noch in den Hinderköpfen der Kollegen.“

Unter dem Blog http://ford73.blogsport.de/kontakt suchen Malte Meyer und Christian Frings, die Veranstaltungen Zum Jahrestag in Kalk am Wochenende und die Ausstellung im Naturfreundehaus organisiert haben, Zeitzeugen, die die Werksbesetzung von 1973 noch erleben haben, um bei einem kleinen Forschungsprojekt die Erinnerung zu bewahren.

Autor: Stephan Eppinger
Foto: Hasan Cerkezoglu vor einem Foto das ihn selbst zeigt