Der Geisterring: Der Hohenstaufenring an Weiberfastnacht 2023. Das Foto zeigt die Zäune zum Schutz des KVB-Verkehrs am Zülpicher Platz.

Köln | Gitter, Gitter und noch mal Gitter. Köln verwandelte sich an Weiberfastnacht 2023 zu einer vergitterten Stadt. Ganze Straßenzüge glichen Geisterstraßen. Ist das Gitter, das Abriegeln die Lösung um gesellschaftlichen Konsens zu erzielen, wie in Kölle Straßenkarneval gefeiert werden kann? Eine kommentierte Analyse von Andi Goral.

Der Videobericht zeigt die Auswirkungen der Vergitterung rund um den Hohenstaufenring und Barbarossaplatz:

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Die Kölner Altstadt – Feiern hinter Zäunen

Davor, im Gitter und hinter dem Gitter. Ein Gitter trennt Menschen. Es ist eine Barriere, eine Grenze und ein ordnendes Element. Es wird etwas abgeriegelt und es gibt die, die reinkommen und die die draußenbleiben müssen. In der Kölner Altstadt rund um Alter Markt und Heumarkt fällt auf, dass die Flächen seit langem nicht mehr so voll sind, wie in Zeiten ohne Gitter. Große Lücken sind zwischen den Feiernden wahrzunehmen. Vor der Bühne der Altstädter sind die Tribünen, wofür Karten verkauft werden, voll. Vor allem die gesetztere Generation feiert hier. Auch im Stehbereich knubbelt es sich. Die Fernsehbilder vermitteln eine volle Kölner Altstadt, die dies zu diesem Zeitpunkt aber gar nicht ist. Um Groß St. Martin, wo früher Bierbuden standen sind diese gar nicht mehr zu finden. Nun ist ein Fakt, dass Weiberfastnacht das Feiern wesentlich dezentraler stattfindet, als etwa am Elften im Elften. In vielen Kölner Unternehmen finden Weiberfastnachtspartys statt oder auch in den Veedeln wird der Straßenkarneval eröffnet.

Am frühen Abend gegen 20 Uhr werden die Gitter und Absperrungen zusammengesammelt und mit schwerem Gerät auf Sattelschlepper verladen. Dieselduft liegt in der Luft und Stapler flitzen über den Heumarkt. Im Tunnel unter dem Maritim-Hotel wartet eine ganze Armada von Sattelzügen. Die Wurstbuden haben schon die Stecker ihrer Lichter gezogen. Der Heumarkt liegt halb im Düsteren. Aus den Kneipen wummert Musik. Viele Jecken versuchen – diplomatisch formuliert – den Heimweg mit Contenance und einigermaßen geradlinig zu schaffen. Das gilt für junge wie alte Jecken. Vor der Pommesbude herrscht dichtes Gedränge und die Nachfrage ist immens. Die Stadt ist jetzt in der Altstadt fast entgittert. Und selbst vor dem Gürzenich und dem Fest in Blau sind die Absperrgitter entfernt.

Das gesperrte Veedel

Köln, Hohenstaufenring, Weiberfastnacht 12.30 Uhr. Die Stadtbahnen der Kölner Verkehrsbetriebe sind eingezäunt. Ein Wechsel der Straßenseite auch für Anwohner:innen nicht mehr möglich. Von fern ist ein akustisches Rauschen zu hören, dass an ein volles Fußballstadion erinnert. Es müssen viele Menschen sein, die dort sein müssen, differenzierter kann das Geräusch nicht erfasst werden. Klar dagegen ist das Surren und Quietschen der Stadtbahnen, die durchsausen und an Haltestelle „Zülpicher Straße“ nicht mehr anhalten. Köln zeigt sich hier von einer eiskalten und hässlichen Seite. Nur Security mit gelben Westen ist zu sehen, die schon von weitem brüllt: „Hier geht es nicht weiter“.

Auch am Barbarossaplatz ein Heer von Security und Absperrungen, sowie Gitter an jeder Ecke. Über die Roonstraße können nur Anwohner:innen die Zülpicher Straße erreichen. Es ist die Rettungszufahrt zum Zülpicher Platz. Hier sind die Gitter mit weißen Plastikplanen verhüllt. Wie in einem Tunnel geht es in Richtung Zülpicher Platz. Dröhnend laute Karnevalsmusik schallt von der anderen Straßenseite. Zu sehen ist nichts. An den Zäunen pinkeln auf der anderen Straßenseite Wildpinkler gegen die Folie, nur ihre Schuhe sind zu sehen und die kleinen Bäche, die sie verursachen.

Die feiernde Masse ist kaserniert hinter dem Zülpicher Platz zu finden. Wer reinkam feiert wild, jugendlich und ungestüm zu kölschen Hits. Auf der Straße kein Wegbier, sondern Feierbier und jede Menge Shots. Wer drin ist, der vergisst, dass er im Käfig feiert.

Aber auch sonst wird die Stadt jedes Jahr mehr abgeriegelt. An allen Ecken stehen Sperrbaken. Auch am Chlodwigplatz finden sich immer mehr Sperrgitter und auch als der Jan und Griet-Zug läuft müssen die Menschen hinter den Sperrgittern bleiben.

Das Sperrgitter als Ultima Ratio

Das Absperren als Ultima Ratio? Immer mehr Sperrgitter werden in die Stadt gefahren und vielen von diesen ist anzusehen, dass sie nagelneu sind. Wohin führt das Hochrüsten bei den Sperrgittern? Wird irgendwann die gesamte Stadt eingezäunt, weil Fastelovend ist? Und wer darf dann rein? Nur die mit Kölsch-Diplom und die nachweislich Fastelovend feiern können? Ist das dann die Sperrgitter-Apokalypse?  Zunächst ist festzustellen. Wer an einer Stelle Sperrgitter aufstellt und dort die Zahlen der Feiernden reduziert, verschiebt diese dorthin wo es keine Gitter gibt. Es findet eine Verdrängung statt. Wer das nicht versteht, der kennt das Trömmelchen-Lied nicht.

Das Sperrgitter reagiert symptomatisch, also auf die Symptome. Es schafft aber keinen gesellschaftlichen Konsens und es schafft kein Wissen über das Feiern an Fastelovend. Es ist interessant, dass ausgerechnet im Jubiläumsjahr 200 Jahre organisierter Karneval die Stadtverwaltung im Prinzip mit Verboten reagiert, indem sie Sperrzonen einrichtet. Das hat sie immer wieder getan und in Zeiten des Mummenschanzes, also in der Ära vor Erfindung des Festkomitees, zeitweilig jahrelang das Fastelovend-Feiern im Mittelalter sogar ganz verboten. Das Fest, dass sich nie verbieten ließ.

Ist die Zukunft des Straßenkarnevals also die vergitterte Stadt? Es ist zu hoffen, dass die Mitglieder des Kölner Stadtrates, dies nicht als Ultima Ratio ansehen. Die Stadt hat jetzt 8 Monate Zeit kreativ Lösungen zu suchen, wie sie den Straßenkarneval am Elften im Elften und von Weiberfastnacht bis Aschermittwoch in Zukunft gestalten und ordnen will. Und wo gefeiert werden soll. Sie kann auch einfach noch mehr Sperrgitter bestellen oder vielleicht den Versuch unternehmen nicht nur Verbote zu erlassen, sondern den Kölschen Fastelovend zu erklären.

In Wien etwa gibt es an Silvester Wiener Walzer Schnellkurse, für alle die Menschen, die für einen Abend in Österreichs Hauptstadt reisen und dort stilecht feiern wollen. Wer vermittelt eigentlich all den Menschen Kölschen Fastelovend die jung sind, die als Touristen in die Stadt kommen? Nein, nicht die Medien, die die Statistik von 108 Wildpinklern verbreiten, wenn Tausende feiern. Und auch hier wäre es sinnvoll einmal die Relationen vernünftig einzuordnen. Wenn doch Zehntausende feiern, Alkohol als fester Bestandteil des Festes etabliert ist – entsprechende Passagen finden sich in den Treueschwüren Kölscher Traditionskorps – dann müssen Statistiken in Relation gebracht werden.