Genf | aktualisiert | Der Weltklimarat (IPCC) geht davon aus, dass der Anstieg der globalen Mitteltemperatur bereits in den 2030er-Jahren 1,5 Grad überschreiten könnte. Das geht aus dem sechsten IPCC-Sachstandsbericht hervor, dessen erster Teil am Montag veröffentlicht wurde.

Mit Stimmen aus der deutschen Politik (Am Ende des Artikels)

Demnach sollen die Emissionen von Treibhausgasen durch menschliche Aktivitäten seit Ende des 19. Jahrhunderts für eine Erwärmung von etwa 1,1 Grad Celsius verantwortlich sein.

Die globale Erwärmung werde im Mittel der nächsten 20 Jahre voraussichtlich 1,5 Grad Celsius erreichen oder überschreiten, heißt es in dem Bericht. Sollten in den kommenden Jahrzehnten keine drastischen Reduktionen der CO2- und anderer Treibhausgasemissionen erfolgen, werde eine globale Erwärmung von 1,5 Grad Celsius und 2 Grad Celsius im Laufe des 21. Jahrhunderts überschritten werden. Der Weltklimarat warnte in diesem Zusammenhang vor zunehmenden Wetterextremen.

Klimawandel wirkt sich auf jede Region der Erde aus

Im Zusammenhang mit der zunehmenden globalen Erwärmung würden Häufigkeit und Intensität von Hitzeextremen, marinen Hitzewellen und Starkniederschlägen, landwirtschaftlichen und ökologischen Dürren in einigen Regionen, das Ausmaß tropischer Wirbelstürme sowie Rückgänge des arktischen Meereises, von Schneebedeckung und Permafrost zunehmen, hieß es. „Der Klimawandel wirkt sich bereits in vielerlei Hinsicht auf jede Region der Erde aus“, sagte IPCC-Klimatologe Panmao Zhai. Die Veränderungen, die man erlebe, würden mit zusätzlicher Erwärmung zunehmen.

Bei einer globalen Erwärmung von 2 Grad Celsius prognostiziert der Weltklimarat, dass Hitzeextreme häufiger „kritische Toleranzschwellen“ für Landwirtschaft und Gesundheit erreichen werden. Viele Veränderungen aufgrund vergangener und künftiger Treibhausgasemissionen seiden zudem „über Jahrhunderte bis Jahrtausende unumkehrbar“, insbesondere Veränderungen des Ozeans, von Eisschilden und des globalen Meeresspiegels. Das IPCC war im November 1988 vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) als zwischenstaatliche Institution ins Leben gerufen worden.

Es soll für politische Entscheidungsträger den Stand der wissenschaftlichen Forschung zum Klimawandel zusammenzufassen, dabei aber keine Handlungsempfehlungen geben. Der Sitz der Institution befindet sich in Genf. Das IPCC zählt 195 Regierungen als Mitglieder. Zudem sind mehr als 120 Organisationen als Beobachter registriert. Der komplette sechste Sachstandsbericht der Institution soll im Februar 2022 veröffentlicht werden. Es ist der Nachfolger des fünften Berichts von 2013/2014.

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Stimmen aus der deutschen Politik

Linke verlangt „radikale Klimapolitik“

Linken-Chefin Susanne Hennig-Wellsow hat angesichts des neuen Berichts des Weltklimarats IPCC eine „radikale Klimapolitik“ gefordert. „Der Bericht sagt, das günstigste Szenario, die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels, sei unrealistisch. Ich sage, das günstigste Szenario ist notwendig“, sagte Hennig-Wellsow der „Welt“ (Dienstagsausgabe).

„Nur wenn wir jetzt handeln, bleibt das Ausmaß des Klimawandels mit seinen Folgen realistischerweise beherrschbar. Mit diesem Ziel vor Augen gilt: Nur radikale Klimapolitik ist realistische Klimapolitik.“ Eine solche Politik erfordere einen umfassenden Umbau der Produktion und der Energieerzeugung und flankierende Maßnahmen, die die Menschen dabei sicher mitnehmen.

„Die Finanzierung des Umbaus muss von den Starken geschultert werden. Realistische Klimapolitik muss sozial gerecht sein“, so die Linken-Chefin. Denn der Klimawandel treffe die Ärmsten am härtesten.

„Jetzt muss auch der letzte Konservative verstehen: Wir können nicht länger auf den Markt warten. Wir müssen jetzt die Klimawende schaffen“, so Hennig-Wellsow. „Wir müssen jetzt die Verkehrswende angehen mit massivem Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel, jetzt damit anfangen, nach und nach die schmutzigsten Kohlekraftwerke abzuschalten und durch Erneuerbare zu ersetzen, damit wir 2035 ganz raus sind aus der Kohleverstromung.“

Alle Minister müssten sich „jetzt auf den Hosenboden setzen und tun, was immer sinnvoll möglich ist“. Die Bundestagswahl und die Sommerpause dürften keine Ausrede dafür sein, das jetzt mögliche nicht schon zu tun. Der AfD-Umweltpolitiker Karsten Hilse bemängelte unterdessen eine politische Einflussnahme auf den Bericht: Das Papier lese sich nicht anders als die Arbeitspapiere, die im deutschen Umweltministerium verschickt würden. „Er wird durch unsere Politiker und Leitmedien genutzt werden, um die Menschen in Angst und Panik vor dem drohenden Weltuntergang zu versetzen und sie gesellschaftlichen Umwälzungen gefügig zu machen“, sagte der umweltpolitischen Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion der Zeitung. „So wie alle Berichte vorher wird auch dieser null Einfluss auf die `Entwicklungsländer`, wie beispielsweise China und Indien, die immerhin für 60 Prozent der Gesamtemissionen verantwortlich sind, und deren Wirtschaftspolitik haben. Sie werden, so wie übrigens alle anderen Unterzeichner auch, durch das Pariser Übereinkommen zu nichts verpflichtet.“ Die Eigenverpflichtungen der EU und des „Musterschülers Deutschland“ seien selbst gewählt. Die umweltpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Marie-Luise Dött, bezeichnete den Sachstandsbericht des Weltklimarats unterdessen als „wichtige wissenschaftliche Grundlagen für die internationale Klimapolitik“. Er erhöhe den „Handlungsdruck“ auf die internationale Gemeinschaft. „Die nächste UN-Klimakonferenz in Glasgow muss daher zu einem Erfolg und die letzten Details des Pariser Klimaübereinkommens geeint werden“, so Dött.

Walter-Borjans nennt IPCC-Bericht „Weckruf“

SPD-Chef Norbert Walter-Borjans wertet den IPCC-Bericht als Warnsignal auch für jeden einzelnen Bürger. „Der Bericht des Weltklimarats ist ein weiterer Weckruf, und er ist in einer Zeit von Feuersbrünsten und Flutkatastrophen klarer als je zuvor“, sagte der SPD-Vorsitzende der „Welt“ (Dienstagsausgabe). Der Klimawandel sei menschengemacht, und seine Folgen seien schon jetzt zumindest für sehr lange Zeit nicht mehr umkehrbar.

„Wir werden uns auf Wetterextreme einstellen müssen.“ Die schon eingetretene Erderwärmung lasse sich nicht zurückdrehen. „Das gilt weltweit und erfordert gemeinsame globale Anstrengungen, wenn wir nicht immer schneller in eine Spirale der Vernichtung unserer Lebensgrundlagen geraten wollen.“

Aber das Handeln beginne im eigenen Haus – bei jeder und jedem Einzelnen. Der Fingerzeig auf andere sei das schlechtest mögliche Rezept für eine Verbesserung. „Um den Lebensraum für unsere Kinder und Enkelkinder zu erhalten, können und müssen wir den weiteren Temperaturanstieg verlangsamen“, forderte Walter-Borjans.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) habe gegenüber einem „zögerlichen und bremsenden“ Koalitionspartner „enorme Fortschritte“ durchsetzen können. So sei das Ziel der Klimaneutralität auf 2045 vorgezogen worden, und in einem Sofortprogramm würden entscheidende Weichen für die Zielerreichung gestellt. „Der Schlüssel dazu sind der massive Ausbau der erneuerbaren Energien und die Mobilitätswende in unserem Zukunftsprogramm.“

Linksfraktionschef Dietmar Bartsch hielt der Bundesregierung unterdessen schwere klimapolitische Versäumnisse vor. „Die klimapolitische Schleichfahrt der letzten Jahrzehnte mündet in immer düsteren Prognosen“, sagte Bartsch der „Welt“. Die Flutkatastrophe in Deutschland, die „apokalyptischen Waldbrände“ im Süden Europas – „die neue Klimarealität ist längst da“. Dass die Bundesregierung auch die letzten vier Jahre auf der Bremse gestanden habe, statt ordnungspolitisch zu handeln, sei eine „Bankrotterklärung“, so Bartsch. Immer mehr Güterverkehr auf der Straße und immer weniger auf der Schiene sei „ein Beleg des Versagens“. Die nächste Bundesregierung müsse Klimapolitik mit massiven Investitionen in erneuerbare Energien antreiben und klimafreundliche Innovationen fördern und zum Jobmotor machen, forderte Bartsch. „Wir müssen die Globalisierung zurückfahren, wo es möglich ist. Es kann nicht sein, dass Güter fünfmal um den Globus schippern und nach kurzer Zeit irreparabel kaputtgehen. Mehr Regional- und weniger Wegwerfproduktion.“ Die Politik müsse den Verursachern dieses Wirtschaftens Einhalt gebieten.

Umweltministerin: Planet schwebt „in Lebensgefahr“

Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) hat besorgt auf den jüngsten Sachstandsbericht des Weltklimarats (IPCC) reagiert. Der Bericht sende ein klares, eindeutiges Signal: „Der Planet schwebt in Lebensgefahr“, sagte die SPD-Politikerin am Montag in Berlin. Man könne aber noch gegensteuern.

Die Klimaschutzmaßnahmen müssten sich dabei weiter am 1,5-Grad-Ziel orientieren, auch wenn man dieser Marke schon sehr nahe gekommen sei. „Jedes Gramm CO2, jedes Zehntelgrad zählt“, so Schulze. Man müsse die Emissionen dabei weltweit schnell senken.

Der Umweltministerin zufolge löst der IPCC-Bericht „jeden Zweifel am menschengemachten Klimawandel auf“. Es sei der „klarste, eindeutigste Beweis“ dafür. „Der Bericht bestätigt eindrücklich den Zusammenhang von menschengemachtem Klimawandel und Wetterextremen“, fügte die Ministerin hinzu.

FDP will globale Klimabörse

Die FDP fordert die Einrichtung einer globalen Klimabörse für den Handel mit CO2-Zertifikaten. „Der IPCC unterstreicht die Dringlichkeit effektiver Klimapolitik“, sagte Marco Buschmann, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, der „Welt“ (Dienstagsausgabe). Mit einem CO2-Deckel als Obergrenze für die Jahresausstoßmenge könne man ein weltweites Handelssystem entwickeln.

„Das Handelsgut sind Ausstoßmengen, die man kaufen und verkaufen kann. Dieses Handelssystem belohnt diejenigen, die CO2 einsparen, und macht Investitionen in den Klimaschutz attraktiv.“ Die Sprache der Preise werde auf der ganzen Welt gesprochen und könne deswegen einen nachhaltigen Beitrag zum Klimaschutz leisten.

„Wir sollten in Deutschland zügig damit beginnen, um zu zeigen, dass es geht. Der nächste Schritt muss eine globale Klimabörse sein, an der insbesondere die USA, China und die EU mit ihren Zertifikaten untereinander handeln.“

Autor: dts
Foto: Symbolbild