Köln | Wird es das Quartier Latäng so wie wir es kennen bald noch geben? Kneipen- und Barbesitzer schlagen Alarm: allein rund um die Ausgehmeile Zülpicher Straße stehen 30 Betriebe vor dem Aus, in ganz Köln sind fast alle 3500 Gastronomiebetriebe existentiell vom Shut-Down betroffen. Um auf die dramatische Situation von 51.000 Gastronomiebetrieben in NRW aufmerksam zu machen, rief der Deutsche Hotel -und Gaststättenverband Dehoga Nordrhein e.V. gestern zur „stillen Mahnwache“ mit 500 leeren Stühlen auf dem Roncalliplatz auf. Die Aktion fand zeitgleich in 90 deutschen Städten statt. Die Stühle hatte die Lanxess-Arena zur Verfügung gestellt.

„Die Soforthilfen von 25 000 Euro haben drei Tage gereicht“, sagt Ralf Schlegelmilch. Der Veranstaltungslogistiker beschäftigt 45 Mitarbeiter. 72 Aushilfen musst er er bereits kündigen.

„Das Gastgewerbe befindet sich in freiem Fall, aber die Politik redet einfach nicht darüber“, prangerte der Dehoga Nordrhein-Geschäftsführer Christoph Becker an. Die Arbeitsplätze von rund 400 000 Beschäftigten und rund 10 000 Auszubildende in NRW sind bedroht. Allein in Köln arbeiten 18 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftige in der Gastronomie – Aushilfen nicht mitgezählt „Mindestabstände, erhöhte Hygiene-Anforderungen, ausfallende Großveranstaltungen werden auf viele Monate hinaus dafür sorgen, dass selbst Umsätze von 50 Prozent des normalen Niveaus eine Illusion bleiben“, warnte Becker. Besonders dramatisch ist die Lage für Kneipen, Bars und Clubs: „Wir haben keinerlei Langzeitperspektive“, so der Vorsitzende vom Verein „Gastro Latäng“ und Besitzer der Kultkneipe „Soylent Green“ Markus Vogt. Viele beliebte Kneipen stehen kurz vor dem Aus.

Von den rund 60 Gastronomiebetrieben im Quartier Latäng sind etwa die Hälfte Bars und Kneipen. Auch wenn Gastronomiebetriebe unter Einhaltung von Abstandsregeln bald wieder öffnen dürfen, hilft das den Kneipen kaum. „Wir brauchen einen bestimmten Füllgrad, um gewinnbringend zu arbeiten“, sagt Vogt. „Wenn wir die Abstandsregeln einhalten müssen, dürfen wir nur zehn Menschen reinlassen. Dann würden wir aber unter Verlust arbeiten“, berichtet er. Normalerweise tummeln sich in der unter Studenten beliebten Kneipe auf der Kyffhäuser Straße um die hundert Menschen pro Abend.

Vogt fühlt sich von der Politik im Stich gelassen: „Es gibt keinerlei Bestrebungen uns zu helfen.“ Während Restaurants auch noch mit zwei Dritteln ihrer Kapazitäten überleben könnten, sehe das bei Kneipen ganz anders aus. Zumal die steuerliche Belastung höher ist: auf den Ausschank von Getränken fällt eine Mehrwertsteuer von 19 Prozent, auf Speisen nur sieben Prozent. Vogt hat für das „Soylent Green“ Soforthilfe beantragt und erhalten. Noch bis Ende Juni kann er den Laden damit über Wasser halten. Viele andere Kneipen aus dem Viertel halten trotz Soforthilfen so lange nicht aus, weiß er als Vorsitzender der Gaststätten-Vereinigung „Gastro Latäng“. Sollte das Soylent Green Ende Juni schließen müssen, steht für den 48-jährigen – wie für viele der insgesamt 18 000 Gastronomie-Angestellten in Köln – der Weg zum Arbeitsamt an.

Auch für Ralf Schlegelmilch, der seit elf Jahren das Veranstaltungslogistik-Unternehmen „Die Feiermacher“ führt, reichten die Soforthilfen in Höhe von 25.000 Euro nur wenige Tage. Das Dienstleistungsunternehmen ist unter anderem bei der Sessionseröffnung und beim Aufbau des Straßenkarnevals im Einsatz, beliefert zahlreiche Großveranstaltungen mit Equipment. Allein 150 000 Euro Personalkosten muss er monatlich tragen. 45 feste Mitarbeiter, 16 finanzierte LKWs, sowie die Kosten für ein 10 000 Quadratmeter großes Lager müssen bezahlt werden. Während die festen Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt wurden, musste Schlegelmilch allen 72 Aushilfen bereits kündigen.

„Wir haben vor der Krise Gewinn erwirtschaftet und werden es auch nach der Krise wieder tun“, ist er sich sicher. Deswegen wünscht er sich, dass die Politik Maßnahmen ergreift um Betriebe vor unverschuldeter Insolvenz zu schützen und Kredite mit einer flexiblen Rückzahlung gekoppelt an Unternehmenserträge vergeben würden. Unter den jetzigen Kreditbedingungen müssten die Unternehmen nach der Krise mehr erwirtschaften, als vorher, um diese abzubezahlen, da sie sonst gleichermaßen in die Insolvenz schlitterten. Auch Dehoga Nordrhein-Chef Becker beklagt, dass Kredite momentan kaum zu bekommen sind – noch immer prüfen die Banken die unverschuldet in die Krise geratenen Unternehmen nach Basel II und III. Und ziehen mit 8 Prozent Zinsen auch noch Gewinn aus der allgemeinen Notlage. Die Forderung des Dehoga: ein „klarer Fahrplan für die Lockerung unserer Betriebe und eine Rettungspaket für Gastronomie und Hotellerie“.

Autor: Julia Katharina Brand
Foto: Nur wenige Gastronomen waren bei der Mahnwache anwesend, damit die Aktion nicht gegen das strikte Versammlungsverbot verstößt, darunter die Betreiber der von Schließung bedrohten Kultkneipen „Soylent Green“ Markus Vogt (Mitte), der „Tankstelle“ und „Furchtbar“.