Köln | Jugendliche während der NS-Zeit, mit einem Schwerpunkt auf der Hitlerjugend. Mit diesem Thema beschäftigt sich eine neue Sonderausstellung des NS-Dokumentationszentrum (NS-Dok) vom 16. September bis 12. März. Es ist eines der zentralen Themen des Nationalsozialismus. Allerdings befasst sich die Sonderausstellung – die zugleich als Wanderausstellung konzipiert wurden – mit weit mehr als bisher bekannt war: die Hitlerjugend zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Daher trägt die Ausstellung den Namen „Jugend im Gleichschritt?!“ Die Hitlerjugend zwischen Anspruch und Wirklichkeit“.

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Zwischen 1933 und 1945 war sie die mitgliederstärkste Organisation im NS-Staat: die Hitlerjugend. Als das „Volk von morgen“ waren die Jugendlichen Adressat der NS-Propaganda und ein wichtiger Faktor der NS-Innenpolitik. Das öffentliche Bild von der Hitlerjugend als allmächtige Institution, der man sich als Jugendlicher nicht zu entziehen vermochte, ist bis heute geprägt von Propagandaaufnahmen der Nationalsozialisten und „Erfolgsmeldungen“ einer begeisterten „Saatsjugend“.

Die Ausstellung „Jugend im Gleichschritt?! Die Hitlerjugend zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ im NS-Dok beschäftigt sich vor allem mit einer neuen Perspektive, erklärt Dr. Werner Jung, Direktor des NS-Dok. Wie wurden die Hitlerjugend geformt? Erreichten sie ihre Ziele? Welche Herausforderungen und Probleme hatten sie sich zu stellen? Wo fanden sie Unterstützung und wo genau stellten sich ihre Widerstände entgegen? Um diese und weitere Fragen zu klären blickten die Kuratoren der Ausstellung Dr. Martin Rüther und Dr. Karin Stoverock auch genauer auf die Anfangszeit der Hitlerjugend. Dabei geht die Ausstellung auch auf die unterschiedlichen privaten Milieus der Jugend ein und beschreibt die unterschiedlichsten Wahrnehmungen und Gruppierungen dieser Zeit, eben genau auf die Spanne zwischen Realität und Anspruch, ergänzt Rüther.

Die Wanderausstellung zeigt an zahlreichen Beispielen aus Rheinland und Westfalen ein differenziertes Bild der NS-Jugendorganisation – jenseits der bekannten Propagandabilder. „Wir beschäftigten uns zu Beginn vor allem mit der Frage wie diese Jugendlichen ihren Alltag verbrachten und wie dieser Alltag in der Hitlerjugend wirklich aussah“, erklärt Rüther.

In 15 Medienstationen werden viele zeitgenössische Filme gezeigt. Das Filmmaterial kommt dabei auf rund fünf Stunden. Weitere 12 Stunden beinhaltet das historische Material. Außerdem schildern rund 45 Zeitzeugen ihre damaligen Erlebnisse. „Die Erinnerungen der Zeitzeugen hat unsere Forschungsergebnisse sehr gut bestätigen können, obwohl natürlich jeder von Ihnen eine ganz andere Perspektive hat und diese Zeit ganz unterschiedlich erlebt haben“, so Rüther.

Zur Ausstellung

In insgesamt fünf Abschnitten versucht die Ausstellung die Ergebnisse aus einem vierjährigen Forschungsprojekt widerzuspiegeln. Der erste Abschnitt „Lebenswelten“ stellt den gesellschaftlichen Kontext, in dem die Hitlerjugend agierte, vor. Dabei beschäftigt sich dieser Abschnitt über die Lebensphase in den 1920er- und 30er- Jahren in der Stadt und auch auf dem Land. Sie geht auch auf die Arbeits- und Freizeit ein und thematisiert auch die Auswirkungen auf den zuvor beendeten Weltkrieg. Denn die Hitlerjugend konkurrierte zu dieser Zeit mit Elternhäusern, Schulen und Kirchen um die Vormachtstellung in der Jugenderziehung. „Die Geschichte ist nicht nur schwarz-weiß, sondern besteht aus nuancen“, so Rüther.

Genau an diesem Punkt geht die Ausstellung in den zweiten Abschnitt „Erziehungsinstanz“ über und erklärt genauer, mit welchen Einflüssen die neuen Machthaber versuchten die Erziehung der Jugendlichen zu übernehmen oder sie zu beeinflussen. „Erst hier wird die Hitlerjugend erstmals in der Ausstellung vorgestellt. Es ist uns wichtig zunächst auf die Lebensbedingungen der Jugendlichen einzugehen, denn auch die war für jeden anders“, erklärt Rüther. „Hier geht die Ausstellung besonders auf die Ideologie ein und wieso so viele Jugendliche begeistert das Angebot ein Teil der NS-Jugend zu werden annahmen“, erklärt Barbara Kirschbaum, Museumspädagogik.

Der dritte Abschnitt „Arbeit und Ziele der Hitlerjugend“ werden unter den Aspekten Organisation, „Dienst“ und „Führer“ näher vorgestellt. Die Wehrerziehung steht dabei im Vordergrund, die vor allem die Aktivitäten in Jungvolk und der Hitlerjugend wesentlich prägte. Mit zahlreichen Beispiel soll hier überprüft worden sein, inwieweit die Hitlerjugend den selbst gestellten Ansprüchen wirklich gerecht wurde.

Das man diesem Totalitätsanspruch nie ganz in die Tat umsetzten konnte, zeigt der vierte Abschnitt der Ausstellung „Konflikte“. Sie beschäftigt sich vor allem mit den Jugendgruppen, die sich dem auf sie ausgeübten Druck nicht beugen wollten, also insbesondere die konfessionelle Jugend und die unangepassten Jugendlichen.

Der letzte und fünft Abschnitt beschäftigt sich mit dem Thema „Hitlerjugend im Krieg“. Während die Jugendlichen zuvor nur für Aufgaben an der „Heimatfront“ verpflichtet wurden, kamen in der Kriegsphase auch direkte Kampfeinsätze hinzu. Die Jugendlichen waren nun gezwungen sich gewollt oder auch ungewollt den Bedürfnissen des Kriegsaltgas anzupassen.

Die Web-App zur Ausstellung

Eigens für die Ausstellung wurde eine Website kreiert. Diese ausstellungsbegeleitende Web-App, die nicht nur alle Texte und Abbildungen enthält, sondern auch sämtliche 15 Medienstationen mit fünf Stunden Zeitzeugenberichten und fast 12 Stunden historischem Filmmaterial. Also insgesamt 17 Stunden Filmmaterial zu den unterschiedlichen Abschnitten der Ausstellung.

Eine weitere Website „Jugend in Deutschland 1918 – 1945“ wurde mit neuer Gestaltung und stark erweitertem Umfang freigeschaltet. Neben umfangreichen Informationen zum Gesamtthema „Jugend“ finden Interessierte hier unter der Rubrik „Zeitzeugen“ auch weitere zahlreiche Lebensgeschichten damaliger Jugendlicher am Stück, die zwischen 1933 und 1945 einer Gliederung der Hitlerjugend angehörten.

Autor: Irem Barlin