Der Fotograf Oswald Kettenberger war Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre im Kölner Karneval unterwegs.

Köln Die Autorin Monika Salchert beschäftigt sich mit der DNA des jecken Treibens.

Wer dieses gerade beim Greven-Verlag erschienene Buch in die Hand nimmt, merkt sofort, dass dieses Werk anders ist. Schon das äußere Erscheinungsbild mit dem Festeinband mit offenem Rücken und rotem Faden lässt aufmerken. Auch das schwarz-weiße Coverbild, das zwei tanzende männliche Jecken eng umschlungen zeigt, lässt den Betrachter erkennen, dass es sich hier nicht um ein klassisches Kompendium zu den 200 Jahren Kölner Karneval dreht.

Der Ansatz der Autorin Monika Salchert geht tiefer und blickt so kritisch wie auch zukunftsweisend auf das, was den Karneval in der Domstadt wirklich ausmacht. Natürlich macht die Journalistin, die unter anderem seit vielen Jahren für den WDR die Schull- und Veedelszöch moderiert, auch die Vergangenheit zum Thema. So werden gleich zu Beginn die vier Jubilare vorgestellt, die von Anfang an dabei sind, wie Die Grosse von 1823, das Festkomitee Kölner Karneval, die Hellige Knäächte und Mägde und natürlich die Kölsche Funke rut-wieß, das älteste Traditionskorps der Stadt.

Elfi Scho-Antwerpes, Monika Salchert und Heinz-Günther Hunold (v.l.) bei der Buchvorstellung im Greven-Verlag. Foto: Bopp

Dann geht es aber um weit mehr als nur um einen Rückblick auf zwei Jahrhunderte jecken Treibens in Köln. „Das ist für mich ein Standardwerk, das die DNA des Karnevals darstellt, das eine klare Meinung vertritt und das kritische Fragen stellt“, erklärt Verleger Damian van Melis bei der Buchvorstellung.

Das sieht auch Heinz-Günther Hunold als Präsident der Roten Funken so, die in Kooperation mit dem Festkomitee das Buch herausgegeben haben: „Für mich ist das ein Debattenbuch, mit dem wir uns auf den richtigen Weg in Richtung Zukunft begeben. Es braucht immer auch Selbstkritik, wenn man, wie im Karneval üblich, über andere lachen möchte. Angesprochen werden kritische Themen wie die Auswüchse rund um die Zülpicher Straße oder die Rolle der Frauen, die im Karneval immer noch unterrepräsentiert sind.“

Zu den ersten Leserinnen gehörte die frühere Bürgermeisterin, Elfi Scho-Antwerpes: „Für mich ist das ein Buch, das alle ins Gespräch bringt und das mutige Gedanken in die Gesellschaft befördert. Es geht um kritische wie nachdenkliche Töne, die den Karneval nach vorne bringen. Es zeigt auch, wie tief der Karneval in der Stadt verwurzelt ist und welche ungeheurere Strahlkraft er besitzt. Das Buch will den Karneval erklären, dabei gibt es kein richtig oder falsch.“

Die Fotografin Nina Gschlößl war bei der Friedensdemo an Rosenmontag vor Ort.

Zu den Besonderheiten des Buches gehört auch die ungewöhnliche Bebilderung. Ob Altmeister wie August Sander, Heinz Held, Chargesheimer, Oswald Kettenberger und Robert Lebeck oder zeitgenössische Fotografen wie Boris Becker, Claudia Kroth, David Klammer, Wolfgang Zuborn und Nina Gschlößl – alle haben sich zum Karneval positioniert, mal beteiligt, mal skeptisch, mal kritisch.

So zeigt Claudia Kroth bunt kostümierte Kinder der Schullzöch, August Sander dokumentiert die Intimität und Ausgelassenheit beim Karneval der Nachkriegszeit in den 50ern, Boris Becker blickt in die mit Orden und Erinnerungsfotos gut gefüllte Wohnung eines Prinzgardisten, Oswald Kettenberger hält die zügellose und ausschweifende Seite des Karnevals in den 70ern fest und Nina Gschlößl war bei der großen Friedensdemo des Rosenmontags 2022 dabei.

Auch Problembereiche des Kölner Karnevals werden thematisiert

Das Buch selbst ist in verschiedene Themenblöcke unterteilt. So wird gleich zu Beginn gefragt, was den Kölner Karneval eigentlich ausmacht und welche ganz verschiedenen Facetten er vom organisierten Karneval in den Sälen über den Kinderkarneval bis zum alternativen Karneval aufweist. Der Blick fällt natürlich auf den Rosenmontagszug, von seinen Ursprüngen mit dem „Held Carneval“ bis zum heutigen Prinzen und dem Dreigestirn.

Bis in die späten 70er Jahre galt hier für Frauen – Mitmachen unerwünscht. Aber vieles ändert sich, wie die Tatsache, dass der Zoch 2023 auf der Schäl Sick starten wird. Dazu kommen die ausgefallenen Züge wie beim Golfkrieg, als der Geisterzug entstand, im Corona-Jahr 2021 und in diesem Jahr mit der Friedensdemo gegen den Krieg in der Ukraine. Nicht verschwiegen wird, wie der Rosenmontagszug in der NS-Zeit für antisemitische Propaganda missbraucht wurde und wie sich der deutsche Kolonialismus in der Anfangszeit im 19. Jahrhundert in den Persiflagen widerspiegelte.

Vom Büttenredner zum Comedystar

Weitere Themen sind die Entwicklung der Rede im Karneval inklusive der Infragestellung der Redefreiheit wie beim kritischen Karnevalisten Karl Küpper. Es geht um den Wandel vom Büttenredner zum Comedystar und um Ausnahmetalente wie Grete Fluss oder Trude Herr. Auch der Tanz im Karneval wird thematisiert und hinterfragt. Dazu kommen Themen wie „Karneval und Politik“, „Karneval und Soziales“ oder „Karneval und Wirtschaft“.

„Es gab auch Themen, die erst während der Recherche und des Schreibens in den Fokus gerückt sind, wie zum Beispiel die Frage der Nachhaltigkeit, die beim Kölner Karneval noch nicht wirklich angekommen scheint. Das betrifft Kamelle und im Plastik verpackte Strüßjer genauso wie die Ordensflut mit Orden, deren Rohlinge in Fernost billigst gefertigt werden“, sagt die Autorin.

Entstanden ist so ein Buch, das Alteingesessene genauso wie Zugezogene, Karnevalsfans und Karnevalshasser gleichermaßen überraschen und faszinieren dürfte. Es ist ein Standardwerk, das ganz am Anfang einer Debatte über den Karneval steht, deren Ausgang völlig offenbleibt.

Monika Salchert: Kölner Karneval seit 1823, Greven-Verlag, 248 Seiten, 36 Euro