München/Berlin | Der NSU-Prozess beginnt nach übereinstimmenden Medienberichten drei Wochen später als ursprünglich geplant. Das Oberlandesgericht (OLG) München habe den ursprünglich für Mittwoch geplanten Verhandlungsauftakt nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über Sitzplätze für ausländische Journalisten auf den 6. Mai verlegt, melden „Spiegel Online“ und der SWR. Derweil kritisiert der Anwalt zweier Opfer die Verschiebung scharf. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland spricht von einer „zusätzlichen Tortur“ für die Angehörigen. Die Türkische Gemeinde äußert indes Verständnis für die Prozessverschiebung. Innenminister Friedrich wollte die Entscheidung des Gerichtes nicht kommentieren, bezog aber am Rande eines Termins im Kölner Polizeipräsidium ausführlich Stellung.

Journalistenverband begrüßt Neustart von NSU-Prozess

Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes, Michael Konken, hat die Verschiebung des NSU-Prozessauftakts begrüßt. „Das ist die richtige Konsequenz aus den wochenlangen Auseinandersetzungen um das Akkreditierungsverfahren und aus der Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts“, sagte er dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Zugleich legte Konken dem Oberlandesgericht München nahe, die Zahl der Presseplätze zu vergrößern.

„Wer sagt, dass die Zahl der Presseplätze auf 50 beschränkt bleibt? Das Gericht sollte darauf achten, dass die Zahl der Presseplätze der Bedeutung des Verfahrens gerecht wird.“ Der Gewerkschafter kritisierte das Gericht im Übrigen wegen der mittlerweile dreiwöchigen Auseinandersetzung um die Akkreditierungsfrage. „Was wir da erlebt haben, hätte ich nicht für möglich gehalten“, erklärte er.

„Offenbar bedurfte es erst des Bundesverfassungsgerichts, damit die Münchner Richter die Bedeutung der Medien erkannten.“

Prozess verschoben – Akkreditierung soll von vorn beginnen

Die Akkreditierung für die Presse solle nun von vorn beginnen. Das Bundesverfassungsgericht hatte am Freitag entschieden, dass das OLG München beim NSU-Prozess eine angemessene Zahl von Sitzplätzen an ausländische Journalisten vergeben muss.

Zuvor hatte die türkische Zeitung „Sabah“ gegen die Platzvergabe Verfasssungsbeschwerde eingelegt. Das OLG München müsse „eine angemessene Zahl von Sitzplätzen an Vertreter von ausländischen Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern der angeklagten Straftaten“ vergeben, hieß es in der Entscheidung der Karlsruher Richter. Möglich sei demnach ein Zusatzkontingent von nicht weniger als drei Plätzen zu eröffnen, in dem nach dem Prioritätsprinzip oder etwa nach dem Losverfahren Plätze vergeben werden.

Stattdessen könne das OLG die Sitzplatzvergabe oder die Akkreditierung insgesamt nach anderen Regeln gestalten, so das Bundesverfassungsgericht.

Innenminister glaubt an die Arbeit der Justiz

Zu der Verschiebung des NSU Prozesstermins in München machte Innenminister Friedrich klar, dass es sich um eine eigenständige Entscheidung der Justiz handele, die er nicht kommentieren und bewerten werde. Friedrich äußerte sich am Rande eines Termins im Kölner Polizeipräsidium.

Die Justiz sei in der Verpflichtung, nachdem die Anklage erhoben worden sei, den Prozess durchzuführen. Die bräuchten keine Belehrungen, weder von Mitgliedern von Regierungen, noch von Parlamenten. Die machen Ihre Arbeit, darauf vertraue ich ganz fest, stellte Friedrich klar. Das Thema finde im Ausland an der ein oder anderen Stelle Beachtung, insbesondere bei den türkischen Medien. Entscheidend sei doch nicht in welchen Medien in welchem Umfang welche Berichterstattung stattfinde, sondern das dieser Prozess nach rechtsstaatlichen Prinzipien durchgeführt werde. Dafür hätten die Verantwortlichen in der Justiz die Verantwortung übernommen und werden das auch richtig machen. Es mache doch keinen Sinn, dass man jetzt drei Jahre einen Prozess führe und am Schluss käme ein Urteil heraus, anschließend gäbe es eine Revision und das Urteil werde wieder aufgehoben. Dann habe keiner gewonnen.

Friedrich nannte die Arbeit des Abwehrzentrums gegen Rechtsextremismus und Terrorismus hervorragend. Man habe die davor unzureichende Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden geändert und Friedrich erhofft sich weitere Verbesserung durch die Veränderungen beim Bundesamt für Verfassungsschutz, wo es in allen Bereichen Reformen geben werde. Man arbeite derzeit an 14 unterschiedlichen Projekten und auch in der föderalen Struktur arbeite man an Reformen. Man sei auf einem guten Weg.

Rechtsanwalt zweier Opferfamilien kritisiert Verschiebung des NSU-Prozesses

Der Berliner Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler, Vertreter von zwei Opferfamilien im NSU-Prozess, hat die Verschiebung des Prozessbeginns scharf kritisiert. „Ich bin fassungslos und entsetzt“, sagte er der „Mitteldeutschen Zeitung“ (Dienstagausgabe). „Man sollte meinen, dass ein Gericht in der Lage ist, eine Sitzplatzfrage zu klären. Diese Situation hat Slapstick-Charakter bekommen.“ Das Oberlandesgericht München will mit dem Prozess nun am 6. Mai beginnen. Grund ist der Streit über die Presseplätze im Gerichtssaal.

Zentralrat der Muslime: NSU-Prozessverschiebung ist „zusätzliche Tortur“ für Hinterbliebene

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, hat die Verschiebung des NSU-Prozesses kritisiert. „Wäre das Gericht anfänglich nicht so stur geblieben, hätten wir uns die Verzögerung sparen können. Mir tun jetzt die Hinterbliebenen der Terroropfer leid, für die ist es eine zusätzliche Tortur“, sagte Mazyek der „Rheinischen Post“ (Dienstagausgabe).

„Ich hoffe, das Gericht wird aus seinen Fehlern lernen, es ist eben kein Strafprozess wie jeder andere.“ Mazyek hatte bereits am Wochenende die Befürchtung geäußert, dass der Prozess verschoben werden könnte.

Türkische Gemeinde: Verschiebung des NSU-Prozesses ist nachvollziehbar

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, hat Verständnis für die Verschiebung des NSU-Prozesses gezeigt. „Ich kann die Entscheidung nachvollziehen“, sagte Kolat der „Welt“. „Es muss alles dafür getan werden, damit das Urteil am Ende nicht angreifbar ist.“

Kolat kritisierte jedoch die vorherigen Entscheidungen des Gerichts bei der Frage der Platzvergabe: „Das Gericht hat viele Fehler gemacht, die nun zu diesem Schritt geführt haben.“ Kolat fordert die von der Bundesregierung berufene Ombudsfrau für die Hinterbliebenen der NSU-Opfer, Barbara John, auf, sich nun um die finanziellen Sorgen der Hinterbliebenen zu kümmern. „Für die Hinterbliebenen ist die Verschiebung unglaublich.“

Nun müsse überlegt werden, wie die finanziellen Schäden durch die Anreise oder Hotelbuchungen möglichst gering gehalten werden können. Kolat bittet auch die Deutsche Bahn, Fluglinien und Hotels auf, den Hinterbliebenen entgegenzukommen.

Autor: dts, ag | Foto: Hugo Berties/Fotolia
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