Das Archivbild zeigt Katharina Barley, SPD-Spitzenkandidatin bei der Europawahl 2024. | Foto: via dts-nachrichtenagentur

Köln/Berlin | Die Bürger:innen in Deutschland haben ihr Votum abgegeben und die Ergebnisse lösen eine Verschiebung nach Rechts aus. Die Union wird stärkste Kraft und die Rechten von der AfD zweitstärkste Kraft, im Osten Deutschlands sogar stärkste Kraft. SPD und Grüne verlieren massiv. Das BSW erscheint kraftvoll auf der politischen Bühne. Hier sammelt die Redaktion von report-K die Stimmen zur Europawahl 2024.

SPD für Barley als EU-Parlamentspräsidentin

Die SPD-Europaabgeordnete Katarina Barley soll nach dem Willen ihrer Partei offenbar in der zweiten Hälfte der fünfjährigen Legislaturperiode den Posten der Präsidentin des Europaparlaments bekommen.

Mit diesem Ziel werde die SPD in die Verhandlungen zwischen den Fraktionen im Europaparlament gehen, berichtet der „Tagesspiegel“ unter Berufung auf Kreise der Sozialdemokraten in Brüssel. Die bisherige Vizepräsidentin des EU-Parlaments würde dann die konservative Politikerin Roberta Metsola ablösen, deren Wahl für die erste Hälfte als sicher gilt.

Die SPD erhebt den Anspruch auf den Posten, obwohl die Partei am Sonntag bei der Europawahl ihr historisch schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl eingefahren hat. Künftig sitzen 14 SPD-Abgeordnete im EU-Parlament, zwei weniger als bisher.

Das Pressebild der SPD Bundestagsfraktion zeigt Kevin Kühnert. | Foto: SPD

Kühnert sieht Ampel als Hypothek für SPD

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hat ein für seine Partei ernüchterndes Fazit der Europawahl gezogen. „Wir müssen festhalten: Das Ergebnis hat was mit der Ampel zu tun, daran kommt niemand vorbei“, sagte er dem Fernsehsender „Welt“.

Nicht nur der Auftritt der Ampel, sondern auch das, was man verkörpere an Politik, die man mache, werde in Teilen der Gesellschaft abgelehnt und nicht gewollt. Dabei habe die SPD im Prinzip auf die richtigen Themen gesetzt, so Kühnert – aber „wegen der Ampel“ hätten sich dann doch viele gegen die SPD entschieden.

„Ich kann für meine Partei festhalten, dass wir ja in den Nachwahlbefragungen sehen: Die Themen, die wir gesetzt haben, soziale Gerechtigkeit, auch Kampf um Frieden in Europa, waren durchaus für viele Menschen die Themen dieser Zeit, waren auch für Sie wahlentscheidend“, so der Generalsekretär. „Sie haben uns deswegen aber nicht unbedingt gewählt.“

Den Ausspruch von Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel, wonach die Ampel am Ende sei, wollte Kühnert zwar so nicht unterschreiben – aber perspektivisch sieht auch er diese Gefahr: „Die Ampel stand nicht direkt zur Abstimmung gestern, aber alle drei Parteien haben klar verloren. Das findet auch kein Stimmenaustausch zwischen den Parteien statt, sondern eine Abwanderung im Moment nach außen.“ Man könne für den Moment festhalten: „Wenn sich das nicht signifikant ändert bis zum nächsten Jahr, dann war es das mit der Ampel. Einfach weil sie keine Mehrheit mehr haben wird.“

Neuwahlen will Kühnert aber derzeit nicht. „Ich glaube nicht, dass es unserer Demokratie guttut, wenn nach jeder verlorenen Landtagswahl oder eben auch einer Europawahl wir immer zu Neuwahlen kommen“, so der SPD-Politiker. „Es gibt andere westliche, demokratische Länder, da sehen wir das, was passiert, wenn jedes Jahr neu gewählt wird, siehe Israel und andere mehr.“ Zur politischen Stabilität trage es nicht bei.

„Man muss die Ampel nicht gut finden oder den sozialdemokratischen Bundeskanzler. Aber man sollte respektieren: Die Ampel hat eine Mehrheit vor drei Jahren bei der Wahl bekommen“, fügte Kühnert hinzu. Die habe sie noch ein Jahr. „Sie bringt ihre Gesetze im Bundestag durch. Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass die Koalition zerfallen würde.“ Und insofern bleibe es dabei:“ Wir haben noch ein Jahr und müssen uns in diesem Jahr aus dem Tal herausarbeiten, in dem wir zweifelsohne im Moment drin sind.“

Kühnert ging auch selbstkritisch mit seiner Rolle als Wahlkampfmanager um. Es sei auch sein Ergebnis. „Nun haben wir nicht nur wegen der Plakate 13,9 Prozent bekommen. Aber auch ich muss für mich festhalten: Die Kampagne hat keinen Turnaround, sozusagen, hingekriegt. Das werden wir für uns hier in der Parteizentrale auch auswerten müssen. Auch die Bundestagswahl Kampagne im nächsten Jahr wird einen anderen Angang haben müssen, wenn da ein besseres Ergebnis bei rauskommen soll.“

Das Archivbild zeigt Sigmar Gabriel. | Foto: via dts nachrichtenagentur

Gabriel greift SPD-Spitze an

Der frühere SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel geht nach dem Debakel bei der Europawahl hart mit der Spitze seiner Partei ins Gericht. „Es ist falsch, alles der Regierung in die Schuhe schieben zu wollen“, sagte Gabriel dem „Stern“. Auch wenn deren Politik bei der Europawahl „klar abgestraft“ worden sei.

„Aber etwas anderes macht mich inzwischen nur noch traurig und wütend zugleich. Zusehen zu müssen, wie nach einer solch bitteren Niederlage die professionellen Gesundbeter und Ja-Sager schon vorbereiten, wie man spätestens übermorgen wieder zur Tagesordnung übergehen kann“, so Gabriel.

„In dem zu Recht gedrechselten Polit-Technokraten-Sprech wie Wir werden das genau analysieren oder wir haben nicht das erreicht, was wir uns vorgenommen haben, kommt immer ein Wort nicht vor: Verantwortung. Niemand sagt mal den Satz: Ich übernehme dafür die Verantwortung. Weder für den katastrophalen Wahlkampf noch für die völlig falsche Auswahl der Wahlaussagen und schon gar nicht für die Personalauswahl.“ Offenbar würden all nur daran denken, morgen irgendwie noch auf ihren Sesseln sitzen zu bleiben.

Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm auf einem Archivbild. | Foto: via dts nachrichtenagentur

Wirtschaftsweise erwartet Neuwahl-Debatte

Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm rechnet auch in Deutschland mit einer Neuwahl-Debatte. Die Entscheidung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zur Auflösung des Parlaments „dürfte diese Diskussion auch in Deutschland befeuern“, sagte Grimm den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Die aktuellen Haushaltsverhandlungen seien „eine Sollbruchstelle“.

Grimm warnte zudem vor falschen Weichenstellungen in Europa beim Klimaschutz. „Viele Unternehmen haben ihre Geschäftsmodelle auf die Klimaschutzziele ausgerichtet. Es wird nun darauf ankommen, die Wettbewerbsfähigkeit der EU stärker zu fokussieren, ohne durch Kehrtwenden beim Klimaschutz für Verunsicherung zu sorgen“, sagte sie. „Die kommenden Jahre werden extrem anspruchsvoll. Wenn wir uns in Europa nicht marginalisieren wollen, dann muss es gelingen, die Union wirtschaftlich stärker zu integrieren, nach innen – etwa über eine echte Kapitalmarktunion – und nach außen über Handelsabkommen.“

Das schwache Abschneiden der Grünen bei der Europawahl führt die Ökonomin auf eine falsche Klimaschutzpolitik zurück. Das Heizungsgesetz etwa habe „viel Vertrauen beim Wähler zerstört“, sagte sie den Funke-Zeitungen.

Grimm verwies auf die Verluste der Grünen gerade bei jungen Wählern. „Ein großes Problem erscheint mir, dass Klimaschutz nicht besonders überzeugend umgesetzt wird“, sagte sie. Statt sich mit der FDP auf einen marktorientierten Ansatz mit starkem Emissionshandel zu einigen, hätten sich die Grünen „dazu verstiegen, in großem Umfang mit Förderung und Subventionen zu arbeiten“. Dafür fehle aber das Geld.

Das Archivbild zeigt Friedrich Merz und Markus Söder. | Foto: via dts nachrichttenagentur

Söder sieht keine „Vorentscheidung“ für Merz als Kanzlerkandidat

CSU-Chef Markus Söder sieht durch den Wahlsieg der Union bei der Europawahl noch keine Festlegung auf Friedrich Merz als Kanzlerkandidaten von CSU/CSU. „Nein, das war keine Vorentscheidung“, sagte Söder am Montag den Sendern RTL und ntv.

Man habe in der Union vereinbart, dass zur Bundestagswahl die richtige Zeit zur Vorbereitung kommen müsse. „Außerdem scheint es in der CDU jetzt wieder Diskussionen zu geben.“ Merz und er arbeiteten allerdings „engstens“ zusammen. „Am Ende, glaube ich, da bin ich fest überzeugt, werden wir eine sehr gute gemeinsame Lösung finden.“

Das Gesamtergebnis für die Union sei ein Erfolg, so Söder. Merz und er hätten die beiden Parteien seit 2021 „gut stabilisiert“. Bei allen Landtagswahlen und der Europawahl habe man kontinuierlich zugelegt. Diese Erfolge seien Erfolge der jeweiligen Kandidaten, „aber auch der Parteivorsitzenden, die insgesamt das Ganze vorangebracht haben – und damit auch von Friedrich Merz“.

Die grünen Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour. | Foto: via dts nachrichtenagentur

Hofreiter stärkt Grünen-Parteichefs den Rücken

Der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter, spricht sich trotz des schwachen Abschneidens der Grünen bei der Europawahl gegen personelle Konsequenzen an der Parteispitze aus.

„Ich glaube, die beiden sind ganz klar die richtigen“, sagte er am Montag mit Blick auf die beiden Vorsitzenden, Lang und Nouripour, den Sendern RTL und ntv. „Es ging auch nicht um die beiden.“ Stattdessen müsse die Ampel-Koalition anders auftreten. „Ich glaube nicht, dass die Parteivorsitzenden das zentrale Problem sind. Es ist entscheidend, dass die Regierung besser performt.“

Hofreiter nannte mehrere Gründe für das schlechte Abschneiden seiner Partei bei der Europawahl, darunter auch eigene Fehler wie etwa beim Heizungsgesetz. Hinzu komme der ständige Streit in der Ampelkoalition, zu dem auch die Grünen beigetragen hätten. Darüber hinaus seien die Menschen wegen der vielen Krisen verunsichert und es sei der Partei nicht gelungen, sie zu überzeugen, dass Veränderungen für Stabilität sorgten.

Hofreiter erwartet trotz des Wahldebakels eine Steigerung der Grünen bei der kommenden Bundestagswahl. „Es wäre wichtig, zu schauen, dass man weniger Fehler macht – und am Ende bei der Bundestagswahl muss das Ziel sein, ein besseres Ergebnis zu erzielen als 2021.“

An Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) übte der Grünen-Politiker unterdessen erneut scharfe Kritik. Ob Scholz noch der richtige sei, müsse die SPD entscheiden, sagte Hofreiter den Sendern RTL und ntv. Er habe die Erwartung, dass der Kanzler die Koalition endlich in ruhigere Fahrwasser führe – sicher sei er sich allerdings nicht, so Hofreiter. „Der Kanzler muss einfach klarer führen.“ Scholz spreche gerne über Besonnenheit, „aber Besonnenheit ist, vielleicht mal über eine Entscheidung zwei Wochen nachzudenken – was auch schon eine lange Zeit ist – und nicht ein halbes Jahr“.

Hofreiter forderte für die anstehenden Haushaltsverhandlungen Zurückhaltung von den Koalitionären, allerdings zeigte er sich über den Zustand der Ampel ernüchtert. „Wenn schon das Kabinett zerstritten ist, dann hat eine Regierung einfach ein Problem.“ Der Grünen-Politiker sprach sich dennoch gegen Neuwahlen aus. Damit würden nur Populisten profitieren. Wegen der unterschiedlichen politischen Systeme könne man die Situation auch nicht mit der in Frankreich vergleichen, wo Präsident Emmanuel Macron nach einer eigenen Wahlniederlage bei den Europawahlen das Parlament auflösen will. Zudem wolle Macron damit nur von eigenen Fehlern ablenken.

| red, Mit Material von dts nachrichtenagentur |