Berlin | [aktualisiert 18.00 Uhr] Nach der tödlichen Messerattacke auf eine Arbeitsvermittlerin in Neuss werden Forderungen nach mehr Sicherheit für die Beschäftigten in Jobcentern lauter. Die Gewerkschaft ver.di forderte am Donnerstag eine Überprüfung der Sicherheitskonzepte. Unterdessen kam die Polizei bei der Suche nach dem Tatmotiv einen Schritt weiter. Demnach war die Frau, die am Mittwochmorgen von einem Kunden des Jobcenters niedergestochen worden war, offenbar ein Zufallsopfer. Der mutmaßliche Täter wollte eigentlich einen anderen Mitarbeiter aufsuchen. Die Gewerkschaft kritisiert jetzt Kürzungen im Neusser Jobcenter.

18.00 Uhr> Gewerkschaft kritisiert Kürzungen nach Angriff in Neusser Jobcenter

Der tödliche Angriff im Jobcenter Neuss (Nordrhein-Westfalen) hat auch bei Kollegen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Entsetzen ausgelöst. Die Beschäftigten in den Arbeitsagenturen und Jobcentern seien tief bestürzt und verunsichert, teilte der ver.di-Bezirk für die drei Länder am Donnerstag in Leipzig mit. Einen 100-prozentigen Schutz könne es zwar nicht geben, sagte ver.di-Fachbereichsleiterin Angelika Nikisch. Wichtig sei aber eine Vertrauensbasis zu den Arbeitnehmern und Arbeitgebern.

Die Entscheidung, bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) 15.000 Stellen bis 2015 zu kürzen, sei daher nicht nachvollziehbar. Einschnitte und ständige Reformen verschärften den Zeitdruck und verhinderten ein Vertrauensverhältnis. Ein arbeitssuchender Mann hatte am Mittwoch eine Mitarbeiterin im Neusser Jobcenter mit einem Messer tödlich verletzt. Die BA will bis Ende 2015 eine Milliarde Euro einsparen.

Tödliche Messerattacke löst Debatte um Sicherheit in Jobcentern aus

Die Schutzmechanismen in den Jobcentern müssten so gestaltet werden, dass die Beschäftigten „nicht um ihr Leben oder die Gesundheit fürchten“ müssten, sagte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Isolde Kunkel-Weber in Berlin. Die Beschäftigten der Jobcenter seien täglich steigenden gesundheitlichen Belastungen und immer wieder bedrohlichen Situationen ausgesetzt. Die Mitarbeiter litten unter hoher Arbeitsbelastung und komplizierter Gesetzgebung.

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sagte dazu, jedes Jobcenter habe sein Sicherheitskonzept, das lokal auch angepasst sei. „Trotzdem braucht es den direkten persönlichen Kontakt von Mensch zu Mensch“, betonte sie. Zugleich würdigte die Ministerin die Arbeit der Jobcenter, deren Mitarbeiter jeden Tag einen guten, aber eben oft auch einen schwierigen Job machten.

Von der Leyen: „Abscheuliches Verbrechen“

Von der Leyen verurteilte die Tat als „abscheuliches Verbrechen“, das „durch nichts zu rechtfertigen“ sei. Auch der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur (BA) für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, zeigte sich bei Bekanntgabe der September-Arbeitsmarktzahlen über die Attacke auf die junge Frau erschüttert: „Wir sind sehr betroffen. Wir denken an sie, wer das kann, betet für sie.“

Die 32-jährige Irene N. war am Mittwoch von einem 52 Jahre alten Mann durch drei Messerstiche tödlich verletzt worden. Der mutmaßliche Täter hatte offenbar einen anderen Mitarbeiter besuchen wollen, um mit diesem Mann über eine Datenschutzerklärung zu sprechen. Den arbeitslosen tatverdächtigen Ahmed S. habe die Angst umgetrieben, dass das Jobcenter seine Daten weitergeben könnte und „mit seinen Daten jemand anderes Geld verdient“, sagte der Leiter der Neusser Mordkommission, Guido Adler.

Weil der Sachbearbeiter am Tattag nicht im Hause war, suchte S. das spätere Opfer auf. Unvermittelt stach er mit einem Messer auf die Frau ein. Irene N. hatte den Mann Wochen zuvor für ein Projekt zur Wiedereingliederung von über 50-Jährigen in den Arbeitsmarkt an ihren Kollegen verwiesen. Adler nannte die Tat „nicht nachvollziehbar“.

Gegenüber der Polizei räumte der Mann die Tat ein. Er bestritt aber die Absicht, die Frau töten zu wollen. Die Staatsanwaltschaft sieht das anders und will Haftbefehl wegen Mordes beantragen. Die „mit Wucht ausgeführten Verletzungen“ sprächen nicht für Totschlag, sondern für Mord, sagte Staatsanwältin Britta Zur: „Das Opfer war arg- und wehrlos.“ Die Frau habe nicht mit einem Angriff rechnen können.

Die Zurechnungsfähigkeit des Mannes will die Polizei im Verlauf der weiteren Ermittlungen von Psychologen prüfen lassen. „Dazu können wir abschließend noch nichts sagen“, erläuterte Zur. Seine bisherigen Äußerungen deuteten aber darauf hin, dass der Mann sich seiner Tat bewusst gewesen sei.

Autor: Frank Bretschneider/dapd