Stolberg | Historische Geste: Mehr als fünf Jahrzehnte nach der Contergan-Tragödie hat sich der Pharmakonzern Grünenthal erstmals bei den weltweit 10.000 Opfern des größten deutschen Medizinskandals entschuldigt. „Darüber hinaus bitten wir um Entschuldigung, dass wir 50 Jahre lang nicht den Weg zu Ihnen, von Mensch zu Mensch, gefunden haben“, sagte Grünenthal-Geschäftsführer Harald Stock bei der Enthüllung eines Denkmals am Freitag in Stolberg bei Aachen. „Stattdessen haben wir geschwiegen. Das tut mir leid.“

Bislang hatte das Unternehmen von Verantwortung gesprochen und sein Bedauern ausgedrückt. Das Wort „Entschuldigung“ war aber bislang nicht gefallen, da nach früherer Argumentation des Unternehmens darin das Wort „Schuld“ enthalten ist. Stock sagte bei der bewegenden Veranstaltung, dass Grünenthal bei der Entwicklung von Contergan nach dem damaligen Wissensstand und Kenntnisstand gehandelt habe. „Wir wünschten, es wäre nie geschehen.“ In den vergangenen Jahren habe man bemerkt, wie wichtig Gespräche mit den Betroffenen sein.

Anlass der überraschenden Worte war die Enthüllung des ersten Contergan-Denkmals, das an die Opfer des Medizinskandals erinnern soll. Mehrere Verbände waren dem Ereignis trotz Einladung demonstrativ ferngeblieben, da Grünenthal das bronzene Kunstwerk finanziert hatte. Der Bundesverband Contergangeschädigter sprach von einer „PR-Maßnahme“. Die Initiative für das Denkmal kam von dem betroffenen Johannes Igel aus dem Hunsrück, der das Vorhaben per Bürgerantrag in den Stolberger Stadtrat eingebracht hatte.

„Es war an der Zeit“

Igel nannte Contergan „die größte menschliche Katastrophe in der Nachkriegsgeschichte nach dem Holocaust“. Die Entschuldigung sei an der Zeit gewesen. „Jetzt müssten auch Taten folgen“, sagte Igel der Nachrichtenagentur dapd. Zahlreiche Geschädigte, die häufig verstümmelte Gliedmaßen haben, bräuchten dringend finanzielle Unterstützung.

Das Denkmal, das ein Mädchen ohne Arme auf einem Stuhl sitzend neben einem leeren Stuhl zeigt, hat in einem städtischen Kulturzentrum seinen Platz gefunden. Auf einem Schild steht: „Zur Erinnerung an die Toten und Überlebenden der Contergankatastrophe.“ Zuvor war auch über den Standort des Denkmals und den Zeitpunkt der Einweihung – 50 Jahre nach dem Skandal – heftig diskutiert worden. Manche hatten sich einen prominenteren Ort gewünscht.

Grünenthals Rolle war bislang umstrittenen. Betroffene hatten neben einer Entschuldigung immer wieder mehr Hilfsleistungen von dem Millionenschweren Konzern gefordert. Gegen einen kritischen ARD-Film ging das Unternehmen gerichtlich vor. Nach der Entschuldigung wurden am Freitag in dem Saal kritische Rufe laut. Ein Betroffener warf Grünenthal „fahrlässige Tötung“ vor.

Autor: Fabian Wahl/ dapd