Berlin | Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) hat die Äußerungen von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt (CSU) über eine „aggressive Anti-Abschiebe-Industrie“ kritisiert. „Das Gegenteil ist der Fall“, sagte Hikel der „Welt“ (Dienstagsausgabe) mit Blick auf seinen Bezirk.

„Die Initiativen setzen sich unter anderem dafür ein, dass die Rechte Geflüchteter in unserem Rechtsstaat gewahrt werden. Sie sind eine große Unterstützung für die Betroffenen.“ Mit Aussagen wie von Dobrindt werde bürgerschaftliches Engagement diskreditiert. „Das kann ich so nicht stehen lassen.“

Gleichzeitig sprach sich Hikel dafür aus, von Migranten generell stärker Integrationsbemühungen einzufordern, „vor allem was die Sprache angeht“. Das sei elementar für Integration. Angebote gebe es genug.

„Ich erwarte aber, dass die Angebote stärker in Anspruch genommen werden.“ Um die hohe Kriminalität in Neukölln effektiver zu bekämpfen, bekommt der Bezirk eine Koordinierungsstelle für Sicherheit und Ordnung. Dies sei ein Novum in ganz Berlin, sagte Hikel.

„Es geht darum, dass Informationen zusammenfließen zwischen Polizei, Politik und Verwaltung, Ordnungsamt und Zoll.“ Der Staat müsse besser organisiert sein als die organisierte Kriminalität. Hikel ist seit dem 22. April Bürgermeister von Neukölln. Er ist der Nachfolger seiner Parteikollegin Franziska Giffey, die nach der Bundestagswahl an die Spitze des Bundesfamilienministeriums wechselte.

Dobrindts Kritik an „Anti-Abschiebe-Industrie“ provoziert

Der CSU-Landesgruppenvorsitzende Alexander Dobrindt hat für seine Attacke gegen eine sogenannte „Anti-Abschiebe-Industrie“ heftige Kritik vom Koalitionspartner SPD erhalten. Das Gerede über eine „Anti-Abschiebe-Industrie ist Quatsch“, denn „den Abschiebungsgegnern, deren Ziele man begrüßen oder ablehnen kann, geht es nicht um Geld“, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs der „Welt“. Dobrindt betreibe, so der Sprecher des Seeheimer Kreises, den „verzweifelten Versuch, einige AfD-Wähler zurückzuholen. Aber meist wählen die Leute das Original, nicht die Kopie.“ Dobrindt hatte der „Bild am Sonntag“ gesagt, durch Hilfsorganisationen und Anwälte, die sich auf Widersprüche gegen abgelehnte Asylanträge spezialisierten, würden „Bemühungen des Rechtsstaats sabotiert und eine weitere Gefährdung der Öffentlichkeit provoziert“. Noch schärfer wurde der CSU-Politiker vom bayerischen SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher attackiert.

Dobrindt betreibe eine „gefährliche Politik der Spaltung“ und sei im bayerischen Landtagswahlkampf offenkundig „bereit, das geistige Volumen eines Donald Trump vollstens auszufüllen“, sagte Rinderspacher zur der „Welt“. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte der „Welt“, wenn sich „Bürgerinitiativen und Anwälte dafür einsetzen, dass es bei der Prüfung von Asylansprüchen korrekt und human zugeht, dann sind gerade sie es, die Recht und Ordnung hochhalten“. Es sei „unsäglich“, dass Dobrindt „solches Engagement verleumdet, um mit AfD-Parolen Bayern-Wahlkampf zu machen“.

Fraktionsvize Konstantin von Notz ergänzte: „Wer die Anwendung von rechtsstaatlichen Mitteln pauschal verunglimpft, der versteht den Rechtsstaat nicht und verabschiedet sich in Richtung Rechtspopulismus.“ Dobrindt breche „mit der liberalen Rechtsstaatstradition, die Bayern und Deutschland in den letzten Jahrzehnten so erfolgreich gemacht hat“, sagt von Notz der „Welt“. Schützenhilfe bekam Dobrindt hingegen aus der Schwesterpartei.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries sagte der „Welt“, Dobrindt „legt den richtigen Finger in die Wunde“. Es gebe „interessierte Kreise, die unser Asylrecht und den Rechtsstaat ausnutzen und belasten, indem massenhaft Widersprüche und gerichtliche Verfahren angestrengt werden, die offensichtlich aussichtslos sind“. Wer den gesellschaftlichen Frieden bewahren wolle, so de Vries, „muss ein Interesse daran haben, Ausreisepflichtige schnell und konsequent zurück zu führen“. Der Thüringer CDU-Landesvorsitzende Mike Mohring sagte, die Verzögerung offensichtlich aussichtsloser Klageverfahren löse „verständlicherweise bei vielen Bürgern Unverständnis aus“. Es sei „richtig, dass Dobrindt dieses Thema anspricht“. Die Verfahren müssten gestrafft werden.

Autor: dts