Köln | Der Hürtgenwald: 1944/45 war er Schauplatz schwerer Kampfhandlungen zwischen den alliierten Soldaten und Soldaten der Wehrmacht. Im laufe der Jahrzente enstand aus der Kriegslandschaft eine Erinnerungslandschaft, die eine Konzentration kriegsbezogener Zeugnisse aufweist, die in solcher Dichte selten in der Bundesrepublik sei. Das NS-Dokumentationszentrum (NS-Dok) legt mit dem dritten Band seiner Reihe „Veröffentlichungen“ – welches den Titel „Hürtgenwald – Perspektiven der Erinnung“ trägt – nun eine kritische Bestandsaufnahme vor: Eine Dokumentation zur Geschichtspolitik in der Nordeifel.

>>> Videointerview mit den Herausgebern des Bandes Dr. Karola Fings und Frank Möller. Auch im Interview Axel Buch, Bürgermeister der Gemeinde Hürtgenwald

Hintergrund zu Hürtgenwald und dem Buchband des NS-Dok

Am Kriegsschauplatz Hürtgenwald wurden Wälder und Ortschaften verwüstet. Tausende wurden verwundet oder getötet. Die einstige Kriegslandschaft habe sich über die Jahre in eine in dieser Form für die Bundesrepublik einzigartige Erinnerungslandschaft verwandelt, erklären die Herausgeber Dr. Karola Fings, stellvertretende Direktorin des NS-Dok und Frank Möller, von der Gesellschaft für interdisziplinäre Praxis. Mehrere Kriegsgräberstätten, zahlreiche Gedenksteine, Kreuze, Tafeln und künstlerische Objekte zeugen heute davon. Dem entsprechend seien auch die Polarisierungen vor Ort, so Möller.

Einzigartig sei, dass seit Jahrzehnten kontinuierlich Erinnerungsmale aufgestellt wurden, so dass sich im Hürtgenwald wie unter einem Brennglas die Geschichte der Erinnerungskultur in der Bundesrepublik ablesen lasse. Einzigartig sei aber auch, dass die hitzigen Debatten, die in den vergangenen Jahrzehnten um angemessene Formen des Erinnerns an Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg geführt wurden, im Hürtgenwald kaum Resonanz fanden.

So sei diese Erinnerungslandschaft in den letzten Jahren unter anderem wegen ihrer Verengung auf das militärische Geschehen, wegen der Dominanz eines Veteranenverbandes „Windhunde“, zweifelhafter Sinnstiftung und der Ausblendung wesentlicher Aspekte der nationalsozialistischen Herrschaft zunehmend in die Kritik geraten.

Das NS-Dok legt mit dem dritten Band seiner Reihe „Veröffentlichungen“ im Metropol Verlag nun eine kritische Bestandsaufnahme vor, die sich deutlich von dem bis heute einseitigen und mythendurchsetzten Schrifttum der Region abhebt. Der reich illustrierte Band zeichnet die Geschichte der Erinnerungskonflikte nach, wägt das historische und touristische Potenzial der „Erinnerungslandschaft Hürtgenwald“ ab und gibt Hinweise zu ihrer Veränderung und Weiterentwicklung. Als Bestandsaufnahme und kritische Würdigung hat das Buch exemplarische Bedeutung auch für andere Regionen der Bundesrepublik, in denen die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg lebendig und umstritten ist.

Der Band „Hürtgenwald – Perspektiven der Erinnung“

„Der Band untersucht den Zustand der Erinnungslandschaft Hürtgenwald. Welche Erinnerungslandschaften sind nach 1945 von wem dort aufgestellt worden. Was für Botschaften transportieren sie. Ist der historische Gehalt richtig wiedergegeben und schaut wo es Defizite gibt, wo etwas getan und geändert werden muss“, erklärt Herausgeberin Dr. Karola Fings, stellvertretende Direktorin des NS-Dok, im Interview mit report-K.

„Wir haben zum einen ein Generationswechsel. Das heißt diejenigen die unmittelbar im Kriegsgeschehen beteiligt waren, leben heute zum großen Teil nicht mehr. Nachfolgende Generationen sollte weitergegeben und vermittelt werden, was während des Krieges gesehen ist, welche Voraussetzungen er hatte und wie es nach 1945 weiter ging. Genau da soll der Band einen Beitrag leisten“, erklärt Herausgeber Frank Möller, von der Gesellschaft für interdisziplinäre Praxis, im Interview mit report-K.

Das Moratorium

Das Moratorium sei ein moderierter Prozess und soll als Austausch mit und zwischen den beteiligten Akteuren dienen. Die beteiligten Akteure sind: die aktiven Einzelpersonen, Vereine und Politiker in der Region selbst und die ausstehenden, also der Landschaftsverband, die Landeszentrale, der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, das NS-Dok und IP Vogelsang. Gemeinsam wollen die Akteure ein Reflexionsprozess anstoßen und diskutieren, was vor Ort fehlt und was dringend geändert werden muss. Im Frühjahr, so Fings, hofft man auf Empfehlungen, wie mit der Erinnerungslandschaft künftig umgegangen wird.

Bisherige Erfahrungen im Austausch beschreibt Möller wie folgt: „Einige sagen endlich passiert hier mal was und jemand von außen beschäftigt sich mit der Politik vor Ort und kritisiert auch mal bestimmte Leute. Es gibt aber auch durchaus Formen von Ablehnungen.“

Ziel des Moratoriums und Ziel des Bandes

Die Herausgeber erhoffen sich von dem Diskussionsprozess, dass man einzelne Positionen überprüft und möglicherweise modifiziert. Am Ende des Diskussionsprozesses soll zudem auch nachhaltig geschaut werden, welche Inhalte zukünftig Tragbar und Akzeptabel sind.

„Ich würde mir wünschen, dass am Ende ein Handlungsleitfaden entsteht, der alle Beteiligten eine klare Vorgabe gibt, wie sie die Geschichte heute darstellen können und wie sie die Geschichte auch tatsächlich wiedergeben können, ohne damit in kontroversen zu kommen mit anderen Akteuren, insbesondere mit der Wissenschaft. Ich denke eine klare Vorgabe , die für alle Akzeptabel ist, ist der einfachste Weg“, so Axel Buch, Bürgermeister der Gemeinde Hürtgenwald, im Interview mit report-K.

Autor: Irem Barlin
Foto: Axel Buch, Bürgermeister der Gemeinde Hürtgenwald