So erklärte Stuttgarts Polizeipräsident Siegfried Stumpf gegenüber dem Nachrichtenmagazin "Spiegel", warum es überhaupt zum Aufeinandertreffen zwischen einem Protestzug von Schülern und den Sicherheitskräften kam, die die Baustelle abriegeln sollten. Ursprünglich war die Absicherung erst für 15 Uhr vorgesehen – so stand es auch in den Plänen der örtlichen Polizei. Da in den letzten Wochen solche Informationen jedoch immer wieder an die Demonstranten gerieten, entwickelte Polizeipräsident Stumpf einen Plan B, in dem Hundertschaften aus anderen Bundesländern für 10 Uhr eingeteilt wurden. Da am Tag zuvor im Internet bereits Warnungen vor dem Einsatz um 15 Uhr kursierten, setzte der Polizeichef Plan B in Kraft – nicht berücksichtigend, dass sich gegen 10 Uhr eine angemeldete Schülerdemonstration in die Nähe des Schlossgartens bewegte. Als die Schüler den Polizeieinsatz bemerkten, strömten viele der jungen Protestler zu den Bäumen. Um die Aktion zu stoppen, so Stumpf, war es zu spät: "Die Baufahrzeuge rollten schon." Bei dem Aufeinandertreffen wurden Wasserwerfern, Pfefferspray und Schlagstöcke eingesetzt. 130 Personen wurden nach Polizeiangaben verletzt, 16 mussten in Krankenhäusern behandelt werden. Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, verteidigt dennoch den Einsatz der Beamten: "Polizeiliche Einsatzmittel müssen Waffen sein, die weh tun, nur dann wirken sie."

Experten: Stuttgart 21-Proteste aus Politikverdrossenheit
Experten sehen die Proteste gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 als Ausdruck einer tiefen Politikverdrossenheit. Demokratieforscher Dieter Fuchs sagte der "Frankfurter Rundschau" (Samstagausgabe), es "verdrieße", wie die Repräsentanten des Staates die Bürger behandelten. Zudem sei das Misstrauen gegenüber Großprojekten gewachsen. Bei Stuttgart 21 kämen laut Fuchs schlechte Informationspolitik, fehlende Transparenz des Verfahrens und widersprüchliche Gutachten hinzu. Die Bereitschaft, sich auf Politik einzulassen, nehme dadurch weiter ab. Vermindern lasse sich Politikverdrossenheit nur durch mehr Teilhabe, schlussfolgert Politikwissenschaftler Hans Joachim Lietzmann von der Bergischen Universität in Wuppertal. In allen Lebensbereichen werde den Menschen mehr Verantwortlichkeit abverlangt: "Da ist es kein Wunder, dass sie auch mitentscheiden wollen", sagte Lietzmann der Zeitung.

Stuttgart 21: Tübinger Bürgermeister spricht von gezielter Provokation
Der Tübinger Bürgermeister Boris Palmer (Die Grünen) hat der Baden-Württembergischen Landesregierung gezielte Provokationen vorgeworfen. "Das war kein Unfall, kein Versehen und auch nicht der Schwarze Block. Das war kalkulierte Gewalt, um die Wahl im Frühjahr zu beeinflussen", sagte Palmer der Frankfurter Rundschau (Samstagausgabe) zum Vorgehen der Polizei in Stuttgart. Bei der Demonstration am Donnerstagabend gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 waren Hunderte Demonstranten verletzt worden. "Wir wurden Zeuge einer kalkulierten und wohlbedachten Inszenierung", sagte Palmer. Für die Landesregierung und im Hintergrund auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sei klar geworden, dass die Bevölkerung nicht mehr vom Nutzen des Bauvorhabens überzeugt werden könne, zumal die Kostenschätzungen stark gestiegen waren. Daraufhin, so Palmer, hätten die Regierenden eine neue Strategie eingeschlagen: "Nun geht es um den Wirtschaftsstandort, den Fortschritt und die Glaubwürdigkeit der Politik." Deshalb habe diese auch unmittelbar nach Auslaufen des Baumfällverbots mit den Arbeiten begonnen. "Das signalisierte: Ihr habt uns nichts zu sagen! Ihr könnt den Bebauungsplan nicht verzögern, nicht um eine Sekunde. Und wer das dennoch versucht, der gehört zu den Störern und Chaoten", sagte Palmer der FR.

[dts]