Die Vizepremierministerin der Ukraine – Ministerin für die Wiedereingliederung der vorübergehend besetzten Gebiete der Ukraine, Iryna Vereshchuk, leitete ein Treffen zum Thema Binnenvertreibung in der Ukraine. | Foto: ArmyInform/Informationsagentur des ukrainischen Verteidigungsministeriums/CCA 4.0.

Köln | LIVEBERICHT wird ständig aktualisiert | red, dts | Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach besuchte gestern die Ukraine und befürchtet einen Cholera-Ausbruch. Russen erhalten in Deutschland mehr Visa. In der Ukraine tagte eine Konferenz zur Lage der 4,1 Millionen Binnenvertriebenen. 220 Verletzte Ukrainer in deutschen Kliniken. Der Livebericht zu den Ereignissen rund um den Krieg in der Ukraine, die Situation der Flüchtlinge sowie politische Reaktionen weltweit.


Von der Leyen in Kiew: Einschätzung zu EU-Beitritt nächste Woche   

17:34 Uhr > EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat eine Einschätzung der Kommission zum EU-Beitrittgesuch der Ukraine für Ende kommender Woche angekündigt. „Der Weg ist klar, es ist ein Weg der nach vorn weist“, sagte sie am Samstagnachmittag bei ihrem Besuch in Kiew. „Ich schätze die enormen Anstrengungen und die Entschlossenheit der Ukraine in diesem Verfahren“, so die CDU-Politikerin.

Die Ukrainer hätten „unglaubliche Stärke, Motivation und Ausdauer bewiesen“, so von der Leyen. „Ich glaube, dass wir gemeinsam diesen furchtbaren, grausamen Krieg auch überwinden werden, dieses wunderschöne Land wieder aufbauen und modernisieren werden“, sicherte sie zu. Die EU-Kommissionspräsidentin lobte die demokratischen Strukturen der Ukraine und den Stand der Digitalisierung „bereits vor der russischen Invasion“, mahnte aber auch eine stärkere Bekämpfung der Korruption an.


Russische Artillerie zunehmend überlegen

11:20 Uhr > Die russische Artillerie spielt ihre Überlegenheit in zunehmendem Maß aus. Ukrainische Beamte fordern daher, wie es auch die ukrainische Regierung in ihren Briefings an Multiplikatoren vorschreibt, immer dringlicher nach hochentwickelten Waffensystemen aus dem Westen. In den letzten 48 Stunden gab es vermehrt Meldungen, dass die ukrainischen Truppen in bestimmten Frontabschnitten immer stärker in einem „Artilleriekrieg“ gefangen seien. Die ukrainischen Streitkräfte sind hier deutlich im Nachteil. Der stellvertretende Leiter des ukrainischen Hauptnachrichtendienstes (GUR), Vadym Skibitsky, stellt das Missverhältnis so dar: Auf 10 bis 15 russische Geschütze käme ein ukrainisches Geschütz. Die Lage erschwere, dass die ukrainische Artilleriemunition nahezu aufgebraucht sei. Ein klarer Nachteil in den langwierigen Stellungskämpfen, die derzeit ausgefochten werden, vor allem in den Regionen Sjewjerodonezk und Lysytschansk. Aus Sjewjerodonezk wird zudem gemeldet, dass das dortige Chemiewerk mittlerweile von russischen Einheiten umzingelt sei. Eine Folgerung daraus ist, dass die ukrainischen Streitkräfte dringend Nachschub an Artilleriesystemen benötigen. Die Militärexperten des Institute For The Study Of War (ISW) stellen dazu fest: „Da die ukrainischen Streitkräfte die letzten Bestände an Waffensystemen und Munition aus der Sowjetzeit verbrauchen, benötigen sie konsequente westliche Unterstützung bei der Umstellung auf neue Lieferketten für Munition und wichtige Artilleriesysteme. Eine wirksame Artillerie wird bei den weitgehend statischen Kämpfen in der Ostukraine zunehmend entscheidend sein.“

Es gibt zudem weitere Berichte über Zwangsmobilisierungen der russischen Streitkräfte und eine eingeschränkte Moral der russischen Soldaten, die sich teilweise weigern sollen an den Kämpfen im Donbass teilzunehmen. Die Quelle ist in diesem Fall die ukrainische Hauptnachrichtendirektion (GUR), die Telefongespräche abgehört haben will, dass russische Soldaten sich weigern zu kämpfen und ihnen mit Strafverfolgung gedroht wird – obwohl es ihren Einheiten an Ausrüstung und Waffen mangelt.

Die russischen Streitkräfte setzen ihre Bodenangriffe auf Sjewjerodonezk fort, haben aber bis zum 10. Juni noch keine vollständige Kontrolle über die Stadt erlangt. Zudem bereiten sie sich vor ihre Offensivoperationen in Richtung Slowjansk fortzusetzen und erzielten nördlich der Stadt kleinere Fortschritte. Heftige Kämpfe sind um die Fernstraße T1302 Bakhmut-Lysychansk entbrannt. Russische Einheiten greifen Siedlungen in der Nähe der Fernstraße an. Russische Truppen haben Berichten zufolge die Kontrolle über die Nehrung Kinburn im nördlichen Schwarzen Meer übernommen, was ihnen eine weitere Kontrolle über die Schwarzmeerküste ermöglichen wird.


Röttgen sieht Mitverantwortung Deutschlands für Verluste in Ukraine  

11:04 Uhr > Der CDU-Außenexperte Norbert Röttgen sieht Deutschland mitverantwortlich für die derzeitigen Verluste der Ukraine im Osten des Landes. „Dass jetzt, in den schwersten und verlustreichsten Wochen für die Ukraine, von der Bundesregierung nichts zu erwarten ist an Waffen, die sie gerade braucht, ist tragisch“, sagte Röttgen der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ). Die Ukraine werde „einen hohen Blutzoll entrichten, weil ihr ausgerechnet jetzt Artillerie-Waffen fehlen“, so der CDU-Politiker.

Die Handlungen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zielten insgesamt darauf ab, „dass er nichts tut, was seine Gesprächsfähigkeit mit Putin ernsthaft beschädigt. Und das halte ich für einen schweren Fehler“, so Röttgen. Von den geplanten Referenden in den bereits von Russland besetzten Gebieten sollte sich der Westen seiner Ansicht nach nicht beeindrucken lassen.

„Russland will Fakten schaffen, um die Ukraine zu zerstören. Ein Mittel sind Schein-Referenden zulasten der Ukraine.“ Dies seien aber keine Fakten, die nicht rückgängig zu machen sind, weil sie „auf reiner Gewalt beruhen und als Rechtsakte nichtig sind“.

Sie hätten rechtlich keine Bedeutung, sagte Röttgen.


Ukraine spricht von 4,1 Millionen Binnenvertriebenen

9:42 Uhr > Die ukrainische Vizepremierministerin und Ministerin für die Wiedereingliederung der vorübergehend besetzten Gebiete der Ukraine, Iryna Vereshchuk, leitete ein Treffen auf dem die Lage der ukrainischen Flüchtlinge diskutiert wurde. Die Ukraine spricht von 4,1 Millionen Menschen in der Ukraine, die nicht mehr an dem Ort leben, an dem sie vor dem 24. Februar wohnten, dem Tag des russischen Einmarsches. Vereshchuk spricht von einer schwierigen Zeit und dass die ukrainische Regierung nicht die Kontrolle über diese Prozesse verloren habe. Sie suche nach umfassenden Ansätzen, um die Probleme der Menschen während der Binnenvertreibung zu lösen. Diese Probleme gelte es zu identifizieren. Zudem seien die Fachministerien beauftragt sich mit den aktuellen Fragen der Binnenvertriebenen zu befassen. Gleichzeitig betonte die Vizepremierministerin wie wichtig die internationalen Partner und Organisationen seien, die Hilfe leisteten.


Mehr Russen erhalten Visa für Deutschland

Seit Beginn des Ukrainekrieges haben rund zehntausend Russen ein Visum für einen Aufenthalt in der Bundesrepublik erhalten. Rund 3.560 Schengen-Visa und 5.530 nationale Visa, die einen längeren Aufenthalt ermöglichen, seien von Anfang März bis Ende Mai an Russen ausgestellt worden, schreibt die „Welt am Sonntag“ unter Berufung auf das Auswärtige Amt. Neben Geschäftsreisenden und Touristen nutzen auch russische Oppositionelle und Journalisten die Visa.

Mitte Mai hatten sich das Innenministerium und das Auswärtige Amt auf ein schnelleres Verfahren zur Vergabe der Visa geeinigt. Seit dem 18. Mai hat das Bundesinnenministerium nach eigenen Angaben 43 russischen Staatsangehörigen eine Aufnahme aus humanitären Gründen zugesagt. Bis dahin seien es vier gewesen.

Die Bundesregierung wolle zum einen Menschen Schutz gewähren, die als Oppositionelle, Journalisten oder Menschenrechtsverteidiger „aufgrund ihres Einsatzes für Menschenrechte und gegen den Krieg besonders gefährdet sind“, sagte eine Sprecherin von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), zum anderen wolle man Möglichkeiten für russische Journalisten schaffen, aus Deutschland „frei und unabhängig“ zu berichten.


220 ukrainische Verletzte und Erkrankte in deutschen Kliniken

Kliniken in Deutschland haben über das Kleeblattverfahren mehr als 200 Kranke und Verletzte aus der Ukraine aufgenommen. Von insgesamt 620 Hilfeleistungsersuchen auf europäischer Ebene habe Deutschland im Rahmen dieses Verfahrens bereits 220 Patienten zur Behandlung übernommen, sagte ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Samstagausgaben). „Mehr als 50 weitere Patientenübernahmen werden bald (kriegsbedingt teilweise verzögert) abgeschlossen sein.“

Weiter hieß es: Von den 220 übernommenen Patienten „sind 52 ins Kleeblatt Süd gebracht worden, 50 ins Kleeblatt Nord, 44 ins Kleeblatt Ost, 39 ins Kleeblatt West und 35 ins Kleeblatt Südwest“. Die Patientenverlegungen auf EU-Ebene werden demnach über das EU-Katastrophenschutzverfahren organisiert. Die Übernahme von stationär behandlungsbedürftigen ukrainischen Patienten aus den Nachbarstaaten der Ukraine nach Deutschland koordiniere das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe im Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsministerium, dem Robert-Koch-Institut und mit Unterstützung der Bundeswehr.

Der Bund hatte das Kleeblattkonzept nach Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 erarbeitet, zunächst zur bundesweiten Verlegung von intensivpflichtigen Corona-Erkrankten. Seit März 2022 nutzen Bund und Länder das System zur Verteilung von Menschen, die wegen des Krieges in der Ukraine medizinisch behandelt werden müssen.


Lauterbach hält Cholera-Ausbruch in Ukraine für möglich

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat sich besorgt über die Möglichkeit eines Cholera-Ausbruchs in den russisch besetzten Gebieten in der Ukraine gezeigt. „Ein Cholera-Ausbruch wäre sehr bedenklich, wäre katastrophal“, sagte der Minister am Freitag in Lwiw am Rande seines Ukraine-Besuchs der „Bild“. Er wolle keine Ferndiagnose geben, aber: „Die Hygienebedingungen in diesen Städten sind eine Katastrophe und selbst Cholera wäre denkbar.“

Das britische Verteidigungsministeriums hatte zuvor gewarnt, in Mariupol drohe ein Cholera-Ausbruch. Lauterbach kündigte einen massiven Ausbau der medizinischen Hilfe für ukrainische Kriegsopfer an. Bereits jetzt würden im nennenswerten Umfang Patienten aus der Ukraine nach Deutschland ausgeflogen und hier in Spezialkliniken behandelt.

Aber auf einen ausgeflogenen Patienten „kommen vielleicht 1.000, die schwer verletzt sind und die man nicht ausfliegen kann“, so Lauterbach. Deswegen müsse jetzt die Hilfe in die Ukraine kommen. Der Minister brachte 500 Prothesen für Erwachsene und 199 für Kinder mit.

Künftig werde man die Techniker für Prothesen vor Ort ausbilden. Außerdem werde Deutschland bei der Behandlung von Quetsch- und Brandverletzungen helfen. „Wenn das ausgebaut ist, wird das Tausende Patienten betreffen“, versprach Lauterbach, der in Lwiw an einer Geberkonferenz für die Ukraine teilnahm.


Röttgen hält Scholz-Telefonate mit Putin für „schädlich“

Nach der Kritik von Polens Präsident Andrzej Duda an Gesprächen Deutschlands und Frankreichs mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin hat der CDU-Außenexperte Norbert Röttgen die Telefonate sogar als „schädlich“ bezeichnet. „Nach der andauernden und eindeutigen Kriegsabsicht von Putin sind solche Telefonate nicht nur überflüssig, sondern schädlich“, sagte Röttgen der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Samstagausgabe). Diese vermittelten „immer wieder den falschen Eindruck, als gäbe es eine Basis, dass man mit Putin derzeit zu einer Verständigung kommen könnte“, so der CDU-Politiker.

„Der Fehler der deutschen Russland-Politik war über Jahre, dass wir uns von Wunschdenken und nicht von Realitäten haben leiten lassen. Damit sollte jetzt ein für alle Mal Schluss sein“, forderte er. Polens Präsident hatte zuvor bereits kritisiert, dass Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron trotz des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine weiter mit Kremlchef Wladimir Putin Gespräche führen.

Die Situation sei ähnlich wie mit Adolf Hitler im Zweiten Weltkrieg. „Und hat jemand während des Zweiten Weltkrieges auf diese Weise mit Adolf Hitler gesprochen“, hatte Duda gefragt. Röttgen widersprach außerdem der Auffassung von Alt-Kanzlerin Angela Merkel, in der Russland-Politik keine Fehler gemacht zu haben.

„Dass wir uns sehenden Auges in die Abhängigkeit von Energie aus Russland gebracht haben und dass wir die Kriegs- und Gewaltbereitschaft von Putin trotz der klaren Politik seinerseits unterschätzt haben, kann man heute eigentlich nicht mehr bestreiten. Wir haben die einzelnen Stufen der Politik Putins – 2008 der Georgien-Krieg, 2014 die Annexion der Krim, seine Intervention in der Ost-Ukraine 2014 und 2016 den Krieg in Syrien – nicht ernst genommen. Es hat daraus keine Konsequenzen gegeben. Im Gegenteil, wir haben die Abhängigkeit bei der Energie und die militärische Unzulänglichkeit vorangetrieben. Das ist doch der historische Befund“, sagte Röttgen der NOZ.


Ostbeauftragter gegen Ausnahmen beim Ölembargo

Vor der Konferenz der ostdeutschen Ministerpräsidenten mit Kanzler Scholz hat sich der Ostbeauftragte des Bundes, Carsten Schneider (SPD), klar gegen Ausnahmen beim Embargo für russisches Öl ausgesprochen. Er sei gegen Sonderregeln für die Raffinerien in Schwedt und Leuna, die bis Jahresende noch russisches Pipelineöl beziehen, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“ (Samstagausgabe). „Wir haben eine gesamtstaatliche Verantwortung, da kann ich nicht sagen, nur weil ich hier im Osten bin, machen wir nicht mit.“

Es sei unlauter, „mit der Angst der Leute zu spielen und ihnen einzureden, es könnte alles so bleiben wie vor dem Krieg“. „So wie die AfD da auftritt, aber auch in Teilen die Ost-CDU, das ist mir zu reaktionär und zu einfach.“ Zuletzt hatte vor allem Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) den Sinn eines Öl-Embargos angezweifelt.

Schneider sicherte vor dem Treffen am Montag in Mecklenburg-Vorpommern zu, dass der Bund seine politische Verantwortung erfüllen werde: „Die Versorgung in Ostdeutschland muss sichergestellt sein, und zwar in ausreichenden Mengen und zu normalen Preisen.“ Kritik der Linkspartei, das Ölembargo „eine westdeutsche Entscheidung einer personell westdeutschen Regierung“ wies Schneider zurück: „Das ist leider dieser Opfermythos, den die Linke im Osten wider besseres Wissen gern verbreitet. Das ist mir einfach zu billig, dem widerspreche ich entschieden.“

Schneider beklagte zudem die mangelnde Repräsentanz Ostdeutscher in Führungspositionen: „Das ist rational nicht zu erklären.“ Es sei ein großer Fehler, auf die Umbruchserfahrungen Ostdeutscher zu verzichten. „Entscheidungen werden besser, wenn bestimmte Lebenserfahrungen, Biografien und Problemlagen einfließen. … Das Sein bestimmt nun mal das Bewusstsein. Meine Mutter und ich, wir waren Wohngeldempfänger, da hast Du nicht viel Geld, das vergisst du nicht. Und so eine Erfahrung hat man auch präsent, wenn es um Entscheidungen geht.“ Zudem seien Ostdeutsche oft besonders leistungsorientiert.