Hüinghausen | [aktualisiert] | Die Freundinnen Bettina Winkelmeyer und Anne Schulte sitzen an einem Tisch im Dorfladen Hüinghausen und trinken Kaffee. Auf den 90 Quadratmetern Verkaufsfläche, die sie umgeben, findet alles seinen Platz: Von Mode über Bücher, Drogerie- und Baumarktartikeln bis hin zu Lebensmitteln. Vor zwei Jahren schien das noch unmöglich. Sechs Kilometer war der nächste Supermarkt entfernt. Doch anstatt zu jammern, fassten Winkelmeyer und Schulte sich ein Herz, entwarfen die Idee vom ehrenamtlich geführten Dorfladen und veränderten damit das Leben des sauerländischen 1.000-Seelen-Dorfs.

Die 31-jährige Schulte und die 51-jährige Winkelmeyer gründeten eine Genossenschaft und wurden Vorstandsmitglieder. Ehrenamtlich kümmern sie sich darum, dass der Laden sich selbst tragen und monatlich 20.000 Euro umsetzen kann. Sie machen das nebenbei. Hauptberuflich führt Schulte mit ihrem Mann eine Klempnerei und Winkelmeyer arbeitet als Floristin. „Wir machen das nicht wegen des Geldes, sondern damit es sich wieder lohnt, hier zu wohnen“, sagt Schulte. „Im Kindergarten und in der Grundschule von Hüinghausen war es zunehmend ein Problem, die Gruppen oder die Klassen voll zu kriegen.“

Durch den Dorfladen wächst in Hüinghausen der Zusammenhalt

Jeder fünfte Einwohner Hüinghausens wurde inzwischen Mitglied in der Genossenschaft. So konnten Anteilsscheine in Höhe von insgesamt 20.000 Euro ausgegeben und die Eröffnung des Dorfladens im Juli diesen Jahres finanziert werden. Die örtlichen Handwerker bauten die ehemalige Bankfiliale ehrenamtlich in den Tante-Emma-Laden um und die Vorstandsmitglieder Schulte und Winkelmeyer erstellten zusammen mit einem Rechtsanwalt und dem pensionierten Bankdirektor aus dem achtköpfigen Aufsichtsrat die Satzung. „Jeder trägt seinen Anteil. So wächst im Dorf auch wieder der Zusammenhalt“, sagt Schulte.

Ganz ohne bezahlte Kräfte kommt aber auch der Dorfladen nicht aus. Der 61-jährige Kassierer Michael Hammer arbeitet auf 400-Euro-Basis. Der seit einem Jahr pensionierte Feuerwehrbeamte wohnt seit 35 Jahren vis à vis und freut sich, dass er zum Erfolg des Tante-Emma-Ladens beitragen kann. Als der 27-jährige Sven Donker aus dem drei Kilometer entfernten Nachbardorf Bremcke bei seinem ersten Besuch im Dorfladen Margarine, Spaghetti und Butter einkauft, gibt der fast zwei Meter große Hammer ihm augenzwinkernd mit auf den Weg: „Wir sehen uns wieder. Aber dann machst du den Korb voll“.

Dann lacht der Hüne, der ein kariertes Hemd und eine Schürze mit der Aufschrift „Dorfladen“ trägt, und sagt: „Jeder kriegt von mir noch einen Spruch gratis mit dazu.“ Die Leute kämen ja nicht nur wegen des Einkaufs, sondern auch wegen des Klönens. Deshalb komme an jedem Donnerstagmorgen selbst eine 83-jährige Frau mit Rollator in den Laden, um sich die regionale Spezialität, eine warme Fleischwurst mit Senf im Brötchen, abzuholen.

Die 30-jährige Nadja Jentsch, die am Samstagmorgen selbst ehrenamtlich in dem Laden arbeitet, genießt es, dass sie jeden Mittag auf dem Rückweg vom Kindergarten mit dem dreijährigen Tom im Dorfladen einkaufen kann. „Das ist unser tägliches Ritual“, sagt sie und lacht. „Jetzt müssen wir endlich nicht mehr für jede Kleinigkeit mit dem Auto zum Einkaufen fahren.“ Eine 68-jährige Rentnerin freut sich, dass sie „hier immer so nette Leute trifft“. Beim vergangenen Einkauf habe sie sogar eine alte Schulfreundin getroffen.

Details sind in so einem Tante-Emma-Laden besonders wichtig

Der herzliche Umgang hat auch für die Vorsitzende Anne Schulte eine besondere Bedeutung. Die einzige bezahlte Vollzeitkraft sei nach zweimonatiger Probezeit gekündigt worden, weil er genau dieses Profil nicht erfüllte. „Er war zu schroff“, begründet sie. „Das Wichtigste ist der Tratsch. Deshalb haben wir jetzt eine Frau eingestellt, die herzlicher ist und besser auf die Probleme der Leute eingeht.“ Die Details seien in so einem Tante-Emma-Laden eben besonders wichtig.

Deshalb sorgt Schulte auch dafür, dass auf einem Stehtisch im Eingang kostenlos wohlriechende Lebensmittel zum Probieren stehen. Eine Hausfrau stellt dort ein Glas Aprikosen-Chili-Chutney und der Dorf-Imker eine Wabe Honig zur Verkostung bereit. Daneben liegen Löffel, Brot und ein Zettel mit dem Rezept für das Aprikosen-Chili-Chutney. Auch die Kaffeetheke weiter rechts neben dem Eis und den Gewürzen laden zum Verweilen ein.

Das einzige Manko an der persönlichen Atmosphäre ist, dass die Drogerieartikel hinter der Kaffeetheke keinen Absatz finden. „Die Kondome gehen nicht so gut und von den Schwangerschaftstests haben wir erst einen verkauft“, sagt Schulte und lacht. „Die kaufen sich die Leute wohl eher im anonymen Supermarkt.

Autor: Jean-Charles Fays, dapd | Foto: Gudrun/fotolia
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