Köln | Im Rahmen des neunten Zeitzeugenaufenthalts des Maximilian-Kolbe-Werk sind zwölf polnische KZ-Überlebende bis zum 1. Juli zu Besuch in Köln. Während des zweiwöchigen Aufenthalts besuchen sie unter anderem Kölner Schulen und berichten Kindern und Jugendlichen von ihren persönlichen Erfahrungen in der Zeit der NS Diktatur. Bürgermeisterin Angela Spizig empfing die Gäste heute im Kölner Rathaus.

Das Maximilian-Kolbe-Werk ist ein Hilfswerk für Überlebende nationalsozialistischer Konzentrationslager und Ghettos. Seit 1973 trägt es mit seiner Arbeit zur Verständigung und Versöhnung zwischen Deutschland und Polen und anderen Ländern Mittel- und Osteuropas bei. Bereits zum neunten Mal betreut Gisela Multhaupt vom Maximilian-Kolbe-Werk in Köln das Zeitzeugenprojekt. Für viele der Gäste ist der Besuch in Köln der erste Kontakt mit dem „Land der Täter“.

Der Aufenthalt in Köln dient dazu, der Stadt und der Kultur auf neue Art zu begegnen. Museumsbesuche sowie eine Stadt- und Panoramarundfahrt auf dem Rhein stehen unter anderem auf dem zweiwöchigen Programm. Viele Gäste erzählen, dass es ihnen in Köln gut gefalle und sie dem Veranstalter für seine Arbeit dankbar seien. Bestandteil des Projekts ist auch der Besuch von verschiedenen Kölner Schulen. Dort führen die polnischen KZ-Überlebenden Zeitzeugengespräche mit Kindern und Jugendlichen und berichten von ihren schlimmen Erfahrungen. „Ich sehe sehr großes Interesse der deutschen Schüler und dass sie die Sache sehr ernsthaft behandeln. Ich denke, dass ich eine gute Mission erfülle, wenn ich über meine Erfahrungen mit dem deutschen Volk spreche“, erzählt Halina Brzozowska-Zduńczyk aus Warschau. Bürgermeisterin Angela Spizig bezeichnete den Besuch der KZ-Überlebenden als großes Zeichen des Vertrauens. „Fast alle sind über 80 und setzen sich mit den Schülern auseinander – das ist großartig“, so die Bürgermeisterin.

„Ich sollte sterben, mein Loch war schon geschaufelt“

Die Überlebenden der Konzentrationslager in Polen haben Schlimmstes durchlebt und teilen ganz unterschiedliche Schicksale. Mit Tränen in den Augen erzählt Jan Zięba seine Geschichte. Zwei Jahre und drei Monate lang war er im KZ in Potulice untergebracht. Dort wurde er mit seinem Vater und seinen drei Brüdern im Alter von 1, 12 und 14 hingebracht. Seine Mutter war zu dem Zeitpunkt bereits verstorben. Er selbst war 8 Jahre alt. „Wollen Sie wissen, was wir zu essen bekommen haben? Die Schweine hatten besseres Essen als wir. Das war ganz schlimm“, so Jan Zięba. Irgendwann wurden sie ins KZ im polnischen Reichshof gebracht. Dort wurde sein Vater erschossen. Zu dem Zeitpunkt war Jan sehr krank. So krank, dass auch er getötet werden sollte. „Mein Loch war schon geschaufelt. Aber ein deutscher Wehrmachtssoldat hat mir eine Spritze gegeben. Nur deshalb habe ich überlebt. Ich hatte sehr großes Glück“, erzählt er. Nach Kriegsende kam Jan mit seinen jüngeren Brüdern in ein Kinderheim in der Tschechoslowakei. Sein älterer Bruder ging zum Militär. Als 1946 alle Ausländer das Land verlassen mussten, kehrten sie zurück nach Polen. Dort fand er seine Tante und seine Oma wieder. Er erzählt: „Ich kam zum Hof und sah meine Oma, wie sie die Hühner fütterte. Sie war auf den Knien, schaute zu mir hoch und fragte ‚Wo sind deine Brüder?‘. Ich sagte ‚Sie sind am Bahnhof und passen auf unser Gepäck auf. Sie haben überlebt‘. Ich ging zur Schule, lernte einen Beruf und heiratete – ich hatte dann ein ganz normales Leben“.

„Man musste neu lernen zu leben“

Auch Halina Brzozowska-Zduńczyk hat Schreckliches erlebt. Sie war 12 Jahre alt, als ihre Familie am 12. August 1944 während des Warschauer Aufstands aus ihrem brennenden Haus getrieben wurde. Halinas Eltern und ihr älterer Bruder wurden als Zwangsarbeiter nach Oranjenburg gebracht, sie selbst kam mit ihrer siebenjährigen Schwester in das Konzentrationslager in Auschwitz. „Ab dem Moment war ich für meine Schwester verantwortlich. Ich war wie ihre Mutter, war mit 12 Jahren auf einmal erwachsen“, sagt sie. Nach ihrer Befreiung durch die sowjetischen Truppen am 27. Januar 1945 kehrten sie zurück zu ihrer Tante in der Nähe von Warschau. Dort trafen sie auch ihre Eltern und ihren Bruder wieder. „Meine Schwester und ich sind Mitte Februar zu unserer Tante zurückgekehrt. Unsere Eltern kamen aber erst im Mai. Als wir getrennt wurden, wusste keiner, wo der andere hingebracht wurde. Das Schlimmste war, dass ich schon fast nicht mehr daran geglaubt habe, dass sie noch leben. Am Anfang war es große Verzweiflung und dann war es große Freude“, so Halina. „Und jetzt musste man neu lernen, zu leben“.

Autor: Yasmin Berkenbrink
Foto: Zwölf polnische KZ-Überlebende und Gisela Multhaupt vom Maximilian-Kolbe-Werk im alten Kölner Rathaus.