Köln | Die Deutzer Werft ist ein rotes Fahnenmeer türkischer Fahnen. Einige Schwarz-Rot-Goldene Fahnen sind auch darunter, aber wenige. Es sind 20.000 Menschen gekommen, mehr als der Veranstalter die Union Europäisch Türkischer Demokraten (UETD) angemeldet hat. „Pro NRW“ durfte durch eine Auflage der Polizei – entgegen der Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Köln und OVG Münster – nicht durch Stadt ziehen. Am Ende wurde die Veranstaltung von der Polizei aufgelöst. Die Demonstration von „Köln gegen Rechts“ zog an den Hauptbahnhof und die Jugendorganisationen von Jusos, Linksjugend, Grüne Köln und Julis Köln demonstrierten am Heumarkt. Die Zusammenfassung vom Tag.
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Bilder der Pro Erdogan Kundgebung auf der Deutzer Werft >
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Mehr Fotos von den Demonstrationen in Köln >
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Rund um die Deutzer Brücke geht seit den frühen Morgenstunden nichts mehr

Die Polizei hat die Brücke, bis auf den KVB-Verkehr komplett abgeriegelt. In beide Fahrtrichtungen sind Wasserwerfer, im Rechtsrheinsichen Köln auch Räumfahrzeuge postiert. Es bleibt lange Zeit völlig ruhig bis etwa 13:30 Uhr. Sowohl im linksrheinischen, wie rechtsrheinischen Köln fragen Touristen schon, wo denn nun die Demonstrationen bleiben. Und dann waren plötzlich alle da. Wer auf das Gelände der UETD als Journalist will, der muss sich einer Leibesvisitation unterziehen. Die Sicherheitskräfte sprechen von Hausrecht – für eine Veranstaltung nach dem Versammlungsgesetz und Artikel 8 des Grundgesetzes eine interessante Haltung.

Die Veranstaltung läuft unter einem neuen Label der „Plattform für Demokratie gegen Staatsstreich“. Auch ein Logo ziert die Pressemappe, die man auf dem Gelände bekommt. Eine Liste nennt 102 Organisationen, die das Papier „mitveranstaltende NGO´s“ nennt. Darunter Organisationen wie die „Avrupa Türk Birliği“ die für einen stärker islamisch und islamistisch orientierten Teil der „Grauen Wölfe“ gelten, die auch als rechtsradikal gelten. Aber auch linksgerichtete Organisationen wie die Türkiye Gençlik Birliği finden sich auf der Liste, die als kemalistische und antiimperialistische türkische Jugend- und Studentenorganisation gilt. Die DITIB also die Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion ist ebenfalls gelistet. Sie ist allerdings kein NGO, denn der Verband untersteht der dauerhaften Leitung, Kontrolle und Aufsicht des staatlichen Präsidiums für Religiöse Angelegenheiten der Türkei, das dem türkischen Ministerpräsidentenamt angegliedert ist. Milli Görüş steht auf der Liste, der das Bundesamt für Verfassungsschutz noch im Jahr 2013 ein antidemokratisches Staatsverständnis unterstellt.

Veranstalter hält sich nicht an Auflage des Bundesverfassungsgerichts

Gegen 13:30 Uhr sei ein Parlamentspolitiker aus der Türkei auf den Videoleinwänden live eingespielt worden, stellt die Kölner Polizei fest. Liveschaltungen in die Türkei wurden aber von der Polizei Köln untersagt und das Verbot vom Bundesverfassungsgericht so bestätigt. Man habe, so Polizeipräsident Mathies, die Schaltung sofort unterbunden. Der türkische Sportminister Akif Cagatay Kilic kritisierte, dass der türkische Staatspräsident nicht mit einer Videobotschaft zugeschaltet werden durfte und zog damit die Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts in Zweifel. Er sprach auch davon, dass türkische Staatsangehörige in Deutschland keine zwei Staatsbürgerschaften haben dürfen und die Türkei im Gegensatz zu anderen Ländern ungleich behandelt werde. Das ist de facto falsch, zumindest für alle in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Kinder. Sie können beide Staatsangehörigkeiten führen und müssen sich seit 2014 nicht mehr mit 23 Jahren für eine entscheiden.

Die Veranstaltung begann um 15:00 Uhr mit dem Abspielen der türkischen und deutschen Staatshymne. Es folgte eine Schweigeminute für die Opfer des Militärputsches in der Türkei. Eine Deklaration wurde auf Türkisch und Deutsch verlesen. Man verurteilt darin den Militärputsch in der Türkei und lobt die Menschen, die sich in dieser Nacht den Panzern entgegengestellt haben, sieht sich darin als Vorbild für die gesamte Welt. Deutlich kritisiert man die westliche Medienberichterstattung, spricht allgemein von einseitiger und voreingenommener Berichterstattung. In der Deklaration heißt es auch, „dass alle Verantwortlichen und Unterstützer dieses Putschversuches im Rahmen rechtsstaatlicher Grundsätze ihre gerechte Strafe vor der türkischen Justiz erhalten“. Später, so berichtet es der „WDR“ wurden Rufe nach der Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei auf der Deutzer Werft laut. Noch am Freitag hatte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ angekündigt, dass die Türkei ein Referendum über die Wiedereinführung der Todesstrafe durchführen will. Neben dem Sportminister, sprachen Journalisten und Angehörige eines Toten des Putsches. Es wurde eine Erklärung Erdogans verlesen und die Deklaration des türkischen Nationalparlamentes nach dem Putsch. Die Veranstaltung wurde gegen 18:30 Uhr beendet. Die Polizei bescheinigte ihr einen friedlichen Verlauf. Auf dem Gelände viele Erdogan-Porträts, teils überdimensional groß. Auch die Tafeln, die in die Höhe gereckt wurden priesen Erdogan als Demokraten oder „Stimme des Volkes Erdogan“. Auch der Name des türkischen Staatspräsidenten wurde immer und immer wieder skandiert, wie auch „Tekbir Allahu Akbar“.

Die rechte Demonstration von „pro NRW“

Es regnet in Strömen als am Hauptbahnhof die ersten Rechten eintreffen. Von der Domtreppe aus sieht man ein Carré das die Kölner Polizei aus Absperrgittern und Polizeifahrzeugen aufgebaut hat. Zugang nur über die B-Passage des Kölner Hauptbahnhofes und einen schmalen Seitenzugang. Die Rechten müssen über die B-Passage. Dort folgen zwei Zelte, in denen sie gefilzt werden. Man empfindet das als Schikane. Polizeisprecher Frank Scheulen spricht später davon, dass einige der Rechten passiv bewaffnet gewesen seien. Dies habe man bei der Durchsuchung in den Zelten festgestellt. So sei Pfefferspray gefunden worden. Der Leitende Polizeidirektor Klaus Rüschenschmidt fügt später hinzu, dass auch Handschuhe, die mit Quarzsand gefüllt seien, gefunden wurden. Die Visitationen dauern lange, der Beginn der Veranstaltung verzögert sich so. Neben der Anmelderin Ester Seitz, die einmal in einem Interview sagte, sie wolle der Bachmann von Westdeutschland werden, sprach auch der „Pro NRW“ Vorsitzende Markus Beisicht. Es dürften rund 200 Rechte und vor allem auch Hooligans gekommen sein. Darunter auch Anhänger der Partei „Die Rechte“ aus Dortmund, wie Siegfried Roland Borchardt, auch genannt „SS Sigi“. Mitglieder der „Identitären Bewegung“, darunter auch Melanie Dittmer, die einst die „Kögida“-Kundgebungen in Köln angemeldet hatte, sind gekommen.

Die Rechten rufen „Deutschland den Deutschen. Ausländer raus.“, „Merkel muss weg“ und sehr häufig „Lügenpresse halt die Fresse“. Auch versuchen einige Kundgebungsteilnehmer immer wieder die Pressearbeit zu behindern, in dem sie Schirme oder Transparente vor Kameras halten. Die Kölner Polizei schreitet dagegen ein und macht den Rechten deutlich, dass die Pressearbeit nicht behindert werden dürfe. Interessant ist, dass Markus Beisicht die Einigkeit zwischen den Rechten beschwört. Um 15:11 Uhr mahnt Beisicht die Teilnehmer keine strafbaren Handlungen vorzunehmen, die unter den Paragraf 86a – das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen – fallen oder Alkohol zu konsumieren. Sonst werde die Versammlung von der Polizei aufgelöst. Beisicht ist außer sich. Zu diesem Zeitpunkt gehört der Bahnhofsvorplatz den Rechten. Vereinzelt treffen linke Gegendemonstranten ein, aber es werden immer mehr. „Köln gegen Rechts“ hat seine Gegenkundgebung aus der Südstadt mit einem Zwischenstopp am Heumarkt an den Bahnhofsvorplatz geführt. Polizeisprecher Scheulen erklärt später, aus polizeilicher Sicht habe nichts dagegen gesprochen, denn „Köln gegen Rechts“ sei immer sehr kooperativ gewesen und daher habe es keine Risiken gegeben den Versammlungsaufzug bis zum Bahnhofsvorplatz und später bis zu seiner Auflösung auf den Rudolfplatz zu führen, auch wenn das so im Vorfeld nicht abgesprochen gewesen sei.

Die Veranstalter von Köln gegen Rechts resümieren: „Unter dem Motto „Weder  Putsch noch  Diktatur unterstützen wir – Für Demokratie, Gleichheit, Freiheit und Solidarität hier und in der Türkei“, startete am Sonntag um 12:30 h die Demonstration  von „Köln gegen Rechts – Antifaschistisches  Aktionsbündnis“, gegen den Aufmarsch der  AKP-/Erdogan-AnhängerInnen, und gegen die Kundgebung der extrem rechten „Bürgerbewegung Pro NRW“. Die anfänglich ca. 600 TeilnehmerInnen zogen zunächst zum Heumarkt, wo eine Zwischenkundgebung bei der Kundgebung der Jugendorganisationen der Parteien abgehalten wurde. Anschließend zog die Demonstration zum Bahnhofsvorplatz in Sichtnähe zur „Pro NRW-Kundgebung. Bei Ankunft am Bahnhof war die Demonstration auf ca. 1300 Menschen angewachsen. Mit einer lautstarken Anlage, Sprechchören, Tanzeinlagen und kurdischer Live-Musik wurde die Neonazi-Kundgebung erheblich beeinträchtigt.“

Bei „Pro NRW“ ist mittlerweile Karl Richter mit einer schnarrenden Stimme auf dem Podium. Richter ist Münchner Stadtrat für die NPD und der Münchner Bürgerinitative Ausländerstopp aktiv. Richter spricht von den Deutschen als dem Schicksalsvolk in der Mitte Europas, dass sich zu neuer Kraft verjüngen werde oder dem deutschen Volkskörper und dem heiligen deutschen Rhein. Die Hooligans aus Dortmund stellen sich derweil schon einmal auf, sie wollen losziehen, rufen Au, Au. Daraus wird aber nichts. Die Kölner Polizei verfügt eine Standkundgebung aus ihrer fortwährenden Beurteilung der Sicherheitslage. Das will Ester Seitz, die Anmelderin, nicht akzeptieren, putscht die Anwesenden auf und spricht von Unrecht. Schließlich fordert sie die Teilnehmer auf, sich zu einem Demonstrationszug zu formieren. Damit verstößt sie gegen die Auflagen der Polizei. Die Stimmung ist aufgeheizt, die Hooligans in vorderster Reihe rufen „Hier marschiert der nationale Widerstand“ und schreien die Polizeibeamten an: „Wo wart ihr an Silvester“. Die Gegendemo macht die ganze Zeit viel Lärm und spielt den Ärzte-Song „Schrei nach Liebe“. Es ist 15:59 Uhr als Seitz zum „Spaziergang“ auffordert. In der Folge macht die Polizei bis 16:50 Uhr fast zehn Durchsagen und fordert die Teilnehmer der „Pro NRW“-Kundgebung auf, den Platz zu räumen. Viele kommen dem nach, rund 50 Hooligans sind standhaft. Manche setzen sich hin. Es folgt der Hinweis ein Sonderzug stehe auf Gleis 1 des Hauptbahnhofes bereit. Immer wieder liest die Polizei die Auflösungsverfügung vor und droht mit der Räumung um 16:50 Uhr. Dann wenden die Beamten den unmittelbaren Zwang an und drängen die verbliebenen 30 Hooligans in den Bahnhof. Ein Hooligan lässt sich tragen. Es kommt im Bahnhof noch zu kleineren harmlosen Scharmützeln oder Wortgefechten und der ein oder andere Hooligan nutzt die Gelegenheit mit Freunden ein Selfie vor den Fünferreihen der Polizei zu machen. Kurz nach 17 Uhr ist Bahnhofsvorplatz leer. Polizeisprecher Scheulen erklärt die Auflösungsverfügung mit dem Zeigen des Hitlergrußes, den betrunkenen Teilnehmern, dass sich einige nicht an das Glasverbot gehalten hätten, wie der schon genannten Passivbewaffnung und vor allem weil die Anmelderin, sich nicht an die Auflage einer Standkundgebung gehalten habe und die Teilnehmer aktiv aufforderte einen Umzug zu starten.

Die anderen Gegenveranstaltungen verliefen sehr ruhig, gibt die Polizei später bekannt. Am Heumarkt gerieten einmal kurzzeitig 120 Kurden mit türkischen Demonstranten aneinander. Die 2.700 Beamten, die man eingesetzt hatte, seien richtig kalkuliert gewesen, so die Kölner Polizei. Die Stadt Köln hat eine Erklärung von Oberbürgermeisterin Henriette Reker verschickt: „Ich bin erleichtert, dass dieser Demonstrationssonntag weitestgehend friedlich geblieben ist. Mit einem Riesenaufgebot von Polizeikräften von über 2.800 Polizistinnen und Polizisten sind schon im Vorfeld klare Signale an alle Demonstranten und Organisatoren gerichtet worden. Das hat letztlich zu einem weitestgehend geordneten und gewaltfreien Verlauf geführt.“

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Alle Berichte bei report-K zu den Demonstrationen am 31. Juli in Köln

Die Demonstrationen im Liveblog:

Liveblog zu den Demonstrationen am 31.7. in Köln >

Die Vorberichterstattung – Demonstrationen am 31.7. in Köln:

Der aktuelle Stand zu den Demonstrationen am Sonntag in Köln, 30.7., bis 23:15 Uhr >

Die Rechtspopulisten von „Pro NRW“ dürfen morgen durch die Kölner Innenstadt ziehen – das OVG Münster bestätigt das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln >

Sorge vor Kölner Großdemonstration: Das sagt die deutsche Politik >

„Erdowahn stoppen“ – der Protest der Jugendorganisationen >

Der Verkehr am Sonntag

Zur Verkehrssituation rund um die Demonstrationen >

Das sagt die Polizei

Die ersten Informationen der Kölner Polizei vom 26. Juli zu den geplanten Demonstrationen >

Pressekonferenz am 29.7.: Die Polizei Köln rechnet mit rund 30.000 Teilnehmern bei der Pro Erdogan Demonstration >

Die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Köln zu den Verfügungen und Auflagen der Polizei:

1. Entscheidung: Auf der türkischen Kundgebung darf eine Videoleinwand aufgebaut werden >

 2. Entscheidung: Das Verwaltungsgericht Köln gestattet Demonstrationszug von „Pro NRW“ durch die Kölner Innenstadt – Wer unterstützt die Rechtspopulisten >

Kommentar

Kommentar der Redaktion zur Diskussion um die Versammlungsfreiheit >

Autor: Andi Goral
Foto: Ein Hooligan wird von der Polizei weggetragen, der sich nicht an die Anordnungen halten wollte