Köln | Die Stadt Köln hat bald fertig. Die Zufahrtstraße vom Alten Deutzer Postweg zum „Millionenacker“ in Köln-Ostheim, der bald Waldbadviertel heißen wird und tausenden Menschen eine neue Heimat werden soll, ist fast vollendet. Das städtische Wohnbauunternehmen GAG baut. Die Straße führt durch den ehemaligen Schießplatz. Hochbelastet mit Blei und anderen Schwermetallen. Unsaniert. Wer sich dort umsieht, watet durch meterdicke zerbrochene Tonscheiben, Bleikügelchen und Munitionsreste. Wohnen neben einer giftigen Altlast, die Prospekte des Investors GAG sprechen eine andere Sprache. Ein Artikel von Ch. Seichtum

Werfen wir einen Blick zurück – der Millionenacker

In Köln-Ostheim rollen derzeit im Auftrag der GAG Immobilien AG die Bagger und erschließen den Baugrund für das sogenannte Waldbadviertel. Mit dem Bau der neuen Wohnsiedlung endet zunächst der erste Akt einer unrühmlichen Kölner Provinzposse. Im Jahr 1966 schloss die Stadt Köln mit dem Eigentümer des Ackers einen Erbpachtvertrag, um das 145.000 m² große Gelände städtebaulich zu erschließen. Geplant war am Standort unter anderem der Krankenhaus-Neubau zur Umsiedlung des evangelischen Krankenhauses Köln-Kalk. Da aber alle Bauprojekte nicht realisiert werden konnten, blieb die Stadt Köln Jahr für Jahr auf Pachtzahlungen sitzen. Insgesamt hat die Stadt und damit die Kölner Bürgerschaft fast 17 Mio. Euro an den Eigentümer und dessen Erben bezahlt. Daher nennen die Ostheimer Bürger die Brache seit Jahr und Tag nur den „Millionenacker“.

Das Waldbadviertel kündigt sich an

Umso erfreulicher ist es, dass die stadteigene GAG auf der Brache ab September 2012 das Waldbadviertel mit insgesamt 240 Einfamilienhäuser sowie 450 Mietwohnungen bauen wird. Das Investitionsvolumen beträgt laut Angaben der GAG 80 Mio. Euro. Eine Größenordnung, die auch für eine Millionenstadt wie Köln nicht an der Tagesordnung ist. Köln ist als boomende Großstadt in besonderem Maße darauf angewiesen, dass auch für kinderreiche Familien und für Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen Wohnraum zu erschwinglichen Mieten zu Verfügung steht. Aus diesem Grund werden auch 25% der geplanten Mietwohnungen mit öffentlichen Mittel gefördert. Mit der Fertigstellung des Bauprojekts wird für 2017 gerechnet. Dann werden ca. 1.500 Bewohner das Waldbadviertel ihre neue Heimat nennen.

Eine Gartenstadt mit grüner Lunge?

Namensgebend für das Bauprojekt ist der als Waldbad bezeichnete öffentliche Badesee im benachbarten Stadtteil Köln-Vingst, der westlich an das Baugebiet angrenzt. Im GAG-Mietermagazin 01/2011 wird das Viertel als „Zentrumsnahe Gartenstadt“ beschrieben: „Modernes Wohnen mitten in der Natur – diesem Anspruch
wird das Waldbadviertel vollauf gerecht. Es ist als moderne „Gartenstadt“ mit vielen Grünzonen angelegt. Gleichzeitig ist das neue Viertel an die benachbarteSaarsiedlung, das Naturfreibad, die Freifläche im Norden und den Wald im Süden und Westen angebunden, so dass das Wohngebiet eine grüne Lunge erhält.“ Das Waldbadviertel scheint damit der Traum eines jeden Häuslebauers und junger Familien zu sein: idyllisches Wohnen in einer grünen Oase inmitten der hektischen Großstadt Köln.

Ein bleischweres Problem

So weit so schön die Hochglanzprospekte. Aber wo ist der Haken an der Geschichte und warum könnte sich das Bauprojekt zum Millionengrab für den Steuerzahler entwickeln? Die Antwort ist so simpel wie schwergewichtig: Blei. Im Süden grenzt das Waldbadviertel an den ehemaligen Kölner Tontauben-Schießplatz (Adresse: Alter Deutzer Postweg), der von 1955 bis 2006 über 50 Jahre in Betrieb war. Aufgrund der jahrzehntelangen Nutzung sind sowohl der Schießplatz als auch der daran angrenzende Wald hochgradig mit Bleischrot und giftigen Bleiverbindungen belastet. Beseitigt man das dem Waldboden aufliegende Laub, so stößt man auf eine dichte Lage von verwittertem Bleischrot. Bei einer Stichprobe konnten mit Hilfe eines Handfegers ca. 800 g Bleischrot pro m² Waldboden geerntet werden. Da jedoch viele Bleikügelchen über die Jahre durch Bodenorganismen und Regen in tiefere Schichten verlagert worden sind, liegt die Gesamtmenge Blei pro m² wenigstens in den Belastungszentren, dort wo die abgeschossenen Tontauben mit der Munition zu Boden gingen, deutlich darüber. Auf dem Schießplatz in Köln-Ostheim dürften damit zwischen 15 und 35 Tonnen Bleischrot liegen, die sich auf einer Fläche von ca. 2,5 bis 4 Hektar verteilen.

Bleibelastung auf Schießplätzen – ein bekanntes Problem nur anscheinend nicht in Köln

Wenn auf Schießplätzen mit Bleischrot auf Tontauben geschossen wird, dann wird das giftige Schwermetall in der Regel über eine Fläche von mehreren Hektar verteilt. Abhängig von der Nutzungsintensität und -dauer sind Schießplätze im Durchschnitt mit Bleimengen zwischen 10 und 100 Tonnen belastet. Die Umweltministerkonferenz der Bundesländer befasste sich schon 1998 mit diesem Thema und legte die Studie „Bodenbelastungen auf Schießplätzen – Bericht der UMK-Arbeitsgruppe als Material für Verwaltungsmaßnahmen“ vor. Auf dem Schießplatz in Köln-Ostheim landeten die Bleikügelchen hauptsächlich in einem Mischwald, der unmittelbar an das Waldbadviertel grenzt. Im Waldboden waren und sind die Bleischrote der Verwitterung ausgesetzt. Dabei entstehen giftige und krebsverdächtige Bleiverbindungen, die in den Boden einwandern und so eine Gefahr für Mensch und Umwelt darstellen. Auf Schießplätzen beträgt der Anteil
giftiger Bleiverbindungen im Boden regelmäßig zwischen 10.000 und 30.000 mg pro kg Boden. In der Fachliteratur werden sogar Bodenbelastungen zwischen 70.000 und 140.000 mg Bleiverbindungen pro kg beschrieben. Der Bleigehalt der Böden von Schießplätzen erhöht sich auch nach deren Schließung durch die fortschreitende Verwitterung der Bleischrote. Zum Vergleich: Die Bleiwerte von durchschnittlich belasteten Böden liegen in deutschen Großstädten zwischen 150 und 400 mg/kg.

Stadt Köln ignoriert Bürgerfragen

Da Blei und Bleiverbindungen ein erhebliches Gesundheitsrisiko darstellen und vor allem Kinder gefährdet sind, hat der Gesetzgeber Prüfwerte für Böden festgelegt. Im Bundesbodenschutzgesetz werden für Blei folgende Prüfwerte angegeben (mg/kg Boden): Kinderspielflächen 200, Wohngebiete 400, Park- und Freizeitanlagen 1.000. Diese Prüfwerte werden in der Regel bundesweit auf allen Schießplätzen um ein Vielfaches überschritten.  Am 8.3.2012 beantwortete die Stadt Köln eine Anfrage von Report-k.de zu Bodenbelastungen des Schießplatzes in Ostheim. Zur Frage wie hoch die Belastungen seien, schreibt die Stadt: „Dem Umwelt- und Verbraucherschutzamt ist die Höhe der Bodenbelastung im Bereich des Schießplatzes und im Bereich der geplanten Straße bekannt. Eine flächendeckende Untersuchung wird noch erfolgen.“

Auf dem rechtsgültigen Bebauungsplan zum Waldbadviertel vom 23.03.2011, der auf der Fläche des ehemaligen Schießplatzes lediglich für die Zufahrtstraße zum Waldbadviertel geändert wurde, ist nicht erkenntlich, dass es sich bei dem Schießplatz um ein Altlastengebiet handelt. Eine Recherche von Report-k.de beim Lanuv (Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen), ergab, dass auch dort der Schießplatz nicht als Altlast bekannt ist. Gleichwohl andere Schießplätze in NRW kartiert und untersucht werden. Der Kölner Schießplatz am Alten Deutzer Postweg wird aber nicht mehr untersucht, da dort der Schießbetrieb 2006 eingestellt wurde.

Obwohl den zuständigen Behörden der Stadt Köln seit Jahrzehnten bekannt ist, dass der Schießplatz in Köln-Ostheim eine altlastverdächtige Fläche ist, wurde in den vergangenen Monaten die zentrale Erschließungsstraße für das Waldbadviertel ohne vorhergehende Bodensanierung quer durch das Belastungszentrum des
Schießplatzes gebaut. Zur Sanierung schreibt die Stadt: „Eine Entscheidung, ob und wie der Boden saniert werden muss, kann erst nach Abschluss der Untersuchung erfolgen. Unabhängig von den anstehenden Untersuchungen wird das Gelände kurzfristig gegen unbefugten Zutritt gesichert“. Das Verhalten der Stadt Köln führt jede Bürgerbeteiligung ad absurdum, monieren engagierte Bürger aus dem Veedel, denn bei der Bürgerbeteiligung zum Bau des Waldbadviertels haben zahlreiche Bürger und Bürgerinnen Fragen zur Sanierung des mit Bleischrot kontaminierten Schießplatzes an die Stadt Köln gerichtet. Die konkreten Anfragen, so die Bürger, wurden von den zuständigen Stellen der Stadt Köln bis zum heutigen Tag nicht hinreichend beantwortet oder aber schlichtweg ignoriert, die Straße aber bereits gebaut.

Ein Krötentunnel zur Bleigrube

Die Bürger, die den Straßenbau interessiert verfolgt haben, befürchten nun, dass durch die durchgeführten Baumaßnahmen die kontaminierten Böden in bislang unbelastete Bereiche des Schießplatzes und darüber hinaus verfrachtet wurden. Sollte nun die von der Stadt Köln angekündigte Untersuchung zum Ergebnis kommen, dass eine Sanierung erforderlich sei, würden die Kosten für eine geordnete Sanierung erheblich steigen. Zudem wurde der beim Bau der Erschließungsstraße angefallene mit Blei belastete Aushub links und rechts der Straße zu künstlichen Böschungen aufgeschüttet. Bei Starkniederschlägen, ist zu befürchten, dass die belasteten Böden nun in die Versickerung des Entwässerungsgrabens gespült werden, sodass die giftigen Bleiverbindungen von dort direkt ins Grundwasser gelangen könnten. Bei so viel herumliegenden Blei zeigen sich die Bürger irritiert, dass aus Gründen des Naturschutzes unterhalb der Erschließungsstraße ein Krötentunnel angelegt wurde, um wandernde Kröten und kleinere Säugetiere vor dem Straßentod zu bewahren. Der Krötentunnel endet auf beiden Straßenseiten in den am stärksten mit Blei belasteten Teil des Waldes. Auch so kann Naturschutz aussehen. Aber Krötentunnel machen sich gut in Prospekten auf Naturpapier zur Corporate Responsibility, kommentiert ein Anwohner.

Ehemaliger Schießstand – Betreten verboten!

Zudem stellt sich die Frage, wie die GAG das Großprojekt Waldbadviertel erfolgreich vermarkten will. Wer möchte schon mit seinen Liebsten in einem Haus wohnen, das direkt an einen mit giftigen Schwermetallen belasteten Schießplatz grenzt. Wer will, dass sich Kinder beim Spielen im nahegelegenen Wald mit Bleistäuben vergiften, oder der Hund nach dem Gassigehen in den eigenen vier Wänden erst einmal Bleikügelchen verteilt? Auf die Frage von report-k.de wie die Stadt als Eigentümer des Geländes des ehemaligen Schießplatzes und GAG zusammenarbeiten, schrieb die Stadt: „Sämtliche Untersuchungs- und Sanierungsschritte werden eng mit der GAG abgesprochen, und werden dazu führen, dass eine Gefährdung für die neuen Anwohner ausgeschlossen werden.“ Manche Bürger im rechtsrheinischen Köln erinnert die Vorgehensweise von Stadt und GAG an das Madaus Projekts in Köln-Merheim. Nach ersten Berichten und Nachfragen digitaler Medien zur Bleibelastung des Schießplatzes in Köln-Ostheim sah sich die Stadt Köln veranlasst das Gelände einzuzäunen und mit zahlreichen gelben Warntafeln zu versehen: „Ehemaliger Schießstand – Betreten verboten!“ Zuvor konnte man ungehindert auf das Gelände spazieren.

Welche Gefahren lauern wirklich auf dem ehemaligen Schießplatz in Köln-Ostheim?

Die Stadt Köln, hier spricht auch das Lanuv eine klare Sprache, ist aufgefordert, Anhaltspunkten nachzugehen und klare Zahlen und Untersuchungen vorzulegen und zwar von unabhängigen Gutachtern. Die Bürger sind der Auffassung, dass dies eigentlich schon vor dem Bau der Straße erfolgen hätte müssen. Ob eine Heilung der Altlast durch das Aufstellen von Tafeln und langfristiges Einzäunen des Geländes langfristig der richtige Weg ist, ist fraglich. Denn es geht auch um Vorsorge für die Kinder und Jugendlichen, die dort einmal leben werden: Das im Bebauungsplan ausgewiesene Jugendzentrum des Viertels liegt nur 150 Meter vom Belastungszentrum des Schießplatzes entfernt. Wer wird also in Zukunft dafür Sorge tragen, dass die Kinder des Waldbadviertels den bleiverseuchten Wald nicht betreten? In diesem Zusammenhang müssen sich auch die im Rat der Stadt Köln vertretenden Parteien, die mehrheitlich für den Bau des Waldbadviertels gestimmt haben, kritische Fragen stellen lassen. Laut Rats- und Sitzungsprotokollen der Stadt Köln waren auch Aufsichtsratsmitglieder der GAG, die auch im Rat der Stadt sitzen, über hohe Emissionen und einen Altlastenverdacht auf dem Schießplatz in Köln-Ostheim informiert.

16:39 Uhr > Die GAG selbst erwartet keine Probleme, um die Wohnungen des künftigen Waldbadviertels zu vermieten. „Wir sind sicher, dass die Stadt Köln das Problem in Angriff nehmen und lösen wird, bevor die Mieter einziehen“, sagte GAG-Sprecher Jörg Fleischer gegenüber report-k.de.

Infobox

Der Redaktion liegen die Analysewerte zu zwei unabhängig genommenen Bodenproben vor, die von einem unabhängigen Institut analysiert wurden. Beprobt wurde jeweils der Bodenhorizont bis 35 cm Tiefe. Die erste Probe stammt aus der Niederschlagszone der Tontauben und die zweite Probe aus der Hauptniederschlagszone der Bleischrote. Die im Frühjahr dieses Jahres genommenen Proben erbrachten für Blei folgende Messergebnisse:

– Niederschlagszone Tontauben:    8.630 mg Blei pro kg Boden
– Hauptniederschlagszone Bleischrote: 15.200 mg Blei pro kg Boden

Damit wird der im Bundesbodenschutzgesetz festgelegte Prüfwert Blei für Park- und Freizeitanlagen in Höhe von 1.000 mg um das 8,6 bzw. 15,2-fache überschritten.“

Das Bundesinstitut für Risikobewertung schreibt auf seiner Internetseite: „Blei ist, wie die meisten Schwermetalle, giftig. Akute Bleivergiftungen äußern sich unter anderem durch Erbrechen, Darmkoliken und Verstopfungen bis hin zum Nierenversagen. Chronische Bleivergiftungen gehen mit Blutarmut, Schwächegefühl, Appetitlosigkeit, Nervosität oder Abmagerung einher. Kinder sind besonders gefährdet, da der Körper in diesem Entwicklungsstadium noch empfindlicher auf Blei reagiert. Bei ihnen kann eine erhöhte Bleibelastung zu unumkehrbaren Nervenschäden, zu Störungen der Hirnfunktionen und zur Beeinträchtigung der Intelligenz und der Aufmerksamkeit führen.“

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Autor: Ch. Seichtum, ag
Foto: In einem Bereich liegen Tontaubenscheiben meterdick – sauber gemacht hat keiner