Umstrittene Köhler-Äußerung vom 22. Mai im Wortlaut
Der zurückgetretene Bundespräsident Horst Köhler hatte in einem am 22. Mai im Deutschlandfunk ausgestrahlten Interview folgende Äußerungen gemacht, die später zu heftiger Kritik und letztlich zum Rücktritt führten: "Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ, bei uns durch Handel Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern. Alles das soll diskutiert werden, und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg."

Laut Köhler würde die Unterstellung, er würde einen Einsatz der Bundeswehr zur Sicherung von deutschen Wirtschaftsinteressen befürworten, jeder Grundlage entbehren. Der Bundespräsident war in den vergangenen Tagen wegen eines Interviews, in dem er den Bundeswehreinsatz am Hindukusch mit wirtschaftlichen Interessen Deutschlands in Verbindung gebracht hatte, in die Kritik geraten. Köhler hatte betont, er sei missverstanden worden. Köhler war seit 2004 Bundespräsident, im Mai 2009 war er für eine zweite Amtszeit gewählt worden. Von 2000 bis 2004 war Köhler geschäftsführender Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF). Köhlers Rücktritt als Bundespräsident stellt ein Novum in der deutschen Geschichte dar.

Die Rücktrittserklärung von Bundespräsident Horst Köhler, im Schloss Bellevue am 31.5.2010 im Wortlaut:
"Meine Äußerungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr am 22. Mai dieses Jahres sind auf heftige Kritik gestoßen. Ich bedauere, dass meine Äußerungen in einer für unsere Nation wichtigen und schwierigen Frage zu Missverständnissen führen konnten. Die Kritik geht aber so weit, mir zu unterstellen, ich befürwortete Einsätze der Bundeswehr die vom Grundgesetz nicht gedeckt wären. Diese Kritik entbehrt jeder Rechtfertigung. Sie lässt den notwendigen Respekt für mein Amt vermissen.

Ich erkläre hiermit meinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten – mit sofortiger Wirkung. Ich danke den vielen Menschen in Deutschland, die mir Vertrauen entgegengebracht und meine Arbeit unterstützt haben. Ich bitte sie um Verständnis für meine Entscheidung.

Verfassungsgemäß werden nun die Befugnisse des Bundespräsidenten durch den Präsidenten des Bundesrates wahrgenommen. Ich habe Herrn Bürgermeister Böhrnsen über meine Entscheidung telefonisch unterrichtet, desgleichen den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages, die Frau Bundeskanzlerin, den Herrn Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts und den Herrn Vizekanzler. Es war mir eine Ehre, Deutschland als Bundespräsident zu dienen."


Merkel sagt Besuch bei DFB-Elf ab
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat ihren für heute geplanten Besuch im Trainingslager der deutschen Nationalmannschaft in Südtirol "aus aktuellen Gründen" abgesagt. Das teilte der Deutsche Fußball-Bund (DFB) mit. Für den Lauf des Abends sei laut DFB ein Telefongespräch von Merkel mit Bundestrainer Joachim Löw und Kapitän Philipp Lahm geplant.

Stimmen zum Köhler Rücktritt
Alle Spitzenpolitiker von Köhler-Rücktritt überrascht
Politiker aus allen Parteien haben sich überrascht über den Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler gezeigt. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte spontan ihren für den Abend geplanten Besuch im WM-Trainingslager der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Südtirol ab. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer sagte in München, Köhler habe das Amt mit "Ernsthaftigkeit und Würde" geführt, er bedauere seine Entscheidung deswegen. Der frühere Bundesaußenminister und Grünen-Politiker Joschka Fischer zeigte sich "fassungslos". Gegenüber der "Leipziger Volkszeitung" (Dienstag-Ausgabe) sagte Fischer: "Was ist nur los in dieser Republik?". Immerhin habe es sich bei Köhlers erster Kandidatur um einen "symbolischen Akt" für das angestrebte politische schwarz-gelbe Bündnis gehandelt, so Fischer. FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger sagte in Berlin, die FDP-Bundestagsfraktion bedauere den Rücktritt. Köhler habe sich während seiner Amtszeit im In- und Ausland höchste Anerkennung erworben.

Merkel wurde zwei Stunden vor Köhler-Rücktritt informiert
Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde erst zwei Stunden vor dem Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler über diesen Schritt informiert. Sie habe um 12 Uhr telefonisch von Köhler erfahren, dass er um 14 Uhr zurücktreten wolle. Selbstverständlich habe sie versucht, Köhler umzustimmen, allerdings ohne Erfolg. "Ich bedaure diesen Rücktritt aufs aller härteste", so Merkel weiter. Sie glaube, dass die Menschen in Deutschland traurig über den Rücktritt sein werden.

Westerwelle wollte Köhler umstimmen
Bundesaußenminister und Vize-Kanzler Guido Westerwelle (FDP) wollte den zurückgetretenen Bundespräsidenten offenbar noch in letzter Minute umstimmen. "Der Herr Bundespräsident hat mich heute Mittag über seine Rücktrittsentscheidung informiert. Ich habe in diesem Telefongespräch versucht, ihn umzustimmen. Der Bundespräsident hat sich aber so entschieden", sagte Westerwelle in Berlin. Er bedaure diese Entscheidung aus vollem Herzen. "Aber wir haben sie natürlich auch zu respektieren. Ich danke dem Bundespräsidenten für die in den letzten Jahren geleistete Arbeit für die Bürger unseres Landes. Wie es jetzt weitergeht, wird streng nach den Regeln unserer Verfassung zu besprechen sein", so Westerwelle weiter.

Steinmeier von Köhler-Rücktritt überrascht
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hat sich überrascht vom Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler gezeigt. Köhler habe im Zuge der Finanzkrise mutige Aussage darüber getroffen, welche Maßnahmen ergriffen werden müssten. Auch bei anderen Ereignissen, wie beispielsweise dem Amoklauf von Winnenden, habe Köhler die richtigen Worte gefunden, wofür man ihm Anerkennung zollen müsse. Der Rücktritt zum jetzigen Zeitpunkt sei absolut überraschend gekommen und verschärfe die ohnehin schon schwierige Lage der Berliner Politik.

So geht es jetzt weiter:
Bremens Bürgermeister übernimmt Amtsgeschäfte des Bundespräsidenten
Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen übernimmt ab sofort kommissarisch die Amtsgeschäfte des Bundespräsidenten. Der SPD-Politiker hat seit dem 1. November 2009 turnusgemäß das Amt des Präsidenten des Bundesrates inne. Der jeweilige Präsident des Bundesrates fungiert auch im Normalfall stets als Stellvertreter des Bundespräsidenten. Der 60-jährige Böhrnsen ist seit 1967 Mitglied der SPD und zudem von ver.di, der Arbeiterwohlfahrt und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Er hat zwei Söhne aus erster Ehe. Seine zweite Ehefrau Luise Morgenthal starb am 2007 im Alter von 58 Jahren. Von 1978 bis 1995 war Böhrnsen als Richter aktiv, außerhalb von Bremen hat er sich politisch nicht wesentlich engagiert. Bundestagspräsident Norbert Lammert muss jetzt bis spätestens 30. Juni die Bundesversammlung einberufen. In Artikel 54 des Grundgesetzes heißt es dazu: "Die Bundesversammlung tritt spätestens dreißig Tage vor Ablauf der Amtszeit des Bundespräsidenten, bei vorzeitiger Beendigung spätestens dreißig Tage nach diesem Zeitpunkt zusammen. Sie wird von dem Präsidenten des Bundestages einberufen."

[dts; Foto: Deutscher Bundestag / Lichtblick / Achim Melde]