Köln | Nach dem Ausscheiden der deutschen Fußballnationalmannschaft fällt die Fußballnation Deutschland in eine Schockstarre. Nun beginnt die Aufarbeitung – und wie agieren die Medien dabei? Der Kommunikationswissenschaftler Dr. Jörg-Uwe Nieland, der zum Thema Sportkommunikation forscht, bewertet das Vorgehen kritisch. „Die Erklärungen und Einordnungen von Spielleistungen sowie die Schuldzuweisungen sind meist sehr einfach und stereotyp“, erklärt der Experte der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) im Gespräch mit report-K.

Herr Nieland, Sie forschen im Bereich der Sportkommunikation an der WWU Münster. Sie stellen nach dem Ausscheiden der Deutschen Fußballnationalmannschaft die These auf, dass die Erklärungen und Einordnungen von Spielleistungen sowie die Schuldzuweisungen meist sehr einfach und stereotyp seien. Was stört Sie besonders?
 
Dr. Jörg-Uwe Nieland: Was mich besonders stört, ist die Flut von Äußerungen der Fans, insbesondere wenn die Massenmedien aus den so genannten sozialen Medien zitieren. Vielleicht sind wir ein Volk von über 80 Millionen Bundestrainern, aber ich möchte kein Alltagswissen, keine Stimmungsmache in den sozialen Netzwerken, sondern Wissen und Interpretationen von Journalisten und Experten (in diesen Tagen will ich ausdrücklich sagen auch von Journalistinnen und von Expertinnen). Meine Gratifikation, also mein Freude und mein Gewinn an der Berichterstattung, bekomme ich, wenn ich meine Interpretationen mit denen der Journalisten und Experten, nicht „irgendwelcher“ Laien vergleichen kann. Was soll das mit den Orakeln, wo Tiere den Ausgang von Fußballspielen „vorhersagen“? Prognosewert wie Unterhaltungswert solcher Aktionen sind für meine Begriffe nahe null.

Aber das ist eher eine persönliche Auffassung.

Was mich aus Sicht des Kommunikationswissenschaftlers stört, ist erstens die Konzentration auf einzelne, auf die vermeintlichen „nationalen Helden“. Natürlich haben der Trainer und die Schlüsselspieler eine besondere Verantwortung und auch Strahlkraft, sind Identifikationsfiguren, aber der Fußball ist ein Teamsport – dies betont ja auch das vom DFB ausgegebene Narrativ „Die Mannschaft“.

Zweitens, dass uns suggeriert wird, es gäbe die einfachen Erklärungen (und Schuldzuweisungen) – so wird man der Komplexität des Spiels nicht gerecht. Was übrigens nicht heißt, dass das einfache Spiel nicht das erfolgreichste sein kann.

Drittens beobachten wir einen Prognose- und Interpretationswettkampf in den Medien, der zum Teil mehr Raum einnimmt als der sportliche Wettkampf; hier geht es in erster Linie um Stimmungen und Erregungen, weniger um sportliche Leistungen.

Viertens sehe ich eine Ausrichtung der Berichterstattung an Erwartungen, die dem Prinzip des unrealistischen Optimismus folgen. Bei Niederlagen wird eine solche Berichterstattungsstrategie zum Bumerang.

Viele Spielmoderatoren, Berichterstatter, Livetickerer jubeln bei Siegen als seien Sie Teil der Mannschaft und geben sich zu Tode betrübt, wenn das Spiel verloren geht. Das Argument der Moderatoren und Journalisten ist dann oft, sie müssten die Emotionalität des Spiels transportieren. Ihre Einschätzung?
 

Der Sportjournalismus steht unter dem Verdacht der „klebrigen Nähe“ (wie es Hans Leyendecker ausgedrückt hat). Sportjournalisten sind oft Fans, die es von der Bande hinter das Mikrophon geschafft haben.

Die Emotionen des Spiels können transportiert werden, ohne dass die Sportjournalisten parteiisch und unkritisch sind.  Deshalb würde ich appellieren: Mäßigung und Professionalität im Umgang mit Siegen und Niederlagen.

Damit keine Missverständnisse entstehen: es gibt den guten Sportjournalismus, der Begeisterung, Unterhaltung und kritische Informationen transportiert.

Immer wieder wird in der letzten Zeit Kritik am aktuellen Sportjournalismus laut. Der sei zu angepaßt, stelle keine kritischen Fragen mehr, aus Furcht nicht mehr akkreditiert zu werden oder den „Draht zur Mannschaft“ zu verlieren. Teilen Sie diese Kritik?
 
Die Kritik ist berechtigt. Und der Spielraum für kritischen Sportjournalismus wird kleiner. Denn die Veranstalter werden zu Medienanbieter, kontrollieren die Bilder, schreiben den Sportler vor, was sie sagen dürfen.

Doch das WM-Aus der deutschen Mannschaft zeigt: Fußball ist nicht nur die perfekte Show. Neben den Themen wie Doping, Korruption und Instrumentalisierung des Sports durch die Politik verdient auch die sportliche Leistung respektive Nicht-Leistung die kritische Begleitung durch (Sport-)Journalisten (sowie Experten) – eigentlich eine Selbstverständlichkeit. 

Wie werten Sie die Rolle des Sportjournalismus in der Zukunft vor dem Hintergrund, dass ja nicht nur der DFB-Tross mittlerweile eine gigantische Eigen-PR-Content-Marketing-Medienstrategie aufgebaut hat. Können Fans da überhaupt noch differenzieren?
 

Die Differenzierung muss zunächst einmal von den Journalisten ausgehen – dann gelingt die Differenzierung auch den Fans. Meine Hoffnung eigentlich meine Gewissheit ist, dass der Sport letztlich auf die Medien, auch die kritischen Medien angewiesen ist – nicht bei der Liveberichterstattung aber bei der Interpretation des Ereignisses. Den Beleg für diese wichtige Funktion der Medien können sie gerade in der Interpretation des WM-Aus liefern.

Herr Nieland, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Autor: Andi Goral