Großer Warnstreik am 27. März in Köln | Foto: Bopp.

Köln / Berlin / Frankfurt am Main | dts | Am 27. März stand bundesweit der Verkehr still – keine Busse und Bahnen und kaum ein Zug rollte am gestrigen Tag durch die Städte. Der Warnstreik am Montag war bislang der Größte in diesem Jahr gewesen. Das sagen Hagen Lesch, Tarifexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, sowie Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, nach dem Ende des Streiks.

IW bezeichnet Streik als „Showveranstaltung“

Der Tarifexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Hagen Lesch, sieht im jüngsten Streik eine Showveranstaltung und rechnet mit einer raschen Tarifeinigung. Der „Bild“ (Dienstagausgabe) sagte Lesch: „Dieser Streik ist völlig überzogen. Es ist der Höhepunkt einer großen Verdi-Show. Der Gewerkschaft geht es nämlich vor allem darum, sich selbst in Szene zu setzen, um neue Mitglieder zu werben.“ Lesch betonte, in den vergangenen Tarifrunden seit 2012 habe es immer in der dritten Verhandlungsrunde eine Einigung gegeben. „Die Verdi-Show ist schon das Maximum an Eskalation. Das spricht dafür, dass eine Einigung nicht fern ist“, sagte Lesch. Seit Montag sind Verdi und Arbeitgeber von Bund und Kommunen zur dritten Verhandlungsrunde in Potsdam zusammengekommen.

DIW sieht großes Potenzial für weitere Streiks

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, sieht großes Potenzial für weitere Streiks. „Der heutige Streiktag könnte nur den Anfang eines intensiven Arbeitskampfes markieren. Wir erleben gerade eine Zeitenwende auf dem Arbeitsmarkt, weg von einem Arbeitgebermarkt, hin zu einem Arbeitnehmermarkt“, sagte Fratzscher der „Rheinischen Post“ (Dienstag).

„Durch den großen Fachkräftemangel gewinnen Beschäftigte an Macht und damit die Möglichkeit, höhere Lohnabschlüsse durchzusetzen“, so der DIW-Präsident. „Der Streiktag heute dürfte zwar einige Unternehmen hart getroffen haben, hat aber gesamtwirtschaftlich nur geringe Kosten, da sich viele drauf einstellen und mobil arbeiten konnten. Trotzdem ist eine Stärkung der Sozialpartnerschaften wichtig und wünschenswert, um in Zukunft größere Arbeitskämpfe zu vermeiden“, sagte Fratzscher.

Schätzung: Streik kostet 181 Millionen Euro

Der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, schätzt die direkten Kosten des großangelegten Streiks bei Bahnen und Bussen, an Flughäfen sowie Häfen an diesem Montag auf maximal 181 Millionen Euro. Das wären rund 0,006 Prozent der jährlichen Wertschöpfung der deutschen Wirtschaft. „Der unmittelbare wirtschaftliche Schaden ist aus volkswirtschaftlicher Sicht gering“, sagte Krämer dem „Handelsblatt“ (Dienstagausgabe).

Für die Rechnung hat Krämer die jährliche Bruttowertschöpfung in den Bereichen „Landverkehr und Transport in Rohrfernleitungen“, „Schifffahrt“ und „Luftverkehr“ zugrunde gelegt und ist auf 66 Milliarden Euro gekommen. Die Zahlen stammen aus dem Jahr 2019, jüngere Daten sind durch die Coronapandemie verzehrt. Auf den Tag gerechnet sind das 181 Millionen Euro.

„Diese werden am Montag allerdings nicht ganz wegfallen, da beispielsweise Taxis und Lastwagen weiter fahren“, so Krämer. Doch selbst, wenn man den kompletten Ausfall unterstellt, sei der Effekt im Vergleich zur gesamten Wirtschaftsleistung gering. Krämer beschreibt nur die direkten Kosten durch den ausfallenden Verkehr.

Folgeeffekte sind nicht enthalten. Die halt der Ökonom aber ohnehin für gering: „Wirtschaftlich dürften sich die Verluste auf die Transportwirtschaft begrenzen, weil die Fabriken weiterlaufen und viele Angestellte von zu Hause aus arbeiten werden.“ Krämer warnt allerdings vor wirtschaftlichen Folgen, die nicht so leicht zu beziffern seien.

Er befürchtet durch den Streik einen Schaden für das Image des Wirtschaftsstandorts Deutschland. „Wir brauchen keine französischen Verhältnisse.“ Und der Commerzbank-Chefvolkswirt warnt vor einer Ausweitung der Arbeitsunterbrechungen: „Zu massiven wirtschaftlichen Schäden käme es allerdings, wenn der Streik mehrere Tage anhielte und Tunnel gesperrt würden.“

rs