Köln/München | Wolfgang Heer ist kein Langschläfer. Allein schon sein Beruf lässt eine ausreichende Nachtruhe nicht zu. Heer, 39 Jahre alt, ist Strafverteidiger. Und die Aktendurchsicht ist dabei ein mühevoller und zugleich unerlässlicher Teil des Geschäfts.

„Auf viele Stunden Schlaf komme ich nicht“, sagt Heer der Nachrichtenagentur dapd. In diesen Tagen ist er noch viel länger als sonst bis tief in die Nacht beschäftigt. Er gehört neben Anja Sturm und Wolfgang Stahl zu dem Anwaltstrio, das die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe im NSU-Verfahren vertritt. Hunderttausende von Akten musste er lesen. Eine Mammutaufgabe.

Am 17. April beginnt der Prozess vor dem Oberlandesgericht in München. Zehn Morde, weitere Mordversuche und 15 Raubüberfälle sollen die beiden am 4. November 2011 gestorbenen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt verübt haben. Es geht in dem Verfahren vor allem um die Frage, ob Zschäpe gleichberechtigte Mittäterin war, eine in alle Taten voll eingebundene Dritte, wie es die Bundesanwaltschaft in ihrer 488 Seiten umfassenden Anklage schreibt. Handfeste Beweise für dieses Szenario fehlen nach Auffassung ihrer Verteidiger, und das, obwohl nach Auffassung der Anklage das terroristische Trio „Nationalsozialistischer Untergrund“ 14 Jahre lang in engster Gemeinschaft in der Illegalität lebte.

Viele halten die Verhandlung für die größte seit dem RAF-Prozess 1977 in Stuttgart-Stammheim. Ein Prozess der Superlative. Einer von historischer Dimension. Auch Heer selbst bezeichnet ihn als „Riesenherausforderung“, da die Vielzahl an Akten außergewöhnlich sei. Es verwundert deshalb ein wenig, dass er nebenbei noch Zeit und Muße findet, sich um andere Fälle zu kümmern.

Ein „Himmelfahrtskommando“?

Der gebürtige Kölner arbeitet seit 2004 ausschließlich als Anwalt für Strafrecht. Er wollte nie etwas anderes machen, wie er sagt. Aber warum tut er sich eine solche Aufgabe an, in dem sehr viel erfahrenere Kollegen schon ein „Himmelfahrtskommando“ sehen und das nicht Monate, sondern Jahre dauern dürfte? Es gibt rund 70 Nebenkläger, 50 Nebenklage-Anwälte, Hunderte Zeugen und etliche Sachverständige. Pressevertreter aus dem In- und Ausland. Eine neugierige Öffentlichkeit. Das gewaltige Interesse der Politik nicht zu vergessen.

Heer und seine Kollegen reklamieren für sich, dass das nicht der erste große Fall für sie ist. Alle drei halten sich für erfahren genug, die Belastung eines solchen Mammutprozesses durchzustehen. „Wir haben schon häufiger umfangreiche Verfahren bearbeitet“, sagt Heer. Er spricht leise und gibt nur so viel in der Öffentlichkeit von sich preis, wie er glaubt, verantworten zu können. Über Zschäpes Persönlichkeit, über seine Motive, sie zu verteidigen spricht er genauso wenig wie über die Verteidigungsstrategie und die Aufgabenverteilung untereinander. Auch zur hitzigen öffentlichen Debatte über die Vergabe der Presseplätze äußert er sich nicht.

Die Versuchung für jeden leidenschaftlichen Strafverteidiger ist natürlich groß, das Mandat zu übernehmen. Heer gilt als akribischer und detailverliebter Arbeiter. Als einer, der jeden Prozess mit der gleichen Verve angeht. Ihm ist es egal, ob er dabei in der Öffentlichkeit steht wie jetzt im NSU-Verfahren oder es sich um einen kleinen Diebstahl im Kaufhaus handelt. Arroganz und die theatralische Geste sind ihm fremd. Er könne vor Gericht kämpfen, sagt Heer, „und ich habe keine Furcht davor, die Interessen meines Mandanten selbstbewusst und konfliktbereit zu verfolgen“.

„Ziemlich robust“

Besonders die Arbeitsweise von Wolfgang Stahl ist ihm dabei bestens vertraut. Die beiden haben in der Vergangenheit schon mehrfach erfolgreich zusammengearbeitet. Sie seien Typen mit ähnlichen beruflichen Ansichten, sagt Heer. Und die Dritte? Anja Sturm und Heer kennen sich schon seit längerem und haben sich bei Strafverteidigertagungen schätzen gelernt. Im Sommer 2012 komplettierte die Berlinerin das eingespielte Duo und brachte auch einige neue Ideen mit. „Wir arbeiten alle gut zusammen“, sagt Heer. Ob die Entscheidungen untereinander einstimmig fallen oder es wechselnde Mehrheiten gibt, behält er lieber für sich. „Ich bin halt die Dritte“, hat Sturm dem „Spiegel“ mal mitgeteilt. „Und ich bin eine Frau.“

Ob er einen guten Zugang zu Beate Zschäpe hat, mag Wolfgang Heer auch nicht verraten. Natürlich nicht. Er habe sie oft im Kölner Untersuchungsgefängnis Ossendorf besucht. Und wie in jedem seiner Mandate herrsche auch zu ihr ein Vertrauensverhältnis für eine gute Zusammenarbeit. Mittlerweile ist Zschäpe nach München in die Justizvollzugsanstalt Stadelheim verlegt worden.

Ob sich die drei Anwälte in der bayerischen Landeshauptstadt für die Zeit des Prozesses eine Wohnung gemietet haben, sind natürlich auch einige jener Fakten, die Heer nicht in der Zeitung lesen möchte. Nur so viel lässt er raus: „Wir haben etwas gefunden, in der wir uns zurückziehen und in Ruhe arbeiten können.“ 84 Verhandlungstage sind zunächst einmal angesetzt. Um sein Schlafdefizit macht er sich dabei keine Sorgen. „Ich bin“, sagt Wolfgang Heer, „ziemlich robust“.

Autor: Matthias Schmid, dapd | Foto: Polizei Hamburg
Foto: Einer der drei Verteidiger von Beate Zschäpe, mutmaßliche Rechtsterroristin, ist der Kölner Strafverteidiger Wolfgang Heer