Köln | Die Alevitische Union Europa [Avrupa Alevi Birlikleri Konfederasyonu(AABK)] und einige krudische Verbände setzten ein Signal gegen „die in Entstehung befindliche Diktatur in der Türkei und ihre politischen Konsequenzen. Es gehe um Solidarität mit den von der „Erdogan-Willkür“ Betroffenen, so ein weiterer Aspekt der Kundgebung. Die Teilnehmer reisten teilweise von weither an. Eine Frau die im Videointerview mit report-K erklärt warum sie gegen die Regierung von Erdogan protestiert, war heute morgen um 2 Uhr in der Schweiz in einen Bus gestiegen um heute in Köln mit dabei zu sein.

Sehen Sie im Videobeitrag Ausschnitte aus den Reden von Melek Yildiz, Sevim Dagdelen, Statements von Prof. Dr. Frank Überall, Vorsitzender des DJV, Arif Ünal und Polizeipräsident Jürgen Mathies >

Hier finden Sie die Vorberichterstsattung von report-K >

Ein erstes Video von der Deutzer Werft mit Interviews finden Sie auf der Facebookseite von report-K >

Der Vorsitzende der Alevitischen Union Europa, Hüseyin Mat sagte: „Entweder wird die Türkei dem Trend Erdogans folgend zu einem diktatorischen auf dem Fundament der türkisch-islamischen Synthese basierenden, rassistischen Staat umgebaut werden oder eine bunte, vielfältige, freiheitliche Demokratie werden. Unsere Solidarität gilt all den wunderbaren, mutigen Menschen, die sich nicht einschüchtern lassen und sich trotz der Widrigkeiten engagieren.“

Dagegen protestieren die 25.000

Anfang November wurden 19 Mitarbeiter der regierungskritischen Zeitung „Cumhuriyet“ festgenommen, am gestrigen Tag auch der Herausgeber des Blattes. Prof. Dr. Frank Überall, der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten Verbands, forderte in seiner Rede internationale Solidarität: „Die Pressefreiheit in der Türkei hat Urlaub. Wobei eigentlich Präsident Erdogan derjenige ist, der sich Urlaub von der Pressefreiheit nimmt. Es sind die erholsamsten Wochen seines Politikerlebens: Er nimmt sich frei von lästigen Fragen der Reporter, er nimmt sich frei von kritischen Berichten über seine Politik, er nimmt sich frei von kritischer Meinungsäußerung. Journalisten werden mundtot gemacht. Viele der Kolleginnen und Kollegen, die ich vor einigen Monaten noch in der Türkei besucht habe, sind heute mundtot. Schlimmer noch: Sie sind arbeitslos oder sie sitzen im Gefängnis. Weil sich Präsident Erdogan Urlaub von ihnen nimmt. Urlaub von der Pressefreiheit. Das darf nicht sein. Wir müssen international solidarisch zusammen stehen gegen diese Aushebelung von Grundrechten! Wir fordern: Erdogan, hol‘ die Pressefreiheit aus dem Urlaub zurück!“

Nur wenige Tage nach den Festnahmen bei „Cumhuriyet“ verhaftete die Polizei Mandatsträger der prokurdischen Oppositionspartei HDP (Halklarin Demokratik Partisi/ Demokratische Partei der Völker). Unter den Festgenommenen befinden sich auch die beiden Parteivorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag sowie mehrere Parlamentsabgeordnete der HDP. Die Zugriffe erfolgten im Rahmen von „Anti-Terror-Ermittlungen“. Wenige Stunden danach kam es in der ostanatolischen Stadt Diyarbakir zu einer schweren Explosion.

Zu den Verhaftungen sagte Sevim Dagdelen, MdB der Linkspartei: „Wenn die Bundesregierung meint Erdogans Diktatur weiter mit tiefer Besorgnis begegnen zu können, wird sie Erdogan lediglich ermutigen, noch brutaler gegen Demokraten in der Türkei vorzugehen. Es ist jetzt die Zeit zum Handeln. Die Zeit zu reden ist vorbei. Wer weiter darauf setzt, mit einer Diktatur EU-Beitrittsverhandlungen führen zu müssen, spielt Erdogan in die Hände. Die EU-Vorbeitrittshilfen sowie Beitrittsgespräche sind sofort zu stoppen. Die Waffenlieferungen müssen unverzüglich eingestellt und die Bundeswehr aus der Türkei abgezogen werden. Kein Cent, keine Waffe und keine Soldaten für Erdogan.“ Der „Spiegel“ berichtet heute aktuell, dass Gelder die für die Vorbereitung eines Beitritts der Türkei zur Europäischen Union vorgesehen waren, umgelenkt werden und für die Flüchtlingspolitik verwandt werden.

Die Republikanische Volkspartei (CHP) hat auf einer Versammlung das Vorgehen der türkischen Behörden gegen Regierungsgegner scharf kritisiert. Als Konsequenz wegen der regierungskritischen Äußerungen erstattet Präsident Erdogan nun Anzeige bei der Staatsanwaltschaft in Ankara gegen 133 Abgeordnete der Partei, darunter auch Parteichef Kemal Kiliçdaroglu. Sein Anklagegrund ist „schwere Beleidigung“.

So schreiben die Veranstalter: „Unser Protest richtet sich gegen die undemokratische und autoritäre Politik Erdogans und der AKP-Regierung und will ein klares Zeichen für ein friedliches Zusammenleben aller ethnischen und religiösen Gruppen in Deutschland und der Türkei setzen.“

Der Ausnahmezustand bedeute, dass Erdogan das Land per Dekret führen könne. Man wirft ihm antidemokratische Politik vor, mehr noch eine Politik der Gleichschaltung, Ausgrenzung, Unterdrückung und Gewalt in der Türkei vor. Aber auch, dass er diese Kultur der Parallelgesellschaft nach Deutschland exportiere. Dies gelinge durch die Gründung des Ministerium für Auslandstürken und durch die Vertreter der türkischen Religionsbehörde, der DITIB, so die Veranstalter. Über diesen Weg, so der Vorwurf, versuche die AKP an Einfluss in Europa zu gewinnen.

Weiter heißt es: „Der Erdogan-Regierung darf kein Zugang mehr in die innerdeutsche Gesellschaft gewährt werden. Menschen, die gegen die Pressefreiheit, gegen Menschenrechte und für die Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei hier in Deutschland demonstrieren, sind eine Gefahr für unser Zusammenleben.“ Die Veranstaltung verzögerte sich um fast eine Stunde, weil eine größere Anzahl Kurden mit Fahnen, die das Konterfei Öcalans zeigten nach vorne gestürmt waren und „PKK“-Rufe angestimmt hatten. Diese Form des Protetest wollten die veranstaltenden Aleviten zunächst nicht hinnehmen, das es ihrer Meinung nach nicht die Vielfalt der Stimmen widerspiegelte, die sich auf der Deutzer Werft versammelt hatten.

Autor: Andi Goral
Foto: Aus FReidrichshafen, aber auch aus der Schweiz sind Teilnehmer der Protestkundgebung angereist